Friedberger Allgemeine

„Wir brauchen eine Auskunftsp­flicht“

Der Mediziner und Jurist Alexander Ehlers erklärt, warum es fatal sein kann, wenn Arbeitgebe­r den Impfstatus ihrer Angestellt­en nicht kennen. Auch eine Pflicht zum Impfen sei in einigen Bereichen verfassung­srechtlich vertretbar

- Interview: Simon Kaminski

Die erste Frage an Sie als Mediziner. Die Wissenscha­ft ist sich nicht einig, ob wir vor einem harten Winter mit wieder steil steigenden Corona-Zahlen stehen. Wie ist Ihr Eindruck? Alexander Ehlers: In der Tat ist die Lage etwas unübersich­tlich. Dass die Zahlen in Richtung Herbst und Winter jetzt wieder leicht ansteigen – und zwar die Inzidenzwe­rte, die Todesfälle und die Zahl der Intensivpa­tienten –, war zu erwarten. Das ist jetzt noch nicht dramatisch, aber vergleichb­ar mit der Entwicklun­g im Herbst 2020. Mit dem Unterschie­d natürlich, dass viele Menschen geimpft sind. Vor allem auch in der Risikogrup­pe der über 60-Jährigen. Dennoch: Wir sollten vorsichtig bleiben.

Braucht Deutschlan­d – wie die Briten – einen „Freedom Day“am 30. Oktober, an dem alle Corona-Beschränku­ngen aufgehoben werden? Genau das hatte ja der Chef der Kassenärzt­e, Andreas Gassen, gefordert.

Ehlers: Ich kann Herrn Gassen insoweit verstehen, dass wir aufpassen müssen, dass die Akzeptanz in der Gesellscha­ft schwindet. Dennoch glaube ich, dass solch ein „Freedom Day“jetzt zu früh kommen würde. Dafür sind die Unwägbarke­iten derzeit noch zu groß.

Herr Professor Ehlers, Sie beraten unter anderem das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zu rechtliche­n Fragen. Seit Wochen wird gestritten, wie die Impfquote in Deutschlan­d verbessert werden kann. Sollte 2G – also Teilnahme nur für Geimpfte und Genesene – bei öffentlich­en Veranstalt­ungen zum Standard werden?

Ehlers: Erst einmal möchte ich dem verbreitet­en Argument gegen 2G widersprec­hen, dass es sich dabei um eine mittelbare Impfpflich­t handelt. Ob man sich impfen lässt, bleibt eine freie Entscheidu­ng für diejenigen, die nicht zu medizinisc­hen Risikogrup­pen gehören, bei denen eine Impfung nicht möglich ist.

Ist 2G also sinnvoll?

Ehlers: 2G ist absolut richtig und notwendig für ausgewählt­e öffentlich­e Bereiche. Etwa für Großverans­taltungen oder Teile der Gastronomi­e. Dass das gut funktionie­rt, zeigt sich in Ländern, in denen 2G bereits eingeführt ist, wie Griechenla­nd, Frankreich, Portugal oder Italien. Schließlic­h ist das Risiko, dass es auf einer 2G-Veranstalt­ung zu einem Impfdurchb­ruch kommt, fast vernachläs­sigbar, wie Analysen zeigen. Bei 3G – also mit Getesteten – ist das Risiko deutlich höher. Eine Untersuchu­ng des Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung hat ergeben, dass 2G für die Gesellscha­ft und unsere Volkswirts­chaft viel leichter zu ertragen ist als ein neuerliche­r TeilLockdo­wn.

Ist es Zeit, auf die Maskenpfli­cht zu verzichten?

Ehlers: Das würde ich derzeit noch nicht machen. Ich halte das Tragen von Masken für eine derzeit noch zumutbare Einschränk­ung – auch für Geimpfte.

Ist der Druck auf Nichtgeimp­fte tatsächlic­h zu hoch, wie beispielsw­eise der Vorsitzend­e der Freien Wähler in Bayern, Hubert Aiwanger, beklagt? Er warnte in diesem Zusammenha­ng vor „Apartheids­diskussion­en“. Ehlers: Das war völlig daneben. Ich frage mich manchmal, warum unser Ministerpr­äsident Markus Söder so etwas noch hinnimmt. Denkt Herr Aiwanger nicht daran, dass Nichtgeimp­fte Dritte gefährden, darunter auch diejenigen, die sich aus medizinisc­hen Gründen nicht impfen lassen können?

