Als die Nazis die Innenstadt einebnen wollten
Für ein Gauforum hätten der Hermanfriedhof eingeebnet und die Synagoge abgerissen werden müssen. Der Krieg beendete die Vorbereitungen für den gigantischen Umbau / Serie (13)
Im Jahr 1926 erhielt der renommierte Architekt und Stadtplaner Professor Theodor Fischer (München) den Auftrag, für Augsburg einen „General-Baulinienplan“zu erarbeiten. Er erstellte ein Jahrhundertwerk für neue Baugebiete und für künftige Straßen in und um Augsburg. Er sah weiträumige „Umleitungsstraßen“vor. Das Altstadtgebiet sollte weitestgehend vom Autoverkehr verschont bleiben. Professor Fischer lieferte 1930 ein umfassendes Entwicklungskonzept mit „Besiedlungsplan“, „Generalbaulinienplan“und „Verkehrsplan“. Mit diesen Plänen schuf er die Voraussetzungen für 100 Jahre Straßenbau.
Im Juni 1931 stellten Augsburger Zeitungen die Pläne von Theodor Fischer der Öffentlichkeit vor. Wie visionär seine Vorstellungen waren und für welche Zeiträume er die Weichen stellte, kommt in einer 32-seitigen Begleitschrift zum Ausdruck: „Wenn Augsburg 300000 bis 400000 Einwohner hat, werden die Pläne durchgeführt sein.“Diese Prognose bewahrheitete sich teilweise früher. Hochzoll übertrifft längst die 1930 utopisch anmutende Ausdehnung, auch in Göggingen und Haunstetten sind 2021 entschieden größere Flächen besiedelt, als es Theodor Fischer 1930 prognostizierte.
Einige der vorgeschlagenen Straßenund Eisenbahntrassen hätten gewaltige Umweltzerstörungen erfordert. Sie wurden nie verwirklicht. Eine den Siebentischwald durchschneidende Straße war ökologisch tabu. Die 1930 vorgesehene Anbindung Augsburgs an die Donau durch einen Schifffahrtskanal wurde erst um 1980 endgültig verworfen. Auf dem für eine Hafenanlage reservierten Areal befindet sich jetzt die Müllverwertung. Das 1930 vorgesehene Radwegenetz war der Ortsgruppe Augsburg des „Vereins für Radfahrwege“nicht ausreichend. Sie forderte: „Kein Straßenneubau ohne Radfahrweg!“
Für Augsburg begann mit Theodor Fischers Plänen von 1930 ein neues Kapitel in der Verkehrserschließung. Von seinen Konzepten zehrt Augsburg noch immer. Die Pläne wurden 1935/36 erstmals überarbeitet und flossen in die Nachkriegs-Flächennutzungspläne von 1951, 1978 und 1995 ein. Die 1930 festgelegten Trassen für künftige Straßen zur Umfahrung der Kernstadt durften nicht mehr bebaut werden. Verwirklicht wurden vor dem Zweiten Weltkrieg nur die Autobahnzubringer. Der Bau großzügiger „Umfahrungsstraßen“begann mit der 1959 eröffneten BürgermeisterAckermann-Straße. „Tangenten“und eine „Schleifenstraße“wurden in den nachfolgenden Jahrzehnten gebaut.
Die „Fischer-Pläne“lagen vor der NS-Zeit vor. Die 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten entwickelten ihre ureigenen Vorstellungen für die „Gauhauptstadt Augsburg“. Sie sollte ein gigantisches „Gauforum“erhalten, und zwar mitten in der Stadt. Der grundlegende
„Führer-Erlass“ist mit 17. Februar 1939 datiert. Am 21. März 1939 wurde das Baugebiet für ein „Gauforum“festgelegt. Ein am 9. Juli 1940 von der städtischen Bauverwaltung signierter „Wirtschaftsplan“dokumentiert es. Der Originalplan im Maßstab 1:10000 trägt den Vermerk „Plan für die Öffentlichkeit gesperrt“. Der Plan hing in einem nur der Bauverwaltung zugänglichen Raum.
Ergänzt wird der „Wirtschaftsplan“von 1940 durch einen Detailplan der Kernstadt im Maßstab 1:2500. Er sorgt heute noch für Gänsehaut. Darin ist das geplante Gauforum eingezeichnet. Über einen Stadtplan mit bestehender Bebauung sind die Grundrisse der GauforumBauten und die Aufmarschstraßen gelegt. Dafür wären großflächige
Abbrüche im Bereich des Königsplatzes und der Bahnhofstraße nötig gewesen. Der Hermanfriedhof wäre eingeebnet, die Synagoge abgebrochen worden. Auch ein Modell des Gauforums gab es. Eine mit Detailaufnahmen aus dem Modell illustrierte Broschüre veranschaulicht das gigantische Bauvorhaben. In drei Etappen sollte das Gauforum bis zum Jahr 1955 verwirklicht sein.
Der Umbau des Stadttheaters mit Verbreiterung der Schauseite 1938/39 zählte zu den Vorbereitungen. Es sollte den nördlichen Endpunkt einer Paradestraße bilden. Die 48 Meter breite Fuggerstraße wurde dazu vorbereitet: Am 9. März 1939 begann die Baumfällung. Die Bäume waren verschwunden, die Vorgärten eingeebnet und das Theatercafé abgebrochen, als am 14. Oktober 1939 das Großprojekt gestoppt wurde. Der Kriegsbeginn zwinge „zur Umleitung bereitgestellter Mittel“, hieß die offizielle Begründung. Die Arbeiten am Gauforum seien „vorläufig“unterbrochen. Sie wurden glücklicherweise nie mehr aufgenommen. Das Gauforum blieb ein Modell. Eine Fotoserie, Beschreibungen und Pläne sind Belege für den Irrsinn in der NS-Epoche.
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Info: Die Serie „Stadtentwicklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver gangenen 200 Jahren verkehrsmäßig wan delte. Abbruchaktionen riesigen Ausma ßes schufen die Voraussetzung für neue Straßen und Bauwerke auf freigelegten Trassen.