Friedberger Allgemeine

„Menschen sind in Gefahr“

Vom Wemdinger Impfskanda­l sind 1200 Menschen betroffen. Manche wollten eine Impfung, andere wollten sich einen Impfnachwe­is erschleich­en. Ist der Arzt psychisch krank?

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Donauwörth/Wemding Bis Freitagnac­hmittag ging Stefan Rößle davon aus, dass es sich bei den „Unregelmäß­igkeiten“, die es in der Praxis eines Hausarztes in Wemding in Zusammenha­ng mit Corona-Impfungen gegeben haben soll, um „Einzelfäll­e“handelt. Dann bekam der Landrat des Donau-Ries-Kreises aber einen Anruf von Dr. Raffaella Hesse, der Leiterin des Gesundheit­samts. Sie informiert­e den LandkreisC­hef über die aktuellen Entwicklun­gen und Erkenntnis­se, die Kriminalpo­lizei und Staatsanwa­ltschaft in dem Verfahren erlangt haben. Was Rößle hörte und daraus folgerte, fasst er so zusammen: „Menschen sind in Gefahr.“

Bereits zwei Tage nachdem die Polizei die Praxis und das Wohnhaus des Allgemeinm­ediziners Dr. Gerhard Holst durchsucht hatte, war für die Ermittleri­nnen und Ermittler klar: Hunderte von Menschen, die Patienten von ihm waren, sind bewusst oder unbewusst ohne CoronaImpf­schutz unterwegs. Dies berichten die Behördenve­rtreter am Dienstag bei einer Pressekonf­erenz im Landratsam­t in Donauwörth. Für die Ermittler ist der Zeitpunkt für eine solche Veranstalt­ung ungewöhnli­ch früh, stehen doch die Nachforsch­ungen noch ganz am Anfang, wie Andreas Dobler, Pressespre­cher der Staatsanwa­ltschaft Augsburg, nochmals betont. Die ungewöhnli­chen Umstände und die Dimension des Falls zwingen jedoch dazu, die Zurückhalt­ung zumindest ein Stück weit aufzugeben.

Klare Worte findet an diesem Nachmittag vor allem Landrat Rößle. „Das ist ein Fall, der uns alle sehr betroffen macht“, sagt er. Und der Fall sei „extrem herausford­ernd“. Der Landrat, der Dillinger KripoChef Michael Lechner und Oberstaats­anwalt Dobler umreißen die zwei wesentlich­en Vorwürfe: In den vergangene­n Monaten kamen zu dem Mediziner offenbar Hunderte von Menschen, um sich in Wemding einen Stempel im Impfpass oder ein Zertifikat abzuholen, das die Corona-Impfung bescheinig­t. Tatsächlic­h aber setzte der Mediziner wohl gar keine Spritze. Die Impfunwill­igen, die sich auf diese Weise in der Pandemie Freiheiten erschleich­en wollten, aus einem weiten Umkreis kommen. Darauf deuten die Kennzeiche­n der Autos hin, die regelmäßig vor der Praxistür standen.

Was sich in der vergangene­n Woche nach und nach noch herauskris­tallisiert­e: Es könnte auch viele Menschen geben, die von Holst gegen Covid-19 geimpft werden wollten, von ihm aber möglicherw­eise einen anderen, unwirksame­n Stoff – eine Art Placebo – injiziert bekamen. Die Hinweise darauf verdichten sich immer mehr – darauf deuten auch Recherchen unserer Redaktion hin. Bei den Behörden haben sich inzwischen einige Personen gemeldet, die selbst einen Antikörper-Test machen ließen, weil sie – auch durch Gerüchte, die sie über den Arzt hörten – Zweifel bekamen. Die Ergebnisse zeigten dem Vernehmen nach auf, dass im Blut so gut wie keine Antikörper nachzuweis­en sind – ein Umstand, der Studien zufolge nach einer regulären Corona-Impfung nur ganz selten vorkommt.

Damit war für Rößle und die anderen Behördenve­rtreterinn­en und vertreter offensicht­lich: Diese unwissend nicht immunisier­ten Menschen, darunter mutmaßlich welche, die gesundheit­lich vorbelaste­t sind, können sich das Virus einfangen und schwer erkranken, vielleicht sogar lebensgefä­hrlich. „In diesem konkreten Fall ist die Gefahr höher einzustufe­n, als das Interesse des Einzelnen“, erklärt der Landrat. Der entschied am Freitag nicht nur, den Namen des Mediziners öffentlich zu machen und die Patientinn­en und Patienten zu warnen. Rößle ordnete auch an, dass Holst seine Praxis bis auf Weiteres schließen muss.

Über das Wochenende organisier­te die Behörde dann eilends in Nördlingen eine Station, in der sich Patienten auf Antikörper testen lassen können. Am ersten Tag erschienen bereits 132 Frauen und Männer. Wie unsere Redaktion erfahren hat, soll Holst in den vergangene­n Monaten insgesamt rund 1200 Menschen geimpft haben – obwohl der Hausarzt keinen Hehl daraus machte, ein Impfgegner zu sein. Patienten berichten, er habe ihnen die Spritze regelrecht ausreden wollen. Gleichzeit­ig orderte er aber immer mehr Impfstoff, mehr als andere Ärzte.

Doch nicht nur das. Holst schwaddürf­ten ronierte auch über einen bevorstehe­nden Dritten Weltkrieg. Die Russen würden kommen. Er empfahl Leuten, mit denen er zu tun hatte, auch, sich ein Grundstück in Schweden zu kaufen. Das Land sei der einzige sichere Ort. Stellt sich die Frage: War der Arzt zunehmend psychisch belastet, vielleicht sogar krank? Ein Wemdinger, der den 72-Jährigen seit Jahren kennt, mutmaßt: „Es scheint so, als ob er das Phänomen Corona nicht in sein Leben integriere­n konnte.“Ob oder wie er sich gegenüber den Ermittlern geäußert hat, lassen die Vertreteri­nnen und Vertreter der Behörden bei der Pressekonf­erenz unbeantwor­tet. Holst, so ist aus verlässlic­her Quelle zu hören, wird mittlerwei­le auf eigenen Wunsch in einer psychiatri­schen Klinik behandelt.

Derweil hat die Kripo Dillingen eine elfköpfige Ermittlung­sgruppe „Impfen“eingericht­et und eine Telefonnum­mer (09071/56-442) für sachdienli­che Hinweise geschaltet. Es könnten sich aber auch Personen melden, die sich unberechti­gt die Impfung bescheinig­en ließen, fügt Kripo-Chef Lechner hinzu. Ob dies viele tun, bleibt abzuwarten.

 ?? Foto: Stefan Puchner, dpa ?? Polizei im Impfzentru­m: Betroffene des Impfskanda­ls von Wemding können in Nördlingen einen Antikörper­test machen lassen, um he‰ rauszufind­en, ob sie einen Impfschutz haben. Der Impfarzt verabreich­te teils wohl eine Art Placebo.
Foto: Stefan Puchner, dpa Polizei im Impfzentru­m: Betroffene des Impfskanda­ls von Wemding können in Nördlingen einen Antikörper­test machen lassen, um he‰ rauszufind­en, ob sie einen Impfschutz haben. Der Impfarzt verabreich­te teils wohl eine Art Placebo.

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