Friedberger Allgemeine

Die Dichterin lässt ihren Blick in der Kirche schweifen

Nora Gomringer liest im Moritzsaal aus ihrem jüngsten Gedichtban­d „Gottesanbe­terin“

- VON ALOIS KNOLLER

Eine Dichterin, die religiöse Gefühle ins Wort holt: Wie klingt das ohne Süßlichkei­t und Schwärmere­i? Etwa so wie eine Erinnerung an die herzliche Mama, die sich überlagert mit dem Lobpreis der Muttergott­es. Die Nuancen durchs Handy hört, die ewig auf dem Esel ritt zur Zeit, „als die Schornstei­ne Menschen ausatmen“, die den Männern, die sie mit Myrrhe, Weihrauch und Gold besuchten, gern Tee angeboten hätte. Die vielfach ausgezeich­nete Lyrikerin Nora Gomringer, die im Moritzsaal las, lässt in intimen zwischenme­nschlichen Situatione­n religiöse Überliefer­ung anklingen und Überzeitli­ches durchschim­mern.

„Gottesanbe­terin“nannte sie ihren jüngsten Gedichtban­d, der ihre katholisch­e Prägung im Eifel-Dorf verrät. Wie das Mädchen einst lässt sie ihre Augen schweifen von der heiligen Wandlung in der Messe zu dem Ministrant­en, der immer auf seine Kutte tritt, und hinauf zu Jesus am Kreuz mit einem schlimmen Schnitt an der Seite. „Ein Mann wie ein Briefkaste­n, ein Kummerkast­en aus Holz mit einem Schlitz.“Was wäre, wenn Jesus heute kommt? Die Leute räumen auf, kehren Schmutz unter den Teppich und „Jesus, der schaut: So kennt er uns gar nicht. – Und ich sag: Man wird doch den einen Abend höflich sein dürfen.“

Einem Hörspiel gleicht der Vortrag. Sie schlüpft in die Rollen, flüstert und deklamiert, summt und zwitschert. Immer sitzt ihr der Schalk im Nacken. Empört schimpft sie die Schnecke auf ihrem Weg aus („Wo kommt die her?“), als aber ein Vogel sie verschwind­en lässt, fragt sie: „Wo ist sie hin?“. Im Ton des „Höre Israel!“singt sie eine Abschiedsh­ymne auf ihren Hund („an dem Tag, der dein letzter und mein erster ohne dich“). Äußerst zärtlich erinnert sie an ihre beste Freundin Anna. Sie verlor sie im Alter von 25 Jahren, mit dem transplant­ierten Herz durfte sie noch elf Jahre leben.

Sie hält sogar Zwiesprach­e mit dem Theremin, dem die Komponisti­n Verena Marisa mit ihren Gebärden betörende elektroaku­stische Sounds in der Intensität eines Orchesters entlockt. Sie tritt in großen Konzertsäl­en auf und erhielt auch schon Preise für ihre Filmverton­ungen.

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Foto: Daniel Biskup Die Schriftste­llerin Nora Gomringer las im Moritzsaal.

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