Riskanter für Facebook als jeder Totalausfall
Scheinbar zufällig treffen den Internetriesen zeitgleich mit dem Computerkollaps neue Skandal-Enthüllungen. Doch es gibt einen Zusammenhang. Nach den Whistleblower-Vorwürfen drohen dem Konzern auch bei uns härtere Zeiten
Berlin In einer legendären Fernsehsendung ging die erste von zwei Skandalbomben hoch, die Facebook noch länger erschüttern könnte als der nachfolgende Totalausfall seiner drei wichtigsten Plattformen. Die CBS-Sendung „60 Minutes“hat einen Ruf wie ein Donnerhall. Der Hollywood-Regisseur Michael Mann hat der Enthüllungsendung mit dem Thriller „The Insider“ein zwiespältiges Denkmal gesetzt – mit Al Pacino als CBS-Reporter und Russell Crowe als Whistleblower, der die Machenschaften der Tabakindustrie anprangert. An diesem Sonntag plauderte eine neue Whistleblowerin brisante Insiderinformationen eines heute umso mächtigeren Konzerns aus: Facebook.
Die 37-jährige Frances Haugen bekannte sich als Insiderin, die ähnlich wie im Tabakskandal der 1990er Jahre ihre Informationen erst dem Wall Street Journal verriet. Haugen verließ den Internetriesen, weil Facebook nicht ausreichend offen damit umgehe, wie das OnlineNetzwerk oft Schaden anrichte.
Zu ihrem Job gehörte unter anderem der Kampf gegen Manipulationsversuche bei Wahlen. Doch dazu bekam sie nach eigenen Angaben kaum Mittel. Obwohl der Konzern über die negativen Auswirkungen seiner Plattformen Bescheid wisse, sei ihr Eindruck gewesen, dass bei Facebook Wachstum über alles gehe. „Es gab Interessenkonflikte zwischen dem, was für die Öffentlichkeit gut war und was für Facebook gut war“, sagte Haugen bei „60 Minutes“. Facebook habe sich immer und immer wieder dafür entschieden, nur für eigene Interessen das Geschäft zu optimieren.
Ein Beispiel sei das Soziale Fotonetzwerk Instagram. Eigene Facebook-Forschungen seien zu dem klaren Schluss gekommen, dass Instagram vor allem bei Mädchen die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verstärke und Essstörungen und Depressionen auslöse. Nach dieser Enthüllung stoppte der Konzern vorerst Pläne für eine „Instagram-Kids“-Version für Zehn- bis Zwölfjährige.
Der demokratische US-Politiker Ed Markey verglich die Vorgehensweise von Facebook mit dem verantwortungslosen Handeln der Tabakindustrie. „Instagram ist diese erste Zigarette der Kindheit“, die Teenager früh abhängig machen solle und am Ende ihre Gesundheit gefährde, sagte Markey. „Facebook agiert wie die großen Tabakkonzerne: Sie verbreiten ein Produkt, von dem sie wissen, dass es der Gesundheit junger Menschen schadet.“
Die US-Regierung hatte erst im Juni einen Rückschlag vor Gericht erlitten, den Konzern aus den jeweils marktführenden sozialen Netzwerken Facebook, Instagram und WhatsApp zu zerschlagen. Internetexperten gehen davon aus, dass Facebook wegen des politischen Drucks die technische Seite seiner Plattformen zusammenlege, um eine Zerschlagung zu erschweren. Just diese Zusammenlegungsarbeiten könnten zu dem Totalabsturz geführt haben, womit der Zusammenhang mit den jüngsten Enthüllungen nicht ganz zufällig erscheint.
Gefährlicher als der Ausfall dürfte für Facebook deshalb die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung des Internetriesen werden. Eine härtere Gangart gegen den Konzern auch in Deutschland fordern die möglicherweise bald mitregierenden Grünen. „Die Politik hat dem Treiben von Unternehmen wie
Facebook viel zu lange tatenlos zugeschaut“, sagt Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. „Auch extrem marktmächtige Akteure wie Facebook müssen endlich angemessen reguliert werden“, betont er. „Dieses jahrelange, bewusste Ignorieren massiver Probleme rächt sich heute – wenn Menschen reihenweise verhetzt und demokratische Diskurse vergiftet oder die Daten der Nutzerinnen und Nutzer zu Werbezwecken missbraucht werden“, kritisiert von Notz mit Blick auf die Enthüllungen in den USA. „Dem derzeit im Raum stehenden Verdacht gegen Facebook muss mit aller rechtsstaatlichen Entschlossenheit nachgegangen werden“, fordert von Notz. „Die scheidende Bundesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung zu unterstützen.“
Der Grünen-Politiker spricht sich künftig für einen neuen Kurs aus: „Selbstverpflichtungen reichen hier bei weitem nicht aus“, betont von Notz. Die Grünen im Europaparlament fordern, die Aufspaltung von Facebook dürfe „kein Tabu sein“.