Hilfe in scheinbar ausweglosen Lebenslagen
Gründe gibt es viele, warum man psychisch stark belastet ist. Nicht selten gerät man in einen Tunnel. Expertenrat ist dann nötig. Dafür gibt es den Krisendienst Schwaben. Wie Menschen dort unterstützt werden
Augsburg Die Angst, den Job zu verlieren, ließ den Mann beinahe verzweifeln. Denn sind die Sorgen erst einmal da und wachsen an, verwandeln sie sich oft in qualvolle Grübelspiralen, aus denen man alleine einfach nicht mehr herausfindet. Nicht selten entwickeln sie sich sogar zu einer schier ausweglosen Lebenslage. Freunden und Bekannten will man sich in solchen Situationen oft nicht anvertrauen. Der Mann meldete sich telefonisch beim Krisendienst Schwaben. Und das war gut so. Denn dort sitzen rund um die Uhr Experten, die nur ein Ziel haben: Menschen in schwierigen Phasen zu unterstützen und ihnen Wege aus dem Tief aufzuzeigen.
Unter der Telefonnummer 0800/655 3000 kann man sich nicht nur den Kummer von der Seele reden und bekommt professionellen Rat. Spitzt sich die Lage zu, steht auch ein mobiles Einsatzteam für einen Hausbesuch bereit. Sebastian Stadali ist schon mehrmals mit einem Kollegen oder einer Kollegin zu Menschen nach Hause gefahren, die nicht mehr weiter wussten. Oft sind es auch Angehörige, die sich melden und einen psychischen Ausnahmezustand schildern. Gut erinnern kann er sich noch an eine Frau, die sich große Sorgen um ihre Schwester machte. Die Schwester hatte sich bereits eingeschlossen und wurde von massiven Ängsten geplagt. Die an mehreren Krankheiten leidende Frau war überzeugt davon, sofort sterben zu müssen. Das mobile Einsatzteam beruhigt nicht nur mit Gesprächen vor Ort. Es verfügt vor allem auch über ein breit gefächertes Hilfenetz, das die Betroffenen auf Wunsch weiter betreut.
Denn die Menschen, die sowohl an der Leitstelle des Krisendienstes sitzen und die Telefonate annehmen als auch diejenigen, die zu den Betroffenen nach Hause fahren, sind nicht nur geschulte Experten, sie bringen auch Erfahrung im Umgang mit psychischen Problemen mit. So arbeitet der 35-jährige Stadali seit Jahren im sozialpsychiatrischen Dienst Donau-Ries, bei dem die Caritas Träger ist und der Anlaufstellen in Donauwörth, aber auch in Nördlingen hat. Täglich kommen dorthin Menschen, die entweder schon eine Diagnose für eine psychische Erkrankung haben und weiter begleitet werden oder eben Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen eine akute psychische Not erleben. Sei es beispielsweise, weil es Zäsuren in ihrem Leben gibt, wie der Tod eines Angehörigen oder der Verlust der Arbeit, sei es, weil sie sich isoliert und sehr einsam fühlen oder allein nicht zu bewältigende Konflikte im persönlichen Umfeld aufgetreten sind.
Stadali beobachtet, dass gerade seit der Corona-Pandemie Angststörungen deutlich zunehmen. Sein Kollege Martin Rüster vom sozialpsychiatrischen Dienst im Oberallgäu, wo die Diakonie Träger ist, stellt eine verstärkte Vereinsamung, ja Isolation, gerade älterer Menschen fest. Auch Martin Rüster war schon mehrmals mit einem Teamkollegen im Auftrag des Krisendienstes Schwaben bei Menschen daheim. „Das direkte Gespräch ist oft sehr wichtig“, sagt der erfahrene
der die Einsatzkräfte des Krisendienstes auch schult. Für ihn ist der Krisendienst, der im März gestartet ist, „ein ganz wichtiger Baustein, um den Menschen so niederschwellig wie möglich und vor allem auch sehr schnell Hilfe anzubieten“. Über 20 Mal ist das Team von Rüster seit März auf Hausbesuche gewesen, einige Male auch, weil Suizide angekündigt wurden. Die Ursachen, die die Krise auslösten, sind sehr unterschiedlich: „Der Klient entscheidet immer selbst, was für ihn eine Krise ist, jeder, dem etwas schwer auf die Seele drückt, kann beim Krisendienst anrufen“, betont Rüster.
