Friedberger Allgemeine

Nach drei Jahren kehren die Bewohner zurück

Im November 2018 mussten sie aus dem Gebäude im Oberen Graben von heute auf morgen ausziehen. Auch viele Senioren wurden damals ausquartie­rt. Jetzt gibt es Hoffnung, aber auch Kritik

- VON MICHAEL HÖRMANN

Fast drei Jahre liegt es zurück, dass das Haus im Oberen Graben in der Augsburger Innenstadt evakuiert werden musste. Quasi über Nacht mussten die Seniorinne­n und Senioren, die in der städtische­n Immobilie lebten, umziehen. Die Stadt Augsburg fand für die Bewohner eine Bleibe in der Bungalow-Anlage der Fritz Hintermayr’schen Stiftung im Antonsvier­tel, die Geschäfte aus dem Erdgeschos­s mussten sich nach neuen Räumen umsehen. Was anfangs als vorübergeh­ende Lösung angedacht war, entwickelt­e sich zu einer fast unendliche­n Geschichte: Das Gebäude im Oberen Graben wurde zu einer Dauerbaust­elle, der Wiedereinz­ug verzögerte sich gleich mehrfach. Jetzt gibt es Hoffnung, dass es für einen Teil der früheren Bewohnerin­nen und Bewohner bald zurückgeht. Aber das gilt nicht für alle Senioren. Einige sind zwischenze­itlich gestorben, manche leben in einer Einrichtun­g in Gersthofen.

Renate Jocher gehört zu den Bewohnern, die sehnlich darauf warten, endlich wieder in ihre alte Bleibe zu können. „Ich möchte einfach zurück“, sagt die 86-Jährige. Sie steht am Montag gegen 11 Uhr gemeinsam mit einer Freundin vor dem Gebäude mit der Hausnummer 8. Ein Termin sei vereinbart, „damit ich ein paar Dokumente aus der Wohnung holen kann“, sagt Jocher, die mit einem Rollator unterwegs ist. Die beiden Frauen sind pünktlich, ihr Ansprechpa­rtner verzögert sich. Renate Jocher ist wegen des noch immer nicht komplett sanierten Gebäudes verärgert: „Schauen Sie, ich wohne im vierten Stock, aber der Aufzug auf unserer Seite ist defekt.“Sie müsse sich jetzt wohl über den Treppenauf­gang noch oben quälen.

Das ist allerdings nicht ihre einzige Kritik an den Verantwort­lichen der Stadt: „Wir fühlen uns schlecht informiert, weil wir Bewohnerin­nen und Bewohner nicht wissen, wann wir wieder einziehen können.“Die Informatio­nspolitik sei in den zurücklieg­enden Jahren nicht gut gewesen. An der Unterbring­ung im anderen Heim gebe es aus ihrer Sicht dagegen nichts zu bemängeln. Renate Jocher erinnert daran, wie

im November 2018 eine Lösung gefunden werden musste.

An einem Freitagabe­nd musste das Gebäude kurzfristi­g evakuiert werden, weil sich herausgest­ellt hatte, dass es einsturzge­fährdet war. 21 Bewohner, zumeist ältere Personen, kamen auf die Schnelle in anderen städtische­n Alten- und Pflegeheim­en unter. Die Geschäftsl­eute, die das Gebäude im Erdgeschos­s nutzten, durften ab sofort nicht mehr zurück ins Haus. Am Tag nach der Evakuierun­g erfuhren sie, dass auch für sie andere Quartiere gefunden werden mussten. Das Haus gehört einer von der Stadt Augsburg verwaltete­n Stiftung und wird vom Wohnungs- und Stiftungsa­mt verwaltet.

Die Stadt half den Mietern bei der Suche nach Geschäftsr­äumen. Geschäftsf­rau Renate Ammer zog mit ihrem Goldschmie­degeschäft in die

Annastraße in eine städtische Immobilie. Der Friseursal­on Haarscharf kam im Haus der Friseur-Innung in der Stettenstr­aße unter. Das Haarentfer­nungsstudi­o Ipanema Waxx saß vorübergeh­end am Martin-Luther-Platz. Das vierte Geschäft im Gebäude im Oberen Graben war ein Perückenge­schäft.

Fast drei Jahre später ist die erste Mieterin nun zurückgeke­hrt. Renate Ammer hat ihr Geschäft am Monschnell tag an alter Stätte eröffnet. Am ersten Tag der Wiedereröf­fnung musste noch manches improvisie­rt werden. Das Telefon ging anfangs nicht. Renate Ammer lässt sich ihre gute Stimmung davon nicht vermiesen: „Ich bin einfach nur glücklich, jetzt wieder hier zu sein.“Es sei stets ihr Wunsch gewesen, an die frühere Betriebsst­ätte zurückzuko­mmen. Große Änderungen in den Räumen hat es nicht gegeben. Das Haus war evakuiert worden, weil es einsturzge­fährdet gewesen ist. Die Statikprob­leme sind behoben. Aber es hat sehr lange gedauert. Renate Ammer dankt der Stadt für die Unterstütz­ung, ist aber in einem Punkt nicht so glücklich: „Wir haben erst Mitte September erfahren, dass wir im Oktober wieder ins Haus dürfen.“

Auch im Geschäft nebenan herrscht am Montag Betrieb. Das Team von Haarscharf putzt und reinigt die Räume. „Bis zur Eröffnung dauert es noch ein wenig“, sagt Chefin Marianne Wagner. „Am 9. November geht’s wieder los.“Dieser Termin sei bewusst gewählt: „Damals mussten wir am 10. November 2018 raus.“Haarscharf wird sich künftig vergrößern. Da das Perücken-Geschäft nicht mehr existiert, nehme man diese zusätzlich­en Räume in Anspruch, sagt Saskia Schimpfle. Ein Großteil des Inventars war zwischenge­lagert. In den jetzigen Räumen in der Stettenstr­aße nutzt Haarscharf die Infrastruk­tur der Innung. Ebenfalls vor der Wiedereröf­fnung steht Ipanema Waxx. Die Schaufenst­er sind bereits mit Werbebotsc­haften versehen.

Die Verzögerun­gen bei der Sanierung führt die Stadt auf ein hochkomple­xes Verfahren zurück. Die immensen Schäden lagen im hinteren Bereich des Hauses, der nicht einsehbar ist. Hier musste wegen der Statik mehrmals nachgebess­ert werden. Bis zur Fertigstel­lung und Wiederinbe­triebnahme des Gebäudes werden schätzungs­weise rund fünf Millionen Euro verbaut sein. Renate Jocher freut sich jedenfalls darauf, wenn sie wieder im Oberen Graben leben kann: „Ich bin sehr gerne in der Innenstadt unterwegs.“Auch zu den Geschäftsl­euten in der Straße habe immer ein guter Kontakt bestanden. Daran möchte sie bald wieder anknüpfen.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Renate Jocher möchte nichts lieber als heute zurück in ihre Wohnung im Oberen Graben. Das Haus war vor fast drei Jahren eva‰ kuiert worden. Danach wurde es saniert.
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Renate Ammer ist mit ihrem Geschäft bereits zurückgeke­hrt ins Haus im Oberen Gra‰ ben.
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Die Zugänge zu den Wohnungen sind ge‰ genwärtig versperrt.

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