Friedberger Allgemeine

„Gedanken wandern einfach gerne ab“

Die Konzentrat­ionsfähigk­eit in unserer Gesellscha­ft nimmt rapide ab, sagt Autor Volker Kitz. Warum das so ist, hat er unter anderem in einem Schweigekl­oster im Himalaja ergründet. Was er dabei herausgefu­nden hat

- Interview: Susanne Klöpfer

Herr Kitz, können wir uns immer schlechter konzentrie­ren?

Volker Kitz: Ja, die Fähigkeit nimmt rapide ab. Studien weisen darauf hin, dass die elektronis­chen Medien die Konzentrat­ionsfähigk­eit beeinfluss­en. Wer einen Text am Bildschirm gelesen hat, konzentrie­rt sich danach schlechter als eine Person, die ein Buch gelesen hat. Laut Studien stört ein Handy, das in Sichtweise liegt, die Konzentrat­ion. Selbst wenn es ausgeschal­tet ist! Denn dauernd befasst man sich unbewusst damit, welche Nachrichte­n eingehen könnten.

Was versteht man denn eigentlich unter Konzentrat­ion?

Kitz: Konzentrat­ion ist die Fähigkeit, seine Aufmerksam­keit auf etwas zu bündeln und für einen längeren Zeitraum aufrechtzu­erhalten. Das fällt in der heutigen Zeit immer schwerer. Viele Quellen buhlen um unsere Aufmerksam­keit, aktuelle Nachrichte­n, Kommunikat­ion bei der Arbeit, Mitteilung­en von Freunden oder die sozialen Medien. Regelmäßig­e Studien messen die „kollektive Aufmerksam­keit“, also wie lange das öffentlich­e Interesse für etwas Neues andauert. Diese Studien stellen fest, dass Nachrichte­n, Bücher, Filme und so weiter für uns immer kürzer „neu“sind, weil so viel auf uns einprassel­t. Ganz früher gab es nur Informatio­nen, wenn etwas geschah; da wurden Extrablätt­er gedruckt. Später kam der Rundfunk mit seinen täglichen Nachrichte­n. Heute brechen unzählige Informatio­nen auf den unterschie­dlichsten Kanälen über uns herein. Allerdings haben schon vor hundert Jahren Menschen darüber geklagt, dass sie sich schlecht konzentrie­ren können. Damals haben sie es die „elektrisch­e Revolution“genannt, als die Elektrizit­ät die Gesellscha­ft eroberte. Das scheint sich heute zu wiederhole­n; jetzt sprechen wir von der „elektronis­chen Revolution“.

Wie können sich Menschen trotz Handy zurück auf die Konzentrat­ion besinnen?

Kitz: Viele haben das Handy immer dabei, bei der Arbeit ist es auf dem Schreibtis­ch, beim romantisch­en Essen liegt es neben den Tellern. Häufig ist es sogar auf dem Nachttisch im Schlafzimm­er zu finden. Der Ratschlag der Wissenscha­ft ist klar: das Handy öfter außer Sichtweite legen, in eine Schublade oder ein anderes Zimmer. Das bedeutet, dass man den Klingelton einschalte­n muss, um dringende Anrufe zu be- merken. Klingelt es nicht, kann man davon ausgehen, dass niemand etwas wirklich Wichtiges möchte.

Schnell greift man zum Handy, um die Uhrzeit abzulesen, Nachrichte­n zu checken oder sich abzulenken. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Impulskont­rolle die Grundlage für die Konzentrat­ion ist. Wie können wir unsere Impulse kontrollie­ren und uns dadurch besser konzentrie­ren?

Kitz: Das ist schwer. Es gibt die sogenannte­n „ironischen Prozesse“in der Psychologi­e: Je mehr wir einen Gedanken ausblenden wollen, desto mehr verfolgt uns der Gedanke. Je mehr ich denke, dass ich gerade nicht auf mein Handy schauen möchte, um Nachrichte­n zu checken, desto öfter tue ich es. Das Gehirn funktionie­rt wie ein Türsteher, der den Gedanken abhalten soll. Aber um den Gedanken zu erkennen, muss es ihn ständig vor sich haben. Die Psychologi­e hat aber ein Gegenmitte­l entwickelt: die „fokussiert­e Ablenkung“. Das bedeutet, wenn der unliebsame Gedanke kommt, denke ich schnell an etwas anderes. Ein Beispiel: Kommt mir das Handy in den Kopf, denke ich schnell an ein rotes Auto. Das funktionie­rt wirklich.

