Nach drei Jahren kehren die Bewohner zurück
Im November 2018 mussten sie aus dem Gebäude im Oberen Graben von heute auf morgen ausziehen. Auch viele Senioren wurden damals ausquartiert. Jetzt gibt es Hoffnung, aber auch Kritik
Fast drei Jahre liegt es zurück, dass das Haus im Oberen Graben in der Augsburger Innenstadt evakuiert werden musste. Quasi über Nacht mussten die Seniorinnen und Senioren, die in der städtischen Immobilie lebten, umziehen. Die Stadt Augsburg fand für die Bewohner eine Bleibe in der Bungalow-Anlage der Fritz Hintermayr’schen Stiftung im Antonsviertel, die Geschäfte aus dem Erdgeschoss mussten sich nach neuen Räumen umsehen. Was anfangs als vorübergehende Lösung angedacht war, entwickelte sich zu einer fast unendlichen Geschichte: Das Gebäude im Oberen Graben wurde zu einer Dauerbaustelle, der Wiedereinzug verzögerte sich gleich mehrfach. Jetzt gibt es Hoffnung, dass es für einen Teil der früheren Bewohnerinnen und Bewohner bald zurückgeht. Aber das gilt nicht für alle Senioren. Einige sind zwischenzeitlich gestorben, manche leben in einer Einrichtung in Gersthofen.
Renate Jocher gehört zu den Bewohnern, die sehnlich darauf warten, endlich wieder in ihre alte Bleibe zu können. „Ich möchte einfach zurück“, sagt die 86-Jährige. Sie steht am Montag gegen 11 Uhr gemeinsam mit einer Freundin vor dem Gebäude mit der Hausnummer 8. Ein Termin sei vereinbart, „damit ich ein paar Dokumente aus der Wohnung holen kann“, sagt Jocher, die mit einem Rollator unterwegs ist. Die beiden Frauen sind pünktlich, ihr Ansprechpartner verzögert sich. Renate Jocher ist wegen des noch immer nicht komplett sanierten Gebäudes verärgert: „Schauen Sie, ich wohne im vierten Stock, aber der Aufzug auf unserer Seite ist defekt.“Sie müsse sich jetzt wohl über den Treppenaufgang noch oben quälen.
Das ist allerdings nicht ihre einzige Kritik an den Verantwortlichen der Stadt: „Wir fühlen uns schlecht informiert, weil wir Bewohnerinnen und Bewohner nicht wissen, wann wir wieder einziehen können.“Die Informationspolitik sei in den zurückliegenden Jahren nicht gut gewesen. An der Unterbringung im anderen Heim gebe es aus ihrer Sicht dagegen nichts zu bemängeln. Renate Jocher erinnert daran, wie
im November 2018 eine Lösung gefunden werden musste.
An einem Freitagabend musste das Gebäude kurzfristig evakuiert werden, weil sich herausgestellt hatte, dass es einsturzgefährdet war. 21 Bewohner, zumeist ältere Personen, kamen auf die Schnelle in anderen städtischen Alten- und Pflegeheimen unter. Die Geschäftsleute, die das Gebäude im Erdgeschoss nutzten, durften ab sofort nicht mehr zurück ins Haus. Am Tag nach der Evakuierung erfuhren sie, dass auch für sie andere Quartiere gefunden werden mussten. Das Haus gehört einer von der Stadt Augsburg verwalteten Stiftung und wird vom Wohnungs- und Stiftungsamt verwaltet.
Die Stadt half den Mietern bei der Suche nach Geschäftsräumen. Geschäftsfrau Renate Ammer zog mit ihrem Goldschmiedegeschäft in die
Annastraße in eine städtische Immobilie. Der Friseursalon Haarscharf kam im Haus der Friseur-Innung in der Stettenstraße unter. Das Haarentfernungsstudio Ipanema Waxx saß vorübergehend am Martin-Luther-Platz. Das vierte Geschäft im Gebäude im Oberen Graben war ein Perückengeschäft.
Fast drei Jahre später ist die erste Mieterin nun zurückgekehrt. Renate Ammer hat ihr Geschäft am Monschnell tag an alter Stätte eröffnet. Am ersten Tag der Wiedereröffnung musste noch manches improvisiert werden. Das Telefon ging anfangs nicht. Renate Ammer lässt sich ihre gute Stimmung davon nicht vermiesen: „Ich bin einfach nur glücklich, jetzt wieder hier zu sein.“Es sei stets ihr Wunsch gewesen, an die frühere Betriebsstätte zurückzukommen. Große Änderungen in den Räumen hat es nicht gegeben. Das Haus war evakuiert worden, weil es einsturzgefährdet gewesen ist. Die Statikprobleme sind behoben. Aber es hat sehr lange gedauert. Renate Ammer dankt der Stadt für die Unterstützung, ist aber in einem Punkt nicht so glücklich: „Wir haben erst Mitte September erfahren, dass wir im Oktober wieder ins Haus dürfen.“
Auch im Geschäft nebenan herrscht am Montag Betrieb. Das Team von Haarscharf putzt und reinigt die Räume. „Bis zur Eröffnung dauert es noch ein wenig“, sagt Chefin Marianne Wagner. „Am 9. November geht’s wieder los.“Dieser Termin sei bewusst gewählt: „Damals mussten wir am 10. November 2018 raus.“Haarscharf wird sich künftig vergrößern. Da das Perücken-Geschäft nicht mehr existiert, nehme man diese zusätzlichen Räume in Anspruch, sagt Saskia Schimpfle. Ein Großteil des Inventars war zwischengelagert. In den jetzigen Räumen in der Stettenstraße nutzt Haarscharf die Infrastruktur der Innung. Ebenfalls vor der Wiedereröffnung steht Ipanema Waxx. Die Schaufenster sind bereits mit Werbebotschaften versehen.
Die Verzögerungen bei der Sanierung führt die Stadt auf ein hochkomplexes Verfahren zurück. Die immensen Schäden lagen im hinteren Bereich des Hauses, der nicht einsehbar ist. Hier musste wegen der Statik mehrmals nachgebessert werden. Bis zur Fertigstellung und Wiederinbetriebnahme des Gebäudes werden schätzungsweise rund fünf Millionen Euro verbaut sein. Renate Jocher freut sich jedenfalls darauf, wenn sie wieder im Oberen Graben leben kann: „Ich bin sehr gerne in der Innenstadt unterwegs.“Auch zu den Geschäftsleuten in der Straße habe immer ein guter Kontakt bestanden. Daran möchte sie bald wieder anknüpfen.