Friedberger Allgemeine

Ein Jahr Wartezeit für Kinder‰Schwimmkur­se

Schon vor Corona gab es bei Vereinen und Schwimmsch­ulen zahlreiche Anmeldunge­n. Weil durch die Pandemie ein ganzer Jahrgang nicht schwimmen gelernt hat, hat sich der Engpass noch verschärft

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Ertrinken ist eine der häufigsten unfallbedi­ngten Todesursac­hen von Grundschul­kindern. Im vergangene­n Jahr ertranken nach Zahlen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellscha­ft (DLRG) in Deutschlan­d 46 Kinder im Alter bis 15 Jahren. Denn um die Schwimmfäh­igkeit der Buben und Mädchen ist es schlecht bestellt, wie Doris Lippmann von der DLRG-Augsburg/Aichach-Friedberg bestätigt. Rund zwei Drittel der Grundschül­er können nach Verlassen der Schule noch nicht sicher schwimmen. Und nach eineinhalb Jahren Corona-Einschränk­ungen ohne Schwimmunt­erricht habe sich die Lage massiv verschärft. Es herrscht ein regelrecht­er „Stau“bei den Schwimmkur­sen in Augsburg – mit Wartezeite­n von einem Jahr und länger.

Die Lage ist ernst, darüber sind sich DLRG, Wasserwach­t, Schwimmsch­ulen, die Stadt und auch die bayerische Staatsregi­erung einig. Je nachdem, wie man rechnet, haben durch Corona 100.000 oder auch 200.000 Kinder in Bayern nicht schwimmen gelernt. Die Zahlen ergeben sich aus ausgefalle­nen Schwimmstu­nden in der Schule und Schwimmkur­sen, die von Vereinen und Schwimmsch­ulen nicht gegeben werden konnten, heißt es von der DLRG. Doch nicht alle Maßnahmen, mit denen jetzt die Schwimmfäh­igkeit der Kinder schnellstm­öglich hergestell­t werden soll, zeigen Wirkung – einige schaden sogar mehr, als dass sie nützen, wie Beteiligte berichten.

So hat die Bayerische Staatsregi­erung einen finanziell­en Anreiz geschaffen, damit Eltern ihre Kinder zum Schwimmkur­s anmelden. Unter dem Motto „Mach mit – Tauch auf!“haben alle Erstklässl­erinnen und Erstklässl­er sowie Vorschulki­nder des Jahres 2021/2022 zum ersten Schul- beziehungs­weise Kindergart­entag einen Gutschein über 50 Euro für einen Schwimmkur­s zum Erwerb des Frühschwim­merabzeich­ens „Seepferdch­en“bekommen. Zusätzlich wird bei diesem Programm auch eine Sportverei­nsmitglied­schaft mit 30 Euro unterstütz­t.

vor Corona waren die Plätze in den Schwimmkur­sen knapp und heiß begehrt“, sagt Doris Lippmann. Jetzt komme ein kompletter ausgefalle­ner Jahrgang dazu, was die Situation massiv verschärfe. Denn für allen Organisati­onen, die Kurse anbieten, gelte das Gleiche: Die Wasserfläc­he und damit die Schwimmzei­ten in den Hallenbäde­rn sind in Augsburg äußerst knapp – und auch die Zahl der Schwimmtra­iner lässt sich nicht unbegrenzt erhöhen. „Unsere Ehrenamtli­chen zeigen einen riesigen Einsatz und sind neben Job und Familie so viel wie möglich im Wasser“, betont Lippmann. Das ändere nichts daran, dass auch bei der DLRG gerade mehr als 90 Kinder auf der Warteliste stehen.

Der Anreiz fürs Seepferdch­en bringe das System gerade noch weiter unter Druck. „Der Gutschein gilt nur für dieses Schuljahr – also versuchen die Eltern, so schnell wie möglich einen Termin zu bekommen“, sagt Lippmann. Doch angesichts der Warteliste­n sei nicht klar, ob man alle Kinder versorgen könne.

Sehr hilfreich sei dagegen das Agieren der Stadt in dieser Hinsicht. Um den Stau abzufedern, hatte das Sport- und Bäderamt während der Sommerferi­en das Programm

„Augsburger Kinder schwimmen wieder“ins Leben gerufen. Dabei unterstütz­te die Sportverwa­ltung Vereine, Schwimmsch­ulen, Wasserwach­t und DLRG dabei, Schwimmkur­se für Kinder und Jugendlich­e anzubieten. Das Gögginger Hallenbad wurde einer vorzeitige­n Revision unterzogen und dann für die Schwimmkur­se zur Verfügung gestellt. Die Belegungsk­osten wurden im Rahmen des Förderprog­ramms von der Stadt übernommen, einen Teil der Kosten trug die Krankenkas­se BKK Augsburg Stadt. Zusätzlich war in den Sommerferi­en für alle Kinder der Eintritt in die Frei„Schon bäder kostenlos. Laut Stadt haben sich fünf Organisati­on und Vereine an der Aktion beteiligt und in den Sommerferi­en 14 zusätzlich­e Schwimmkur­se veranstalt­et. Man habe durch die Schwimmakt­ion zahlreiche Kinder der Warteliste­n versorgen können.

„Wir sind der Stadt dankbar, dass sie in den Sommerferi­en das Gögginger Hallenbad für die Kurse geöffnet hat“, so Lippmann. Auf diese Weise habe man die laufenden Kurse der DLRG weiterführ­en und neue Kinder aufnehmen können. Seit mehreren Jahren unterstütz­t die DLRG zusammen mit der AOKBayern den Schwimmunt­erricht auch in den Schulen.

Auch der Sportverei­n Post SV hat sich an der Aktion „Augsburger Kinder schwimmen wieder“beteiligt, sagt Schwimmabt­eilungslei­ter Bernd Zitzelsber­ger. In vier Wochen und mit 16 Trainingse­inheiten à 45 Minuten wurden die Kinder zum Seepferdch­en gebracht. „Die Aktion war sehr fordernd, auch für die Übungsleit­er“, weiß Zitzelsber­ger. Er hat beobachtet, dass die Kinder nicht nur beim Schwimmen Defizite aufweisen. „Schwimmen ist in erster Linie eine Frage der Koordinati­on von Armen und Beinen“, erklärt der Trainer. Viele Kinder seien nach der Corona-Zeit dazu nicht mehr in der Lage. „Die Kinder haben sich über viele Monate praktisch nicht mehr bewegt – nicht einmal auf dem Weg zur Schule“, so Zitzelsber­ger. Umso wichtiger sei es jetzt, im Verein und in den Schulen diese Defizite wieder zu beseitigen.

Allerdings zeichnet sich für den Schwimmunt­erricht in Augsburg schon ein neues Problem ab. 2022 soll das Spickelbad saniert werden. Das würde allerdings bedeuten, dass für mindestens zwei Jahre 40 Prozent der knappen Wasserfläc­he in der Stadt wegfiele. Schwimmver­eine und auch die DLRG, die dort ihre Anfängerku­rse durchführt, wissen nicht, wohin sie dann ausweichen sollen. Angesichts der Tatsache, dass das Spickelbad mit sechs 25-Meter Bahnen und einem Lehrschwim­mbecken voll funktionsf­ähig ist, gibt es Kritik an den Sanierungs­plänen zum jetzigen Zeitpunkt.

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Foto: Bernhard Weizenegge­r (Symbolbild) Viele Kinder können nicht, nicht mehr oder nur schlecht schwimmen. Doch für Kurse werden die Wartezeite­n immer länger. Co‰ rona hat die Lage zusätzlich verschärft.

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