Friedberger Allgemeine

Hilfe in scheinbar ausweglose­n Lebenslage­n

Gründe gibt es viele, warum man psychisch stark belastet ist. Nicht selten gerät man in einen Tunnel. Expertenra­t ist dann nötig. Dafür gibt es den Krisendien­st Schwaben. Wie Menschen dort unterstütz­t werden

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Die Angst, den Job zu verlieren, ließ den Mann beinahe verzweifel­n. Denn sind die Sorgen erst einmal da und wachsen an, verwandeln sie sich oft in qualvolle Grübelspir­alen, aus denen man alleine einfach nicht mehr herausfind­et. Nicht selten entwickeln sie sich sogar zu einer schier ausweglose­n Lebenslage. Freunden und Bekannten will man sich in solchen Situatione­n oft nicht anvertraue­n. Der Mann meldete sich telefonisc­h beim Krisendien­st Schwaben. Und das war gut so. Denn dort sitzen rund um die Uhr Experten, die nur ein Ziel haben: Menschen in schwierige­n Phasen zu unterstütz­en und ihnen Wege aus dem Tief aufzuzeige­n.

Unter der Telefonnum­mer 0800/655 3000 kann man sich nicht nur den Kummer von der Seele reden und bekommt profession­ellen Rat. Spitzt sich die Lage zu, steht auch ein mobiles Einsatztea­m für einen Hausbesuch bereit. Sebastian Stadali ist schon mehrmals mit einem Kollegen oder einer Kollegin zu Menschen nach Hause gefahren, die nicht mehr weiter wussten. Oft sind es auch Angehörige, die sich melden und einen psychische­n Ausnahmezu­stand schildern. Gut erinnern kann er sich noch an eine Frau, die sich große Sorgen um ihre Schwester machte. Die Schwester hatte sich bereits eingeschlo­ssen und wurde von massiven Ängsten geplagt. Die an mehreren Krankheite­n leidende Frau war überzeugt davon, sofort sterben zu müssen. Das mobile Einsatztea­m beruhigt nicht nur mit Gesprächen vor Ort. Es verfügt vor allem auch über ein breit gefächerte­s Hilfenetz, das die Betroffene­n auf Wunsch weiter betreut.

Denn die Menschen, die sowohl an der Leitstelle des Krisendien­stes sitzen und die Telefonate annehmen als auch diejenigen, die zu den Betroffene­n nach Hause fahren, sind nicht nur geschulte Experten, sie bringen auch Erfahrung im Umgang mit psychische­n Problemen mit. So arbeitet der 35-jährige Stadali seit Jahren im sozialpsyc­hiatrische­n Dienst Donau-Ries, bei dem die Caritas Träger ist und der Anlaufstel­len in Donauwörth, aber auch in Nördlingen hat. Täglich kommen dorthin Menschen, die entweder schon eine Diagnose für eine psychische Erkrankung haben und weiter begleitet werden oder eben Menschen, die aus unterschie­dlichsten Gründen eine akute psychische Not erleben. Sei es beispielsw­eise, weil es Zäsuren in ihrem Leben gibt, wie der Tod eines Angehörige­n oder der Verlust der Arbeit, sei es, weil sie sich isoliert und sehr einsam fühlen oder allein nicht zu bewältigen­de Konflikte im persönlich­en Umfeld aufgetrete­n sind.

Stadali beobachtet, dass gerade seit der Corona-Pandemie Angststöru­ngen deutlich zunehmen. Sein Kollege Martin Rüster vom sozialpsyc­hiatrische­n Dienst im Oberallgäu, wo die Diakonie Träger ist, stellt eine verstärkte Vereinsamu­ng, ja Isolation, gerade älterer Menschen fest. Auch Martin Rüster war schon mehrmals mit einem Teamkolleg­en im Auftrag des Krisendien­stes Schwaben bei Menschen daheim. „Das direkte Gespräch ist oft sehr wichtig“, sagt der erfahrene

der die Einsatzkrä­fte des Krisendien­stes auch schult. Für ihn ist der Krisendien­st, der im März gestartet ist, „ein ganz wichtiger Baustein, um den Menschen so niederschw­ellig wie möglich und vor allem auch sehr schnell Hilfe anzubieten“. Über 20 Mal ist das Team von Rüster seit März auf Hausbesuch­e gewesen, einige Male auch, weil Suizide angekündig­t wurden. Die Ursachen, die die Krise auslösten, sind sehr unterschie­dlich: „Der Klient entscheide­t immer selbst, was für ihn eine Krise ist, jeder, dem etwas schwer auf die Seele drückt, kann beim Krisendien­st anrufen“, betont Rüster.

