Wie krank ist Erdogan?
Die Berater des Präsidenten wollen die Gerüchte über dessen angeschlagene Gesundheit widerlegen und fachen damit eher weitere Spekulationen an
Ankara Recep Tayyip Erdogan macht einen kleinen Hopser und wirft den Basketball in den Korb. Seine Berater klatschen. Erdogan wirft noch einmal – wieder ein Treffer. Mit einem knapp dreieinhalbminütigen Video auf Twitter trat der türkische Präsident jetzt wachsenden Spekulationen über seinen Gesundheitszustand entgegen. Die Aufnahmen, unterlegt mit peppiger Musik, zeigen den 67-Jährigen beim Basketball mit seinem Beraterstab. Er treibe dreimal die Woche Sport, schrieb der Staatschef dazu. Alles ist in Ordnung, wollte er damit sagen. Doch das sorgfältig bearbeitete Video facht die Diskussion über Erdogans Zustand eher noch weiter an, statt sie zu beenden.
Nicht zufällig wurden die Aufnahmen ausgerechnet jetzt veröffentlicht. Erdogans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun kündigte das Video schon am Vortag an. Auch andere Berater verbreiten die Botschaft, dass Erdogan fit sei. „Unser Präsident war gut in Form“, schrieb Präsidialamtssprecher Ibrahim Kalin auf Twitter. Erdogans
Mannschaft habe das Trainingsspiel auf dem Gelände des Präsidentenpalastes in Ankara mit 50 zu 24 gewonnen, jubelten regierungsnahe Medien. Der erfolgreichste Schütze war, natürlich, der Präsident mit 27 Punkten.
In seiner Jugend war Erdogan ein talentierter Fußballer, der sogar mit einer Profikarriere liebäugelte. Vor sieben Jahren zeigte er sein Können noch bei einem Promi-Spiel für seinen Lieblingsverein Basaksehir Istanbul. Verglichen mit damals ist der Präsident heute in wesentlich schlechterer Verfassung – aber er ist eben auch älter.
Erdogan-Gegner verbreiten regelmäßig Gerüchte über eine ernsthafte Erkrankung des Präsidenten, doch diese entspringen häufig reinem Wunschdenken: Erdogan regiert die Türkei seit fast 20 Jahren, ohne dass seine Gegner einen Weg gefunden hätten, ihn an der Wahlurne zu schlagen. Wegen der Wirtschaftskrise in der Türkei sinken seine persönlichen Popularitätswerte und die seiner Partei AKP seit Monaten, doch er ist nach wie vor der beliebteste Politiker des Landes.
Gesicherte Informationen über
Gesundheitsprobleme des Präsidenten gibt es nicht. Im Jahr 2011 unterzog sich Erdogan einer Darmoperation, dementierte aber Berichte über eine Krebserkrankung. Vor vier Jahren wurde er während des Morgengebets in einer Moschee ohnmächtig, was er mit vorübergehenden Blutzuckerproblemen erklärte. Wegen der Corona-Pandemie schottete sich der Präsident im vergangenen Jahr noch mehr als sonst ab und hat nach eigenen Angaben inzwischen drei Impfungen erhalten. Bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorige Woche prahlte Erdogan mit der hohen Zahl seiner Antikörper gegen das Coronavirus.
Dennoch halten sich Gerüchte über eine ernsthafte Erkrankung des Präsidenten. Im Sommer schlief Erdogan während einer Videobotschaft an seine Anhänger mitten im Satz ein. Ein paar Monate vorher musste er sich auf seine Frau Emine und einen Leibwächter stützen, als er eine Treppe hinunterging. In einer Talkshow spekulierte ein Arzt, dass Erdogan an Epilepsie leide.
Möglicherweise werde Erdogan nicht mehr in der Lage sein, bei den nächsten Wahlen in zwei Jahren noch einmal anzutreten, schrieb der Nahost-Experte Stephen Cook von der Denkfabrik CFR vor einigen Tagen in der einflussreichen USZeitschrift Foreign Policy. Cook empfahl westlichen Regierungen, sich auf diese Entwicklung einzustellen, und schrieb, Verteidigungsminister Hulusi Akar habe die besten Chancen, Erdogans Nachfolger zu werden.
Kurz nach Cooks Beitrag in der Zeitschrift, die von vielen Außenpolitikern im Westen gelesen wird, veröffentliche Erdogan sein Basketball-Video, um seine Fitness öffentlich unter Beweis zu stellen. Doch die sorgfältig bearbeiteten Aufnahmen bewirkten eher das Gegenteil: In dem Video wirkt Erdogan steif und bewegt sich kaum. Erkan Bas, Vorsitzender der kleinen Linkspartei TIP, erkannte in dem Video sogar eine Chance, den ungeliebten Präsidenten loszuwerden. Er forderte Erdogan zu einem Basketballspiel heraus: „Wer verliert, setzt sich ins Flugzeug und kommt nie mehr zurück.“