Voraussetzung für eine Hilfe ist, wie Walburga Bram-Kurz ergänzt, dass die Menschen auch zu einem Gespräch bereit und in der Lage sind. Bram-Kurz koordiniert den Krisendienst im Bezirk Schwaben. Mit den rund um die Uhr erreichbaren Krisendiensten in ganz Bayern setzen der Freistaat und die Bezirke einen zentralen Auftrag des Bayerischen Psychisch-Kranken-HilfeGesetzes um. Die Kosten für die Leitstellen übernimmt das bayerische Gesundheitsministerium und die Bezirke finanzieren die mobilen Teams. Ausschlagend für den Aufbau war auch, wie Bram-Kurz erläutert, „dass wir alle wissen, dass Krisen keine Termine und keine Auszeit kennen“. Das heißt, oftmals zeigen sich Krisen in ihrem ganzen Ausmaß gerade in den Abend- und Nachtstunden, aber auch am Wochenende. „Und Menschen in psychischer Not haben den gleichen Anspruch auf eine niederschwellige, rasche Hilfe wie Menschen, die körperlich erkranken.“Damit schließe der Krisendienst Schwaben auch eine wichtige Versorgungslücke.
Und nicht jede Krise ist gleich Folge einer psychischen Erkrankung, hebt Dr. Ingrid Bauer hervor, Fachärztin für Psychiatrie und PsyDiplom-Sozialpädagoge, chotherapie an den Bezirkskliniken Schwaben und eine der beiden ärztlichen Leiterinnen des Krisendienstes Schwaben. „Fast jeder Mensch gerät in seinem Leben in Situationen, die von extremer innerer oder äußerer Belastung gekennzeichnet sind, und die dazu führen, dass man in einen Tunnel gerät.“Typisch für eine Krise sei, dass die ganze Energie auf das Problem verwendet wird und kein Ausweg mehr erscheint. Experten können da gut helfen, gemeinsam mit dem Betroffenen Wege aus dieser Sackgasse zu finden. In einigen Fällen liegen aber auch tatsächlich psychische Erkrankungen vor, doch auch da gelte es, sie so früh wie möglich zu erkennen, um sie gut therapieren zu können. Denn verhindert werden soll mit dem Krisendienst auch, dass psychische Probleme zu chronischen Erkrankungen führen.
Bauer betont auch, dass den Krisendienst auszeichnet, dass zum einen ausgebildete Experten am Telefon sind und zum anderen eine große Datenbank an Hilfsangeboten aufgebaut wurde, um so individuell und vor Ort die Menschen zu stärken. Ein großes Problem in ganz Schwaben sei freilich, dass Plätze bei Psychotherapeuten fehlten und oft sehr lange Wartezeiten bestehen. „Doch der Krisendienst sieht sich auch als Brücke für Hilfsangebote“, erklärt Bauer. Die Ärztin weiß, dass viele sich davor fürchten, bei psychischen Problemen ins Bezirkskrankenhaus eingewiesen zu werden, und holen sich daher fälschlicherweise in einer Krise keine Hilfe: „Mit dem Krisendienst können wir auch viel Unterstützung leisten, bevor eine stationäre Aufnahme nötig ist.“Und auch die Ärztin betont: Was eine Krise ist, entscheidet jeder für sich. Anrufen darf die Ehefrau, die fürchtet, dass ihr Mann Demenz hat und sich das Leben nehmen will, ebenso wie die Großmutter, die nicht mehr weiter weiß, weil die Enkelin das Essen eingestellt hat, da die Trauer um das verstorbene Haustier so groß ist. Der Appell ist klar: „Rufen Sie an, wenn Sie alleine nicht mehr weiterwissen – je früher, desto besser!“
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Hilfe TeIefonisch ist der kostenlose Krisendienst rund um die Uhr unter 0800/655 3000 erreichbar. Weitere Infos unter www.krisendienste.bayern