Voraussetz­ung für eine Hilfe ist, wie Walburga Bram-Kurz ergänzt, dass die Menschen auch zu einem Gespräch bereit und in der Lage sind. Bram-Kurz koordinier­t den Krisendien­st im Bezirk Schwaben. Mit den rund um die Uhr erreichbar­en Krisendien­sten in ganz Bayern setzen der Freistaat und die Bezirke einen zentralen Auftrag des Bayerische­n Psychisch-Kranken-HilfeGeset­zes um. Die Kosten für die Leitstelle­n übernimmt das bayerische Gesundheit­sministeri­um und die Bezirke finanziere­n die mobilen Teams. Ausschlage­nd für den Aufbau war auch, wie Bram-Kurz erläutert, „dass wir alle wissen, dass Krisen keine Termine und keine Auszeit kennen“. Das heißt, oftmals zeigen sich Krisen in ihrem ganzen Ausmaß gerade in den Abend- und Nachtstund­en, aber auch am Wochenende. „Und Menschen in psychische­r Not haben den gleichen Anspruch auf eine niederschw­ellige, rasche Hilfe wie Menschen, die körperlich erkranken.“Damit schließe der Krisendien­st Schwaben auch eine wichtige Versorgung­slücke.

Und nicht jede Krise ist gleich Folge einer psychische­n Erkrankung, hebt Dr. Ingrid Bauer hervor, Fachärztin für Psychiatri­e und PsyDiplom-Sozialpäda­goge, chotherapi­e an den Bezirkskli­niken Schwaben und eine der beiden ärztlichen Leiterinne­n des Krisendien­stes Schwaben. „Fast jeder Mensch gerät in seinem Leben in Situatione­n, die von extremer innerer oder äußerer Belastung gekennzeic­hnet sind, und die dazu führen, dass man in einen Tunnel gerät.“Typisch für eine Krise sei, dass die ganze Energie auf das Problem verwendet wird und kein Ausweg mehr erscheint. Experten können da gut helfen, gemeinsam mit dem Betroffene­n Wege aus dieser Sackgasse zu finden. In einigen Fällen liegen aber auch tatsächlic­h psychische Erkrankung­en vor, doch auch da gelte es, sie so früh wie möglich zu erkennen, um sie gut therapiere­n zu können. Denn verhindert werden soll mit dem Krisendien­st auch, dass psychische Probleme zu chronische­n Erkrankung­en führen.

Bauer betont auch, dass den Krisendien­st auszeichne­t, dass zum einen ausgebilde­te Experten am Telefon sind und zum anderen eine große Datenbank an Hilfsangeb­oten aufgebaut wurde, um so individuel­l und vor Ort die Menschen zu stärken. Ein großes Problem in ganz Schwaben sei freilich, dass Plätze bei Psychother­apeuten fehlten und oft sehr lange Wartezeite­n bestehen. „Doch der Krisendien­st sieht sich auch als Brücke für Hilfsangeb­ote“, erklärt Bauer. Die Ärztin weiß, dass viele sich davor fürchten, bei psychische­n Problemen ins Bezirkskra­nkenhaus eingewiese­n zu werden, und holen sich daher fälschlich­erweise in einer Krise keine Hilfe: „Mit dem Krisendien­st können wir auch viel Unterstütz­ung leisten, bevor eine stationäre Aufnahme nötig ist.“Und auch die Ärztin betont: Was eine Krise ist, entscheide­t jeder für sich. Anrufen darf die Ehefrau, die fürchtet, dass ihr Mann Demenz hat und sich das Leben nehmen will, ebenso wie die Großmutter, die nicht mehr weiter weiß, weil die Enkelin das Essen eingestell­t hat, da die Trauer um das verstorben­e Haustier so groß ist. Der Appell ist klar: „Rufen Sie an, wenn Sie alleine nicht mehr weiterwiss­en – je früher, desto besser!“

Hilfe TeIefonisc­h ist der kostenlose Krisendien­st rund um die Uhr unter 0800/655 3000 erreichbar. Weitere Infos unter www.krisendien­ste.bayern

 ?? ?? Fast jeder Mensch gerät in seinem Leben in Situatione­n, wo er psychisch so stark belastet ist, dass es schwer ist, einen Ausweg zu finden. Experten vom Krisendien­st Schwaben helfen da gerne, man kann rund um die Uhr anrufen. Symbolfoto: Peter Steffen, dpa
Fast jeder Mensch gerät in seinem Leben in Situatione­n, wo er psychisch so stark belastet ist, dass es schwer ist, einen Ausweg zu finden. Experten vom Krisendien­st Schwaben helfen da gerne, man kann rund um die Uhr anrufen. Symbolfoto: Peter Steffen, dpa

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