Dürfen die Gläubigen wirklich mitbestimmen?
Deutsche Katholiken beschließen umfangreiche Reformen. Doch in Rom wittert man bereits Ketzerei
Frankfurt Immer wieder trommelt Kardinal Rainer Maria Woelki mit dem Fuß auf den Boden – ein Zeichen von Ungeduld oder von Nervosität? Was am Samstag in der Frankfurter Messehalle vor sich geht, hat allemal das Potenzial, konservative Eminenzen zu beunruhigen. Als einer unter vielen sitzt der schwarz gekleidete Erzbischof von Köln zwischen Frauen und Männern in Jeans, T-Shirt und Kapuzenpulli. In Serie werden Vorschläge für eine Reform der katholischen Kirche gemacht und häufig mit überwältigender Mehrheit angenommen. Thomas Sternberg, der scheidende Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ist davon derart bewegt, dass ihm auf dem Podium die Tränen kommen.
Außenstehenden dürfte sich das radikal Neue dieses Prozesses kaum auf Anhieb erschließen. 214 „Synodale“,
die über bestimmte Fragen abstimmen – was ist daran nun besonders? Der Punkt ist der, dass die katholische Kirche nicht gerade eine demokratische Institution ist. Das Sagen haben der Papst und die von ihm ernannten Bischöfe. Dieses Prinzip stellen die deutschen Katholiken derzeit infrage: Im Reformprozess Synodaler Weg entscheiden auch ganz normale Gläubige mit.
Es bedurfte einer beispiellosen Erschütterung der katholischen Welt, um so etwas möglich zu machen: Der Missbrauchsskandal – das Bekanntwerden massenhaften sexuellen Missbrauchs von Jungen und Mädchen durch Priester – hat bei einem Großteil der Katholiken die Überzeugung reifen lassen, dass die Kirche ohne Rundumerneuerung keine Zukunft mehr hat.
Die Gemeindereferentin Sarah Henschke etwa berichtet von dem offenen Misstrauen, das sie in Gesprächen erlebe. Sie erzählt von Eltern, die wissen wollten, ob ihre Kinder sicher seien. Freunde fragten, warum sie nicht schon längst aus dieser Kirche ausgetreten sei. Doch für sie steht fest: „Ich lasse mir meine Heimat Kirche nicht einfach nehmen.“
Dass es am Ende tatsächlich zu Reformen kommen wird, ist nicht sicher. Die große Unbekannte wird in Frankfurt durch einen älteren Herrn in der ersten Reihe der Beobachter repräsentiert, der die meiste Zeit auf seinem Handy surft und am Ende gar nicht schnell genug wegkommen kann: Nuntius Nikola Eterovic, Botschafter des Vatikans in Deutschland. Bisher hat der Vatikan ein Gespräch mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken verweigert. Das sind ja schließlich keine Priester.
Die Signale aus der Zentrale der katholischen Weltkirche sind auch sonst wenig ermutigend. Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, bezeichnet den Synodalen Weg als „Schauspiel“, bei dem es nur um die Macht gehe. Kurienkardinal Walter
Kasper, 88, sprach neulich von „Häresie“– Ketzerei. Was der Papst selber denkt, weiß man nicht so richtig. Nuntius Eterovic überbringt bei jeder Gelegenheit die Botschaft, dass es keinen deutschen Sonderweg geben dürfe. Deshalb sind in dem Reformprozess von vornherein erhebliche Zugeständnisse an Rom eingebaut. Gegen eine deutliche Mehrheit der Bischöfe kann nichts entschieden werden. Selbst wenn diese Reformen mehrheitlich unterstützen sollten, kann letztlich jeder Bischof in seinem Bistum machen, was er will.
Die Versammlung endet einigermaßen chaotisch: Weil zu viele schon vorzeitig abgereist sind, ist sie nicht mehr beschlussfähig und muss ihre Arbeit abbrechen. Kardinal Woelki bekommt das wohl nicht mehr mit. Er hatte seinen Platz Stunden zuvor verlassen.