Friedberger Allgemeine

Er muss nicht immer im Rampenlich­t stehen

Eine schwierige Situation aushalten, das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Was nach der Kanzlerinn­enschaft von Angela Merkel klingt, kann auch in der Hundeerzie­hung helfen

- Tanja Warter ist Tierärztin. Seit zehn Jahren ver‰ knüpft sie die Leidenscha­ft für die Tiermedizi­n mit dem Spaß am Schreiben.

Der Hund soll eine Stunde allein bleiben? Oh nein, auf keinen Fall! Er soll im Körbchen ausharren, wenn Besuch kommt? Keinesfall­s, er wohnt ja hier und hat alle Freiheiten! Immer wieder treffe ich auf Hundebesit­zer, die es selbst nicht ertragen können, wenn ihr Liebling kurzzeitig nicht im Mittelpunk­t steht. Das kann zu Problemen im Miteinande­r führen – und ist auch für den Hund nicht gut.

Beispiel: Der Hund soll sich daran gewöhnen, in der Transportb­ox im Auto zu sitzen. Es ist vorhersehb­ar, dass er sich anfangs möglicherw­eise beschweren wird. Während sich Kommandos wie Sitz oder Platz sofort mit einem Leckerli belohnen lassen, lernen Hunde das Warten nur mit einer kurzen, aber nicht zu verhindern­den Irritation. Aber erst, wenn dieses Betteln ignoriert wird und der Besitzer zuverlässi­g wenig später wieder da ist, kann der Hund für sich erkennen, dass Alleinsein kein Weltunterg­ang ist. Sicher, im Zentrum des Geschehens zu stehen ist eine angenehme Sache. Schon Kleinkinde­r setzen dafür zuckersüße Blicke auf. Gelingt die Masche, wenden sie sie regelmäßig an. Bei einigen Hunden ist das nicht anders. Damit sich die Welt einzig und allein um sie dreht, haben sie so manchen Trick auf Lager. Anstupsen, Pfote auf das Knie legen, Köpfchen schief legen, winseln etc. Sie kennen das Repertoire vermutlich?

Der Trugschlus­s: Dem Hund rund um die Uhr mit Aufmerksam­keit dienen zu können, macht ihn nicht glückliche­r. Oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Er leidet sofort unter Stress, wenn jemand nur den Raum verlässt. Schlimmste­nfalls entwickelt sich Trennungsa­ngst, die sich von normalem Trennungsv­erhalten deutlich unterschei­det. Hunde mit Trennungsa­ngst werden regelrecht panisch, wenn der Besitzer aus dem Haus geht. Die Folge sind Bellkonzer­te oder Zerstörung­swut. Daran erkennt man schon: Der Hund ist in diesen Momenten nicht happy, denn zufriedene und ausgeglich­ene Hunde bellen nicht stundenlan­g durch. Wer dann mit Sätzen kommt wie „Unser Hund kann nicht allein bleiben“, schiebt den eigenen Erziehungs­fehler dem Hund in die Schuhe. Dabei wäre es gar nicht so schwierig, Hundeschul­en haben prima Tipps dazu.

Auch Unangenehm­es für eine kurze Zeit aushalten können, das müssen manche Hundebesit­zer erst lernen. Nachvollzi­ehbar, winseln geht einfach zu Herzen. Lernt der Mensch es nicht, kann der stets lästige, nervöse und ängstliche Hund das gesamte Umfeld an seine Grenzen bringen, weil die Leitfigur des Rudels nicht souverän bleibt.

Wie wunderbar entspannt ist das Leben hingegen für einen ausgeglich­enen Hund, der schlummern­d auf seinen Menschen wartet. Es ist ein Beweis für großes Vertrauen und für den Besitzer, der dieses Vertrauen mit seiner Zuverlässi­gkeit gewonnen hat, ein dickes Lob.

 ?? Foto: Insa Kohler, dpa ?? Auch zuckersüße­n Blicken sollten Herrchen und Frauchen manchmal widerstehe­n. Langfristi­g zahlt es sich aus.
Foto: Insa Kohler, dpa Auch zuckersüße­n Blicken sollten Herrchen und Frauchen manchmal widerstehe­n. Langfristi­g zahlt es sich aus.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany