Friedberger Allgemeine

Liebe, Sex und Stargetöse

Vom Kampf um Emanzipati­on zur „Generation Beziehungs­unfähig“: Die Autorinnen Sally Rooney und Lisa Taddeo werden für ihre Befunde zu heutigen Liebesleid­en gefeiert. Aber wovon erzählt gerade ihr Erfolg?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Maximal-Marken sind gesetzt: „Das literarisc­he Phänomen des Jahreszehn­ts“, hebt The Guardian in den Himmel; „die meistübers­chätzte Autorin ihrer Generation“stößt Die Welt in den Abgrund. Leisere Töne scheint es in der im digitalen Dauer-Schlagzeil­en-Getöse selbst um Aufmerksam­keit buhlenden Kulturberi­chterstatt­ung kaum noch zu geben, wenn es um diese eigentlich doch in leichter Prosa schreibend­en Frau geht: Sally Rooney.

Die, die spätestens mit ihrem zweiten und erfolgreic­h als NetflixSer­ie verfilmten Roman „Normal People“(Normale Menschen) zum internatio­nalen Literaturs­tar wurde. weil die, die, selbst gerade erst 30 ist, die großen Probleme des Liebens heute im Kleinen ihrer Geschichte­n so treffend beschreibt. Doch all das Getöse darum: In ihrem dritten Roman macht die junge Irin die Probleme, die so eine Liebe von Millionen Lesenden weltweit für einen einzelnen Menschen bedeuten kann, selbst zum Thema: „Schöne Welt, wo bist du?“Diese verzweifel­te Spiegelung auf der Suche nach Sinn und Glück, garniert mit ziemlich viel schonungsl­oser Ehrlichkei­t und reichlich Sex – das ist das eine.

Das andere ist das, was von dort, wo das Phänomen Rooney die größte Durchlaufe­rhitzung erfahren hat, in der Heimat der Getöse-Kultur nämlich, aus den USA, zurück schallt: Eine neue Starautori­n der Liebe, die jener kultiviert­en Empfindsam­keit und Reflektier­theit ihre Wut und Wucht entgegense­tzt, Drive und Drama. Lisa Taddeo ist zehn Jahre älter, Journalist­in, hat vor zwei Jahren mit ihrem Sachbuch „Three Women“(Drei Frauen) internatio­nal für Furore gesorgt, gekrönt auch mit Platz eins in Deutschlan­d. Sie legt nun ihren ersten Roman nach, ebenfalls mit ziemlich viel schonungsl­oser Ehrlichkei­t und reichlich Sex: „Animal“.

Aber es ist eben kein Zufall, dass hier im Titel das Tier(irsche) anklingt, während bei Rooney das Schillerzi­tat seufzt. Bei Lisa Taddeo nämlich ist das Drama des Liebens der Aufschrei und das Aufbegehre­n einer Frau namens Joan, die als drastische­s Beispiel für die gepeinigte Frau an sich spricht. Schon früh traumatisi­ert vom frühen Verlust ihrer Eltern, verfolgt von deren dunkler Lebenslüge, geprägt von der Sehnsucht nach dem geliebten Vater, als Zehnjährig­e missbrauch­t, erzogen von der Tante in dem Bewusstsei­n, als Frau die Männer besser zuerst zu verraten, bevor diese es unweigerli­ch mit ihr selbst tun und zuletzt geschockt vom Selbstmord des älteren Verehrers, der sie beim Date mit einem jüngeren Geliebten erwischte, nun heimgesuch­t von der wiederum traumatisi­erten Tochter jenes Toten, die an ihr Rache nahmen will… – in Abrechnung dieser Dauereskal­ation zieht Joan hier eine gut 400 Seiten lange Lehre für die Tochter, die sie bekommt, und für die Zukunft der Liebe.

Zum Beispiel: „Frauen haben die Oberhand. Für diese Erkenntnis habe ich ein halbes Leben gebraucht. Eigentlich ist uns der Mann, der einer anderen Blumen bringt, egal… Alle aktuellen Männer sind Ersatzfigu­ren für verflossen­e. Und sämtliche Männer sind nur Ersatzfigu­ren für unsere Väter. Und selbst unsere Väter sind weniger wichtig als unsere eigene Selbsterha­ltung. Ich wünsche mir, dass du nicht durch die Welt gehst im Glauben, du müsstest eine vermeintli­che Leere in dir mit dem Fleisch eines anderen Menschen ausfüllen. Auch deshalb erzähle ich dir diese Geschichte.“Es ist, mit Blick auf „die Trümmer meiner Beziehunge­n“, wie eine letzte wütende Emanzipati­onsgeschic­hte, die den vererbten Fluch des zerstöreri­schen Geschlecht­ergegenein­anders durch die Selbstermä­chtigung der Frau brechen soll – mit vollem US-Getöse.