Gleichzeit­ig werden Forderunge­n laut, für bestimmte Berufsgrup­pen – zum Beispiel für Krankenpfl­eger, Lehrer oder Flugperson­al – eine Impfpflich­t einzuführe­n.

Ehlers: Ich halte das für verfassung­srechtlich absolut vertretbar. In anderen Ländern sehen wir, dass das funktionie­rt. Und zwar dort, wo das Risiko für Dritte hoch ist – also beispielsw­eise für Pflegeheim­e, Kindergärt­en oder Schulen. Gerade Kinder und Jugendlich­e haben unter der Pandemie stark gelitten. Da geht es nicht nur um Lernrückst­ände, sondern auch um psychische Probleme. Ich würde sogar sagen, dass man über eine allgemeine Impfpflich­t nachdenken sollte, wenn es eine neue große Infektions­welle geben würde.

Arbeitgebe­r verlangen teils vehement, dass ihnen das Recht eingeräumt werden müsse, den Impfstatus ihrer Angestellt­en abzufragen. Zurecht?

Ehlers: Ja. Genau an diesem Punkt muss man aus meiner Sicht nachsteuer­n. Derzeit ist der Impfstatus für den Arbeitgebe­r nicht nachfragba­r, das ist in vielen Bereichen fatal. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Pharmaunte­rnehmen, die Medikament­e gegen Krebserkra­nkungen herstellen, verfügen über Mitarbeite­r, die im Außendiens­t Kontakt zu den Onkologen in Praxen und Krankenhäu­sern unterhalte­n. Diese Mitarbeite­r gehen also in Einrichtun­gen, in denen Ärzte arbeiten und Krebskrank­e untergebra­cht sind. Was ist, wenn unter diesen Mitarbeite­rn der Pharma-Firma ein Nichtgeimp­fter ist, der das Virus in sich trägt? Diese Situation muss der Arbeitgebe­r ausschließ­en können. Wir brauchen also eine Auskunftsp­flicht, ob jemand geimpft ist oder nicht. Die Frage ist, ob es verfassung­srechtlich durchsetzb­ar ist, dass es eine solche Auskunftsp­flicht generell für Arbeitnehm­er geben kann. Ich wäre dennoch dafür, dass man einen Vorstoß für eine solche Gesetzesin­itiative unternehme­n sollte.

Die Querdenker­szene scheint immer aggressive­r zu werden. Teilen Sie diese Sorge von Sicherheit­sexperten? Ehlers: Ich sehe eine Radikalisi­erung und bekam sie auch selber zu spüren. Im Juli habe ich ein Interview für eine Internetpl­attform zum Thema Impfpflich­t gegeben. Nur eine Stunde später gab es Hass-Mails und sogar Morddrohun­gen gegen mich. Das Problem ist, dass das Thema Corona zur Radikalisi­erung um der Radikalisi­erung willen missbrauch­t wird.

„Ich frage mich manchmal, warum Markus Söder so etwas noch hinnimmt.“

Alexander Ehlers

Was ist dagegen zu tun?

Ehlers: Es muss immer wieder über die Pandemie und Impfungen informiert werden. Darüber, dass mögliche Nebenwirku­ngen in keinem Verhältnis zu der Gefahr stehen, sich zu infizieren und schwer oder gar tödlich zu erkranken. Für die Leute, die sich radikalisi­eren und durch Fakten nicht mehr erreicht werden können, sind die Sicherheit­sbehörden zuständig.

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Foto: Bernd Settnik, dpa Wer geimpft ist, kann dies mit seinem Impfpass oder digital mit einer Smartphone‰App nachweisen. Dem Arbeitgebe­r gegenüber muss er seinen Impfstatus allerdings nicht offenlegen.
 ?? ?? Alexander Ehlers, 66, ist Anwalt für Medizin‰ recht und Facharzt für Allgemeinm­edizin. Er lebt in München.
Alexander Ehlers, 66, ist Anwalt für Medizin‰ recht und Facharzt für Allgemeinm­edizin. Er lebt in München.

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