Friedberger Allgemeine

Die erste Frau an der Spitze

Die Tunesierin Najla Bouden ist die einzige Regierungs­chefin der arabischen Welt. Auf sie wartet ein Bündel an Problemen. Und es gibt Zweifel an ihrer Ernennung

- Margit Hufnagel

Es gibt einfachere politische Aufgaben, die man sich aussuchen kann. Inmitten einer politisch mehr als zerbrechli­chen Situation übernimmt zum ersten Mal überhaupt eine Frau das Amt der Ministerpr­äsidentin in Tunesien. Noch viel mehr: Najla Bouden ist die erste Frau an der Spitze einer Regierung in der gesamten arabischen Welt. Auf ihr ruhen große Hoffnungen. Denn aus dem einstigen Musterknab­en des Nahen Ostens war zuletzt wieder ein Sorgenkind geworden. In einer Art Staatsstre­ich hatte Präsident Kais Saied den bisherigen Regierungs­chef Hichem Mechichi aus dem Amt entfernt. Seither geht die Furcht um, dass Saied noch mehr Macht an sich ziehen könnte.

Auf Najla Bouden wartet ein dickes Bündel an Problemen – auch jenseits der politische­n Krise. Tunesien hat massive wirtschaft­liche Schwierigk­eiten, die Arbeitslos­igkeit ist hoch, die Unzufriede­nheit der Menschen im Land groß. Hinzu kommt die Corona-Pandemie, noch immer gilt Tunesien als Risikogebi­et mit hohen Fallzahlen und einer schlechten medizinisc­hen Versorgung. Bouden hat sich als neue Regierungs­chefin vor allem ein Ziel gesetzt: „Unsere Hauptaufga­be wird die Korruption­sbekämpfun­g sein“, schrieb sie auf Twitter. Korruption ist in Tunesien weit verbreitet. Auch viele Abgeordnet­e des Parlaments, insbesonde­re der islamistis­chen Partei Ennahda, gelten als bestechlic­h.

Die 59-jährige Geologie-Professori­n war bis dato unter anderem als Referentin im Bildungsmi­nisterium tätig. Über ihr Privatlebe­n ist öffentlich kaum etwas bekannt. Ihre Arbeit als Wissenscha­ftlerin konzentrie­rte sich auf die Erforschun­g von Erdbeben. Im Jahr 2011 wurde sie zur Generaldir­ektorin mit Zuständigk­eit für Qualität im Ministeriu­m für Hochschulb­ildung und wissenscha­ftliche Forschung ernannt. Zuletzt arbeitete sie an einem Beschäftig­ungsprogra­mm in Kooperatio­n mit der Weltbank. Wofür sie politisch steht, ist unklar. Der Staatschef bezeichnet­e die Nominierun­g einer Frau als „Ehre für Tunesien und Anerkennun­g für die tunesische­n Frauen“. Der Aufstieg von Najla Bouden hat also eine hohe symbolisch­e Kraft. Allerdings gilt ihre politische Erfahrung eben auch als überschaub­ar – Kritiker fürchten daher, dass auch der Einfluss der Frau mit den feinen Gesichtszü­gen nicht sehr groß sein wird. Andere hoffen, dass mit ihr der Fortschrit­t zurückkehr­en wird in das Land, in dem der „Arabische Frühling“vor zehn Jahren seinen Ausgang nahm.

Fest steht, dass der Präsident viele politische Kompetenze­n an sich gezogen hat in den vergangene­n Monaten, die Richtung, die Tunesien einschlägt, weitgehend per Dekreten bestimmen will. Die Gefahr, dass die Regierungs­chefin damit zwar nach außen zum Gesicht der Moderne, nach innen aber zur Marionette von Kais Saied wird, ist durchaus realistisc­h.

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany