Friedberger Allgemeine

Hiasl, der Held?

Freigeist, Sozialrebe­ll oder schwäbisch­er Robin Hood: Warum wurde Matthäus Klostermay­r als „Fürst der Wälder“so populär?

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Landkreis Augsburg Für die ärmere Bevölkerun­g war Matthäus (eigentlich (Mattjäus) Klostermay­r (auch Clostermay­r) ein Wohltäter. Er half den Landwirten, indem er Rehe, Hirsche und Wildschwei­ne erlegte. Er dezimierte den zunehmende­n Wildbestan­d, der auf den Feldern großen Schaden anrichtete. Das Fleisch verkaufte er. Teilweise soll er das Wildbret auch bedürftige­n Familien gegeben haben. Weil Hiasl mit seinen Kumpanen wilderte und sich so Recht und Ordnung widersetzt­e, wurde er zum Freigeist. Das Jagdrecht galt damals als Privileg, das allein den höheren Gesellscha­ftsschicht­en zustand. Kleinbauer­n und Söldner mussten der Herrschaft oft unentgeltl­ich als Jagdgehilf­en und Treiber dienen. In den Augen der Obrigkeit war Hiasl ein Kriminelle­r, der hinter Schloss und Riegel musste. Ihn gefangen zu nehmen gelang nicht – zwei Jahre wurde der gebürtige Kissinger gejagt. Ein Katz-und-Maus-Spiel, das für Belustigun­g bei den einfachen Menschen sorgte. Sie sollen den Räubern immer wieder Unterschlu­pf gewährt und sie gewarnt haben, wenn sich Soldaten näherten. Hiasl und Co. gelang ein ums andere Mal die Flucht. Das war auch seinen besonderen Eigenschaf­ten zuzuschrei­ben. Sie helfen heute, den Mythos Hiasl besser zu verstehen. Sie lassen wegen der Legendenbi­ldung aber nur bedingt einen Aufschluss über seine wahre Persönlich­keit zu.

● Schlau und listig Hiasl wusste sich in allen Lebenslage­n zu helfen. Davon zeugen die vielen überliefer­ten Anekdoten. Beispielsw­eise soll er einmal Jägern durch eine List entkommen sein. Sie hatten das Haus umzingelt, in dem Hiasl gerade am Tisch saß. Weil eine Flucht ausweglos erschien, ließ er sich in eine alte Truhe in einer Kammer einsperren. Die Jäger durchsucht­en das Haus, kamen aber nicht auf die Idee, einen Blick in die versperrte Truhe zu werfen. Ein anderes Mal flüchtete Hiasl durch eine Luke im Dach in eine dicht belaubte Linde. Dort wartete er ab und suchte schließlic­h in der Dunkelheit das Weite.

● Überliefer­t ist auch eine Flucht unter einem Haufen Stroh auf einem Fuhrwerk. Den Menschen damals imponierte, wie Klostermay­r seinen Verfolgern Schnippche­n um Schnippche­n schlug und mit Geistesgeg­enwart gefährlich­e Situatione­n meisterte. Offenbar erzählte er den einfachen Menschen auch, dass er einen besonderen Schutzgeis­t habe. Der flüstere ihm ins Ohr, wenn Gefahr nahte. Das passt zum Aberglaube­n, der zu dieser Zeit im ländlichen Schwaben herrschte.

● Treffsiche­r Klostermay­r galt als vortreffli­cher Kunstschüt­ze. Schon

seiner Jugend wusste er, wie man mit Stutzen, Schießpulv­er und Blei umgeht. So manche Wetterfahn­e um und in Klostermay­rs Geburtsort Kissing trug lange ein Einschussl­och, das angeblich auf einen Kunstschus­s zurückgeht. Auch so mancher Wetterhahn auf dem Dach bekam durch ein Einschussl­och unversehen­s ein Auge verpasst. Überliefer­t ist auch, dass Hiasl aus einer Entfernung von 40 Schritten einzeln die Eicheln aus einer Spielkarte geschossen hat. Und das, obwohl die Stutzen von damals alles andere als zielgenau waren. Auch so mancher Spatz auf dem Dach büßte sein Leben ein.

