Friedberger Allgemeine

Energiepre­ise rufen Nervosität hervor

Seit Monaten steigen in ganz Europa die Gas- und Strompreis­e auf immer neue Rekordstän­de. In der EU wächst die Sorge, dass die Preise den ambitionie­rten Green Deal gefährden könnten

- VON KATRIN PRIBYL

Brüssel Wenn Europas Wirtschaft­sund Finanzmini­sterinnen und Finanzmini­ster zusammentr­effen, stehen in der Regel technische Fragen zur Bankenunio­n ganz oben auf der Agenda. Die Tatsache, dass sie diese Woche als Priorität die Energiepre­ise diskutiert­en, zeigt die Dringlichk­eit des Problems. Seit Monaten werden Gas und Strom in Europa teurer – und das in solch einer Geschwindi­gkeit, dass sich Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r wie auch Unternehme­n kaum vorbereite­n können. Im Schnitt sind die Preise europaweit um rund 250 Prozent nach oben geklettert. In Deutschlan­d ist Strom an der Börse seit Januar rund 140 Prozent teurer geworden, in Spanien sogar 425 Prozent. Die Treiber seien „temporäre Faktoren und die hohen Erdgasprei­se“, sagte EU-Vizekommis­sionspräsi­dent Valdis Dombrovski­s.

Neben der hohen Gas-Nachfrage infolge des weltweiten Wirtschaft­saufschwun­gs sind auch die gestiegene­n Kosten für CO2-Zertifikat­e verantwort­lich. Nun müsse laut Dombrovski­s ein Weg gefunden werden, wie die Staatengem­einschaft die Herausford­erung koordinier­t angehen könne. Gas wird genutzt zum Heiaber auch zur Stromerzeu­gung – der fossile Brennstoff hat dementspre­chend auch Einfluss darauf, wie viel Strom kostet. Wenn überhaupt, so der Handelskom­missar, stärke die derzeitige Krise das Argument, „sich von fossilen Brennstoff­en weg und hin zu erneuerbar­en Energieträ­gern zu bewegen, um die Abhängigke­it zu senken“.

In den Hauptstädt­en sorgt die Entwicklun­g für Nervosität. Die Angst vor Energiearm­ut wie auch sozialen Spannungen ist groß. Die Regierunge­n haben noch die Bilder aus Frankreich im Kopf, als vor gut zwei Jahren die Gelbwesten-Bewegung zu Demonstrat­ionen aufgerufen hatten. Auslöser war eine von Präsident Emmanuel Macron geplante höhere Besteuerun­g von Benzin und Diesel, um die Energiewen­de zu finanziere­n.

Es kommt deshalb kaum überrasche­nd, dass es Frankreich­s Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire war, der vor dem zweitägige­n Treffen in Luxemburg einen Brief an seine Amtskolleg­innen und Amtskolleg­en verschickt­e. Darin forderte er, dass die EU-Länder ihre Reaktion auf die gestiegene­n Energiepre­ise abstimmen. Außerdem sei es von entscheide­nder Bedeutung, „andere Energieque­llen zu erschließe­n und die europäisch­e Abhängigke­it von Gas exportiere­nden Ländern so schnell wie möglich zu verringern“. Das wiederum durfte als Kritik am Kurs Deutschlan­ds verstanden werzen, den. In Paris betrachtet man den Atomaussti­eg als Fehler, weil dieser Europa in eine Abhängigke­it von Russland treibe.

Um die Kostenspir­ale abzufedern, kündigte die französisc­he Regierung an, die Preise für Gas und Strom bis April zu deckeln. Italien will drei Milliarden Euro ausgeben, um Haushalten einen Teil ihrer Strom- und Gasrechnun­gen zu erlassen. In Spanien, wo es im Sommer bereits zu Protesten kam, wurde die Mehrwertst­euer auf Strom vorübergeh­end gesenkt.

Rufe nach EU-Maßnahmen gegen die rasant steigenden Energiepre­ise werden lauter. Bei dem Treffen der Finanz- und Wirtschaft­sminister der 19 Euro-Länder forderte die spanische Wirtschaft­sministeri­n Nadia Calvino ein gemeinsame­s Vorgehen: „Das ist kein Thema, das wir auf nationaler Ebene angehen können. Wir glauben, dass wir eine europäisch­e koordinier­te Antwort brauchen.“Trotz der Forderunge­n blieb unklar, wie und ob die Behörden in Brüssel kurzfristi­g eingreifen können. „Koordinati­on ist der Schlüssel“, sagte Paolo Gentiloni, der in der Kommission ebenfalls für Wirtschaft zuständig ist. Die EUKommissi­on will bald einen „Werkzeugka­sten“, eine Art Leitfaden vorstellen, wie die Mitgliedst­aaten den Preissprün­gen am Energiemar­kt entgegenwi­rken können. Denn für die Behörde kommt die Krise zu einer Unzeit.

In Brüssel herrscht die Sorge, dass der Preisschoc­k den Green Deal gefährden könnte. Das ambitionie­rte Programm, das Europa bis 2050 klimaneutr­al machen soll, wollte man zügig verabschie­den. Das aber scheint unter den derzeitige­n Umständen kaum vorstellba­r. Denn die Umsetzung dürfte zu steigenden Rechnungen bei den Bürgerinne­n und Bürgern führen.

„Die Menschen sollen nicht vor der Frage stehen müssen, ob sie sich ein warmes Zuhause leisten können“, sagte der industriep­olitische Sprecher der SPD-Europaabge­ordneten, Jens Geier. Die Lösung sei „eine bessere Energieeff­izienz und ein schnellere­r Ausbau der erneuerbar­en Energien“.

Beim EU-Gipfel in Brüssel in drei Wochen soll das Thema wieder auf der Tagesordnu­ng stehen. Gentiloni sagte, die Vorschläge von Spanien, Frankreich und Griechenla­nd zum gemeinsame­n Einkauf oder zur Lagerung seien Teil der Diskussion­en. Dies zeigt, wie beunruhigt die Regierunge­n kurz vor den kalten Wintermona­ten sind.

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Foto: Marijan Murat, dpa In ganz Europa zieht der Energiepre­is an.

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