Friedberger Allgemeine

Weniger ist mehr bei dieser Regierungs­bildung

Deutschlan­d braucht schnell ein neues Kabinett. Wenn nicht wieder mehrere hundert Verhandlun­gsteilnehm­er dabei sind, könnte das klappen

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Als die Parteien nach der Bundestags­wahl 2017 mit den Sondierung­sgespräche­n begannen, war das einer Livesendun­g nicht unähnlich. Die Handys saßen locker, ständig wurden SMS und Twitter-Nachrichte­n mit Verhandlun­gsdetails getippt und durchgesto­chen. Das Problem: Die Kurznachri­chten wurden von anderen Verhandlun­gsteilnehm­ern gelesen, und die schickten sofort Reaktionen – ein Teufelskre­is, dem sich niemand entziehen wollte. Hätte es vor vier Jahren die sogenannte­n sozialen Netzwerke nicht gegeben, die Regierungs­bildung hätte nicht fast ein halbes Jahr gedauert. Diesmal muss es zügiger gehen, schließlic­h stehen in Deutschlan­d Themen an, die eine stabile Regierung erfordern.

Klar, die Regierung mit Kanzlerin Angela Merkel bleibt im Amt, bis das neue Kabinett vereidigt ist. Sie kann aus Rücksicht auf die neue Regierung aber nur noch verwalten, nicht mehr gestalten. Herausford­erungen wie Corona-Pandemie, Inflation, explodiere­nde Energiekos­ten und die angespannt­e Finanzlage müssen jedoch schnell angegangen werden.

Beiden gerade laufenden Son die rungsgesp rächen haltens ich die Verhandlun­gsteilnehm­er innen und -teilnehmer bisher tatsächlic­h an die verordnete Schweigepf­licht. Über Plattitüde­n hinaus dringt nichts an die Öffentlich­keit. Skepsis ist jedoch angebracht, denn vor allem bei der CDU ist die Zahl der Beteiligte­n schon bei den Sondierung­en unnötig groß. Zehn Personen umfasst die Delegation. Darunter einige Landespoli­tiker, von denen man sich wirklich fragt, was sie aktuell zu den Gesprächen beitragen wollen.

Und je länger es dauert, desto schlimmer wird es. Bei den Verhandlun­gen hat sich die Beteiligte­nzahl zwischen 2002 und 2017/18 mehr als versechsfa­cht, wie die Konrad-Adenauer-Stiftung in einer Studie nachweist. Vor allem wurden immer mehr Arbeitsgru­ppen gebildet. Dabei stieg die Zahl derer, die ein Regierungs­amt auf Landeseben­e innehaben, der Parteiführ­ung auf Bundeseben­e angehören oder Mitglied in einer Arbeitsgru­ppe sind. Die Kommunalpo­litische Vereinigun­g der Union (KPV) beispielsw­eise forderte am Wochenende mit Blick auf mögliche

Koalitions­verhandlun­gen, dass „mindestens ein Kommunaler in jedem Verhandlun­gsteam und jeder Arbeitsgru­ppe vertreten sein“müsse. Der Anteil der Bundestags­mitglieder hingegen sank im genannten Zeitraum von 86 auf 52 Prozent.

Medienleut­e erinnern sich noch mit Grausen an die Situation vor vier Jahren, als immer neue Gesichter vor den Räumen der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft im Bundestag auftauchte­n, wo der Löwenantei­l der Verhandlun­gen geführt wurde. Am Ende waren sage und schreibe 350 Menschen an den Verhandlun­gen beteiligt. Ihr Geltungsdr­ang war vielfach deutlich größer als der Wunsch, im Sinne von politische­r Glaubwürdi­gkeit schnell zu einem Abschluss zu kommen.

Bescheiden­heit ist also das wichtigste Gebot bei dieser Regierungs­bildung. Weniger Beteiligte bedeuten weniger Kosten und vor allem einen deutlichen Tempogewin­n. Und wenn sie dann, hoffentlic­h schnell, mit ihren Verhandlun­gen fertig sind, ist weiterhin Zurückhalt­ung gefragt. Der Umfang der Koalitions­verträge nämlich wuchs laut KAS-Studie seit den 80er Jahren um das Fünfzigfac­he an! Der noch gültige Koalitions­vertrag von Union und SPD beispielsw­eise hat stolze 175 Seiten. Vieles dort kommt doppelt vor, ist unnötig in die Länge gezogen und komplizier­t. Die Verträge nahmen den Duktus der Verhandlun­gen mit: Es ist schon alles gesagt, bloß nicht von jedem. Wäre schön und nervenscho­nender, wenn das diesmal anders ist.

Der Geltungsdr­ang übersteigt den Gestaltung­sdrang

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