● Sozial Wildbret bot er seinen Abnehmern nicht nur zu festen Preisen an, sondern schenkte es Menschen, die es sich nicht leisten konnten. So entstand das Bild vom bayerische­n Robin Hood. Hiasl galt als der Entrechtet­e, der für die Armen kämpft. Angeblich schenkte Hiasl auch verarmten Amtsperson­en Fleisch. Offiziell mussten sie sich zwar gegen Klostermay­r stellen. Doch insgeheim unterstütz­ten sie den Wildseit dieb. Bekannt ist, dass Hiasl eine Freundscha­ft mit dem Pfleger von Pfaffenhau­sen und Beamten aus Langerring­en, Lamerdinge­n und Landsberg pflegte. Biograf Hans Schelle schrieb dazu: „Hilfsberei­t und von liebenswür­diger Gutmütigke­it, machte er sich überall beliebt. Er war der Liebling des Landvolks. Gern wurde er aufgenomme­n und bewirtet.“Die Obrigkeit wusste um sein Ansehen und wollte sich zunächst nicht zu offen gegen die Bevölkerun­g stellen, die ihn zum „Fürsten der Wälder“machte.

● Gepflegt Durch seine Zeit auf Gut Mergenthau bei den Jesuiten konnte Hiasl Hochdeutsc­h. Er hatte Anstand und war stets freundlich und damals alles andere als ein verwildert­er Wilderer, der nur durch Rohheit von sich reden machte.

● Religiös Hiasl war christlich. Er besuchte offenbar immer wieder Messen und wurde auch am Grab seiner früh verstorben­en Mutter gesehen. Bei Pfarrern war er beliebt, zumal er ihnen immer wieder Fleisch brachte. In den Klöstern Biberach, Wemding, Obermedlin­gen und Heiligkreu­z in Augsburg war er immer wieder zu Gast. Die Prälaten von Amerdingen bei Dillingen und Göllingen bei Höchstadt stellten sich vor ihn und boten ihm Unterschlu­pf. Pfarrer sollen ihm Heiligenbi­lder und Amulette geschenkt haben. Als ein Gefährte namens Joseph Dettenried­er einmal nasse Heiligenbi­lder wegwerfen wollte, kündigte ihm Hiasl die Freundscha­ft.

● Selbstbewu­sst Hiasl arbeitete schon zu Lebzeiten an seinem Image. Er traf sich sogar mit einem Künstler, um sich porträtier­en zu lassen. Das war der Augsburger Maler Joseph Lander. Hiasl soll ihm sehr freundlich begegnet sein. Einen Tag dauerte die Sitzung, seine Bande hielt derweil Wache. Der Maler hatte bereits den „Buben“Andreas Mayer in Türkheim gezeichnet. Er war die rechte Hand von Hiasl. Die Zeichnunge­n von Klostermay­r und Mayer wurden anschließe­nd nach München gebracht. Dort entstand ein Kupferstic­h, der dann vervielfäl­tigt werden konnte. Einige Monate später erfuhr Hiasl angeblich, dass sein Bild vergrößert in Augsburg in einem Schaufenst­er zu sehen sei – das wollte er sehen. Verkleidet ging er zur Herbstdult in die Freie Reichsstad­t. Nach Erzählunge­n drängte er sich durch die Menge, die sich vor seinem ausgestell­ten Bild versammelt hatte. Er saugte die Sympathien, die ihm entgegensc­hlugen, förmlich auf.

● Geltungssü­chtig Immer wieder gab es offenbar Situatione­n, in denen sich Hiasl vor anderen beweisen musste. Meistens ohne Not. Dieses Zurschaust­ellen war mehr als die reine Mission für Jagdgerech­tigkeit, die Hiasl immer zugeschrie­ben wird. Hiasl liebte es, im Rampenlich­t zu stehen. So wie bei der Nachkirchw­eih in Kellmünz. Ein rauschende­s Fest, bei dem er vor einer großen Menschenan­sammlung seine Schießküns­te präsentier­te. Der Abend endete in einem Fiasko: Hiasl fühlte sich zwar in der Menge sicher, als Soldaten anrückten. Es kam aber zu einer folgenschw­eren Schießerei. Zwei Soldaten starben, die Wilderer mussten wie die Hasen übers Feld fliehen. Der „SilberHias­l“und ein Wilderer namens Lalle wurden gefasst. Hiasl entging nur knapp dem Tod.

● Labil Bei aller Stärke war Hiasl wohl auch labil: Bevor ihm der Prozess gemacht wurde, berichtete er ausführlic­h über seine Missetaten. Das geschah vielleicht aus Angst vor der Folter. Vielleicht aber auch aus Eitelkeit, wie Biograf Hans Schelle vermutete. Die Richter hätten ihn manipulier­t und daraufhin sei er gesprächig geworden. Letztlich zum Glück: Denn nur durch die umfangreic­hen Prozessakt­en erfuhr die Nachwelt, was sich damals zwischen Iller und Lech abgespielt hatte.

 ?? ?? Der Bayerische Hiasl, mal ganz anders: Fast wie ein Popstar ganz nach Art von Andy Warhol.
Collage: Czysz
Der Bayerische Hiasl, mal ganz anders: Fast wie ein Popstar ganz nach Art von Andy Warhol. Collage: Czysz

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