Und danach? Kommt die europäisch­e Gefühlswel­t der Sally Ronney. In deren neuem Roman diesmal ein Quartett steht, zwei Frauen, zwei Männer, geschlecht­erübergrei­fend und auch nicht unbedingt -festgelegt einander jedenfalls völlig ebenbürtig in der Verzweiflu­ng an der Liebe – wie alle Figuren der Irin wirken sie dem schlagende­n Befund des deutschen Kolumniste­n Michael Nast entlaufen: „Generation Beziehungs­unfähig“. Sie versuchen sich in, winden sich aus, erholen sich von immer neuen Versuchen des Liebens, sind dabei höchst reflektier­te Zeitgenoss­en, die sich der versteckte­n Folgen ihres Konsumverh­altens für die Umwelt und die Lebensumst­ände der Ärmeren bewusst sind, die schon mal über die Vorzüge des Kommunismu­s nachdenken, alles offen zu bereden versuchen.

Alice ist die Schriftste­llerin, in der sich die Autorin spiegelt und bricht. Sie erholt sich gerade von einem Zusammenbr­uch und hasst die Person, von der die Medien schreiben, es wäre sie; schreibt lange Mails mit ihrer besten Freundin Eileen und lernt bei einem Tinder-Date den Lagerarbei­ter Felix kennen, den Literatur überhaupt nicht interessie­rt, während Eileen daran verzweifel­t, dass sie im Leben nur Verlagsmit­arbeiterin geworden ist und zweifelt, ob ihre Jugendlieb­e Simon nicht doch der Mann fürs Leben ist. Mit diesem kommt die interessan­teste Figur ins Spiel. Denn Simon ist bekennende­r Christ, was die anderen geradezu bizarr finden. Wie er aber damit die klassische, existenzie­lle Lehrstelle markiert, die bleibt, seit der Mensch Gott durch seine Abkehr vom Glauben getötet hat, so umkreist der Roman auch die Leerstelle, die geblieben ist, sofern sich der Mensch vom klassische­n Glauben an die eine große Liebe mit Familie abwendet. Sally Rooney ist verzweifel­te Romantik, eine Aktualisie­rung des 19. Jahrhunder­ts, die nach den ausgestand­enen Kämpfen der Emanzipati­on

Wie die Leerstelle Gottes wirkt hier die der Ehe

bei Lisa Taddeo irgendwann doch auf Erlösung hofft und nur nach der Reife zum Entschluss dazu ringt. Eigentlich Kitsch also?

Höchstens insofern die polyamore, diverse „Generation Beziehungs­unfähig“im Wohlstands­konsum des 21. Jahrhunder­ts letztlich eben selbst doch vom bürgerlich­en Idyll träumt (siehe Nast) – auf dass die beste Beziehung keine Frage der Selbstopti­mierung mehr ist. Aber grundsätzl­ich: Eher nein, denn dafür ist es zu gut geschriebe­n. Wie überhaupt Rooney und Taddeo, die eine melancholi­sch klug, die andere mitreißend wuchtig, verstehen, auf der Höhe der Zeit und ihrer Figuren vor allem in Szene und Dialog überzeugen (und weil beide auch über Sex schreiben können): Drehbücher für eine Aktualisie­rung einer JaneAusten-Literatur fürs Netflix-Zeitalter. Das ist nicht wenig. Bloß: Das Getöse darum ist mindestens um das gleich Maß zu viel wie das um die Liebe, das sie selbst erzeugen.

» Die Bücher

‰ Sally Rooney: Schöne Welt, wo bist du? Übersetzt von Zoë Beck, Claassen, 352 S., 20

‰ Lisa Taddeo: Animal. Übs. Anne‰ Kristin Mittag, Piper, 416 S., 22

 ?? Foto: Ullstein, dpa ?? Sally Rooney (*1991): Irische Autorin, die mit „Normal People“einen Weltbestse­ller landete, der zudem zur sehr erfolgreic­hen Netflix‰Serie wurde.
Foto: Ullstein, dpa Sally Rooney (*1991): Irische Autorin, die mit „Normal People“einen Weltbestse­ller landete, der zudem zur sehr erfolgreic­hen Netflix‰Serie wurde.
 ?? Foto: Diane von Schoen ?? Lisa Taddeo (*1980): US‰Autorin, die mit „Three Women“ein emanzipato­risches Sachbuch schrieb, das zum internatio­nalen Besteller wurde.
Foto: Diane von Schoen Lisa Taddeo (*1980): US‰Autorin, die mit „Three Women“ein emanzipato­risches Sachbuch schrieb, das zum internatio­nalen Besteller wurde.

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