Gefahr für Gesellschaften und Existenzen
Milliarden Menschen weltweit waren stundenlang von den Internet-Diensten abgeschnitten. Während die einen darüber witzeln, hat das für andere ernste Konsequenzen. Warum es Gründe für eine kollektive Beunruhigung gibt
Augsburg Facebook baut und kauft Internet-Dienste, die ein großer Teil der Weltbevölkerung nutzt. Milliarden verschicken Nachrichten über WhatsApp an Freunde, Verwandte und Bekannte. Milliarden sind via Instagram dabei, wenn ihre Kontakte urlauben, Yoga machen oder einen Cocktail genießen. Milliarden zeigen ihren Freunden auf Facebook täglich, was sie mögen und was sie aufregt. Für viele ist Facebook gleichbedeutend mit „dem Internet“. Für einige war der Montag daher eine Grenzerfahrung: Über fast sieben Stunden hinweg hatten sie keinen Zugriff auf Facebook, Instagram und WhatsApp. Nach aktuellem Kenntnisstand hat eine interne technische Umstellung dazu geführt. Es war der längste Ausfall, seitdem Facebook 2019 schon mal stundenlang nicht erreichbar war.
Ein externer Angriff sei als Ursache ausgeschlossen, versuchte Facebook-Infrastrukturchef Santosh Janardhan am Dienstag in einem Blogbeitrag zu beruhigen. Vielmehr hätten Konfigurationsänderungen die Dienste zum Stillstand gebracht. Der wohl wichtigste Satz: „Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass Nutzerdaten während des Ausfalls bedroht gewesen wären.“
Facebook-Chef Mark Zuckerberg wusste genau, weshalb er seinen Mitarbeiter in die Offensive gehen und auf den Punkt mit den Nutzerdaten abheben ließ. Das Vertrauen seiner Nutzerinnen und Nutzer ist Facebooks größtes Pfand. Es ist nach vielen Skandalen erschüttert. Umso bemühter dürften Zuckerberg und Co. nun sein, den Zwischenfall zu erklären. Nachhaltig beruhigen kann die Facebook-Erklärung jedoch keinesfalls. Es gibt nach diesem gravierenden Zwischenfall mindestens zwei Gründe für kollektive Beunruhigung:
● Abhängigkeit Der Mega-Ausfall hat vor Augen geführt, dass Millionen Menschen viel zu abhängig von den Plattformen sind. Nicht nur privat, sondern auch existenziell. Durch einen Crash der Dienste können Existenzen und gesellschaftliche Prozesse in Gefahr geraten.
● Sicherheitsrisiko Der Mega-Ausfall wirft die Frage auf, wie sehr Facebook in der Lage ist, unser aller Daten wirklich zu schützen. Es stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar, wenn es nicht zu jeder Zeit souverän über seine Systeme verfügen kann.
Als die Facebook-Dienste am Montagabend deutscher Zeit vom Netz gingen, scherzten Mitglieder auf der Plattform Twitter: „Eltern sind gerade überrascht: Ihre Kinder können sprechen – und nicht nur bei Instagram Bilder anschauen“, schrieb einer. Andere erinnerten gleich daran, dass Instagram ohnehin toxisch und am besten gleich dauerhaft vom Netz zu nehmen sei. Erst kürzlich hatte eine Facebookinterne Studie zutage gebracht, dass das Netzwerk negative Auswirkungen auf die Psyche haben kann. Nachvollziehbar also, dass der Ausfall vielerorts durchaus wohlwollend aufgenommen wurde. Die Freude über sprechende Kinder dürfte al
ein Witz unter eher privilegierten Menschen geblieben sein. Denn für Handeltreibende bedeutete der Ausfall finanzielle Einbußen. Weltweit haben Firmen ihren Vertrieb auf Facebook aufgezogen. Zuckerbergs Imperium bietet den „Partnern“eine vermeintliche „Win-win-Situation“an: Unternehmen müssen keine eigene WebPräsenz, keinen Shop aufbauen, sondern können den FacebookBaukasten nutzen. Nicht nur in Ländern wie Indien, Südafrika oder
Usbekistan, sondern auch in Deutschland setzen Unternehmer in der Gründungsphase auf diese schlanke Shop-Lösung. Bestellungen nehmen sie im Messenger oder bei WhatsApp entgegen. Kanäle, auf denen sie nun über Stunden nicht erreichbar waren.
Der Ire Mark Donnelly ist einer dieser „Partner“, der Facebook als Plattform nutzt, um sein Klamotten-Start-up großzuziehen. Der New York Times erzählt er von erheblichen Verlusten durch den Auslerdings fall. Über Stunden hinweg von Facebook abgeschnitten zu sein, könne für Unternehmer wie ihn bedeuten, die nächste Strom- oder Mietrechnung nicht bezahlen zu können. Ein Ausfall der Facebook-Dienste kann aber nicht nur Existenzen, sondern auch gesellschaftliche Prozesse gefährden. In Krisengebieten verabreden sich Freiheitsstrebende über WhatsApp und Facebook, schicken Warnungen an Verbündete, informieren über die Sicherheitslage. Facebook ist nicht nur ein Netzwerk, über das viele Menschen Gerüchte streuen. Sicher, es gibt deutlich geeignetere Alternativen für mitunter sensible Absprachen. Aber es ist Fakt, dass vielerorts eben doch Facebook das Kommunikationsmittel der Wahl ist. Was, wenn es häufiger ausfallen würde?
Gerade in ärmeren Ländern hat sich Facebook als entscheidender Teil des Internets etabliert. Wenn seine Dienste ausfallen, versiegen Informationsquellen, bricht der zum Teil lebensnotwendige Kontakt zu Familie und Verbündeten ab. Für Menschen dort bedeutet ein Ausfall etwas anderes als für Menschen in Deutschland, Frankreich oder den USA. Kartellämter haben es nicht verhindert, lasche Regularien haben dafür gesorgt, dass Menschen vielerorts das Gefühl haben, auf Facebook-Dienste dringlich angewiesen zu sein.
Der Mega-Ausfall markiert eine Zäsur: Bislang stand Facebook vor allem wegen bewussten Verkaufs von Nutzerdaten oder dem Ausnutzen der Monopolstellung in der Kritik. All das waren fragwürdige, aber eigenständige Entscheidungen des Unternehmens. Die Tatsache, dass Facebook durch eine Kleinigkeit „down“war und das Unternehmen erst Stunden später die Dienste wieder hochfahren konnte, wirft die Frage auf, wie stark Facebook wirklich ist. Und wie geschützt unsere Daten sind. Was, wenn Verbrecher es tatsächlich schaffen, die Datenbanken zu erreichen? Muss dann auch erst ein Expertenteam losgeschickt werden und nach langer Anreise manuell eingreifen?
Der Facebook-Gründer könnte diesmal immerhin ein echtes Interesse an lückenloser Aufklärung haben: Während des Ausfalls schrumpfte sein Vermögen um sieben Milliarden US-Dollar. Möglicherweise für ihn ein schlagenderes Argument, Änderungen an Abläufen und Sicherheitsstandards voranzutreiben, als jede Absprache, die in Krisengebieten dieser Welt nicht getroffen werden konnte, als jeder Euro, den andere Klein-Unternehmer verloren haben.