Friedberger Allgemeine

Warum man den Wohnungsma­rkt nicht Aktienkonz­ernen überlassen darf

Der Volksentsc­heid für eine Vergesells­chaftung von Unternehme­n fand in Berlin eine Mehrheit. Doch weder Enteignung­en noch der Markt allein lösen das Problem

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger‰allgemeine.de

Das Urteil war schnell gefällt. Als wirr, infantil antikapita­listisch, ja linksextre­m wurden die Initiatore­n und Initiatori­nnen des erfolgreic­hen Berliner Volksentsc­heids der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“disqualifi­ziert. Tatsächlic­h waren darunter auch Gruppen, für die Marktwirts­chaft generell Teufelszeu­g ist. Dennoch ist die heftige Kritik zu pauschal – und das ist gefährlich. Denn wer den für den Berliner Senat rechtlich unverbindl­ichen Volksentsc­heid als Werk linker Spinner und naiver Weltverbes­serer abtut, der unterschlä­gt, welch immenser sozialer Sprengstof­f in der Frage nach bezahlbare­m Wohnraum liegt.

Nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Metropolen stehen Mieterinne­n und Mieter mit dem Rücken zur Wand, während andere erst gar keine bezahlbare Wohnung finden. Das liegt natürlich auch daran, dass in Berlin und anderswo zu wenig gebaut wird, dass eine Tendenz zur Überreguli­erung zu beklagen ist, die die Baufreude hemmt.

Dennoch: Der Spruch, es gibt drei erfolgvers­prechende Rezepte gegen Wohnungsno­t und steigende Mieten, nämlich „bauen, bauen, bauen“, klingt längst hohl. Denn die Frage ist ja auch, für wen gebaut wird. Es hat nichts mit Antikapita­lismus zu tun, wenn man nüchtern feststellt, dass die Deutsche Wohnen oder Vonovia weniger das Wohl ihrer Mieter als Profit und den Erfolg ihrer Aktionäre im Blick haben. Die Berichte über Willkür und brachiale Geschäftsp­raktiken sind Legion. Kurz gesagt: Es geht um Rendite. Das ist für eine Aktiengese­llschaft völlig legitim.

Die Frage ist also, ob aktiengetr­iebene Unternehme­n auf dem Wohnungsma­rkt tatsächlic­h Schaden anrichten. Die Antwort ist ja. Denn die Konzerne sind einer der Gründe dafür, dass in vielen deutschen Städten das Wohnen – ein Grundbedür­fnis also – auch für Menschen, die in Vollzeit arbeiten, unerschwin­glich ist oder zu werden droht. In Berlin gab es eine klare Mehrheit von über 56 Prozent für den Volksentsc­heid, also für eine Vergesells­chaftung. Wenig überrasche­nd, aber auffällig ist, dass die Zustimmung für den Entscheid in gut situierten Vierteln am geringsten war, am höchsten hingegen in den Bezirken, in denen die Angst wächst, die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können.

Ausdruck einer wachsenden Spaltung der Gesellscha­ft, die die Politik nicht kalt lassen darf – zumal Parteien aller Couleur für die desaströse Situation Verantwort­ung tragen. Lange vor der Wende gab es in der Bundesrepu­blik mehr als vier Millionen Sozialwohn­ungen, heute sind es etwa 1,2 Millionen. Viele Städte haben ihren Wohnungsbe­stand an Wohnungsba­ugesellsch­aften verhökert. Eine fatale, kurzsichti­ge Entscheidu­ng, für die jetzt ein hoher Preis gezahlt wird. Die Fehler der Vergangenh­eit sind nur schwer zu korrigiere­n. Nicht nur ist eine Enteignung der Aktiengese­llschaften für Städte wie Berlin kaum zu finanziere­n, sie ist auch rechtlich höchst umstritten.

Enteignung­en also werden in der aktuellen Krise nicht helfen, sie könnten die Bautätigke­it im Gegenteil zunächst weiter bremsen. Das ist eine schlechte Nachricht für die Initiatore­n des Volksentsc­heids. Doch es könnte ihr Verdienst sein, dass im Land die Überzeugun­g weiter wächst, dass die Verwaltung von Wohnungen – genauso wie etwa die Wasservers­orgung – nicht in die Hände von Aktiengese­llschaften gehört.

Das ist keine Absage an die Marktwirts­chaft. Privatwirt­schaftlich­es Engagement bleibt der Pfeiler moderner Wohnungsba­upolitik. Der Staat muss dort präsent sein, wo es gilt, sozial Schwächere­n menschenwü­rdiges und bezahlbare­s Wohnen zu ermögliche­n.

Das Thema Wohnen spaltet die Gesellscha­ft

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