Triumph im Dreck
Radsport Paris–Roubaix ist die Hölle des Nordens – und die Profis bekommen das mehr als zu spüren. Stürze und viel Dramatik prägen ein Rennen, das überraschend ein Italiener gewinnt
Roubaix Nach dem ersten italienischen Triumph beim legendären Radsport-Klassiker Paris–Roubaix seit 22 Jahren wälzte sich der komplett mit Schlamm verdreckte Sonny Colbrelli weinend und vor Freude schreiend auf dem Rasen. Topfavorit Mathieu van der Poel dagegen blieb nach seiner nächsten Enttäuschung minutenlang regungslos im Innenraum des Radstadions liegen.
Nach einem dramatischen Ritt durch die Hölle des Nordens krönte sich Europameister Colbrelli in einem packenden Schlussspurt auf der ehrwürdigen Betonpiste des Velodroms von Roubaix zum Sieger – und das bei seiner Premiere. Nach 257,7 Kilometern verwies der 31-Jährige bei der 118. Auflage der Kopfsteinpflaster-Tortur den Belgier Florian Vermeersch (22/Lotto Soudal) und den Niederländer van der Poel (26/Alpecin-Fenix) auf die Plätze. „Das ist ein Traum. Es ist mein erstes Paris–Roubaix und ich gewinne. Dieses Jahr ist mein Jahr“, sagte Colbrelli.
Der mehrfache Tour-de-FranceEtappensieger und Crossweltmeister van der Poel stand bedient auf dem Podium. Ein starkes Ergebnis in einem dramatischen Rennen lieferte als bester Deutscher Jonas Rutsch (EF Education-Nippo) auf Rang elf ab. Mixed-Zeitfahrweltmeister Max Walscheid (Qhubeka) war lange in einer Führungsgruppe dabei, ehe er 53 Kilometer vor dem Ziel stürzte, dennoch konnte er mit Platz zwölf ebenfalls sehr zufrieden sein. Für den 2015-Sieger John Degenkolb (Lotto Soudal) und die deutsche Bora-hansgrohe-Mannschaft mit Nils Politt, dem Zweiten von 2019, Ex-Sieger Peter Sagan und Maximilian Schachmann war es ein enttäuschendes Rennen. Das Trio stürzte auf nassen Straßen ebenfalls und war frühzeitig ohne Chance. 903 Tage mussten die Radprofis und Fans auf die 118. Auflage warten, es war die längste Pause des Rennens seit dem Zweiten Weltkrieg. 2020 war das Rennen wegen der Corona-Pandemie ganz ausgefallen, in diesem Jahr musste der eigentliche Frühjahrsklassiker wegen der Virusverbreitung in den Herbst verlegt werden. Lang anhaltender Dauerregen, mehr als 20 Stürze – Paris–Roubaix wurde seinem berüchtigten Ruf wieder einmal voll gerecht.
Das musste auch der Italiener Gianni Moscon erfahren. Nach einer langen Solofahrt schien er auf dem Weg zum Sieg. Doch 30 Kilometer vor Schluss hatte Moscon erst einen Platten, wartete auf ein neues Rad und verlor Zeit, ehe er dann wenig später stürzte. Er wehrte sich lange, doch gut 17 Kilometer vor dem Ziel auf dem Carrefour de l’Arbre, einer der schwersten Kopfsteinpflasterpassagen, setzten van der Poel, Colbrelli und Vermeersch zur Attacke an. Moscon wurde am Ende nur Vierter. Der Klassiker wurde schon früh zu einem brutalen Ausscheidungsrennen. Das Feld riss immer weiter auseinander – die Topfavoriten van der Poel und Wout van Aert (Belgien/Jumbo-Visma), der am Ende nichts mit dem Sieg zu tun hatte, hatten in ihrer Gruppe teils fast drei Minuten Rückstand. Van der Poel wechselte nach 72 Kilometern sein Rad, danach machte er Druck und setzte sich von seinem Rivalen van Aert ab. Im Schlussspurt musste er sich aber geschlagen geben.
Bei der Frauen-Premiere von Paris–Roubaix, die die Britin Elizabeth Deignan am Samstag gewann, hatte sich Zeitfahr-Olympiasiegerin Annemiek van Vleuten aus den Niederlanden einen zweifachen Beckenbruch und eine Schulterfraktur zugezogen.