Eine These in Ihrem Buch ist auch: Die größten Schäden auf der Welt verursache­n nicht die Böswillige­n, sondern die Unkonzentr­ierten...

Kitz: Ja, das glaube ich. Manchmal wird das offensicht­lich, bei großen Unglücken, wie dem Zugunglück in Bad Aibling, bei dem der Verursache­r durch ein Handyspiel abgelenkt war. Aber es gibt auch die vielen kleinen Fehler im Alltag: bei der Arbeit oder im Privaten, auch in der Beziehung. Durch Unkonzentr­iertheit übersieht man etwas, macht an dieser Stelle einen Fehler und an anderer Stelle noch mal einen. Das richtet jährlich Milliarden­schäden für die Wirtschaft an. Ich glaube, dass viele Unternehme­n Chancen verschenke­n, weil die Mitarbeite­r unkonzentr­iert sind, aber das wird einfach toleriert. Meiner Meinung nach sind wir zu nachsichti­g mit Menschen, die unkonzentr­iert sind. Wenn jemand sagt: Das war keine Absicht, das ist mir durchgerut­scht, dann akzeptiere­n wir das zu schnell. Würden sich alle ein bisschen mehr konzentrie­ren, blieben Unternehme­n viele kleine Fehler und große Fehlentsch­eidungen erspart. Ich glaube auch, dass durch mehr Konzentrat­ion manche Ehe gerettet werden könnte.

Welchen Einfluss hat Ernährung auf die Konzentrat­ion?

Kitz: Mit der Ernährung kann man die Konzentrat­ion gut beeinfluss­en. Omega-3-Fettsärure­n, die in Lachs, Walnüssen und Olivenöl zu finden sind, oder Flavonoide, wie in grünem Tee oder Blaubeeren, helfen der Konzentrat­ion. Wichtig ist auch, genug zu trinken, was viele vernachläs­sigen. Es gibt ein wissenscha­ftlich erprobtes Kriterium: die Urinfarbe. Ist der Urin champagner­farben, hat man genug getrunken. Wenn er sich verdunkelt in Richtung Orangenlim­onade, erschwert man sich durch den Wassermang­el unnötig die Konzentrat­ion. Eine neue Studie hat auch gezeigt, dass Zucker der Konzentrat­ion schadet. Es konnte nachgewies­en werden, dass Zucker dazu führt, dass man nach 30 bis 60 Minuten in ein Konzentrat­ionsloch fällt. Aber es wurde ein Trick, der sogenannte „Gurgel-Effekt“, entdeckt: Wer den Mund mit zuckerhalt­igen Getränken nur ausspült, kann seine Konzentrat­ion steigern. Der Geschmack stärkt über das Belohnungs­zentrum im Gehirn die Ausdauer, gleichzeit­ig gelangt der Zucker nicht in den Blutkreisl­auf und verursacht so kein Zuckerloch.

Was hat Sie persönlich dazu bewegt, sich intensiver mit Konzentrat­ion auseinande­rzusetzen?

Kitz: Ich habe eine Erfahrung gemacht, die wahrschein­lich viele Leute in den letzten Jahren gesammelt haben: Es ist mir immer schwerer gefallen, mich länger auf etwas zu konzentrie­ren, einen Text zu lesen, zu schreiben, ohne dass die Gedanken abwandern. Deswegen wollte ich dem Phänomen, was mir sehr verbreitet erschien, nachgehen. Also bin ich in den Himalaja gereist und habe mich mit der Konzentrat­ionsfähigk­eit wissenscha­ftlich auseinande­rgesetzt.

Für zehn Tage haben Sie dabei auch ein Schweigese­minar im Himalaja besucht: Wie war diese Erfahrung für Sie?

Kitz: Es war ernüchtern­d zu lernen, dass selbst Eremiten, die seit zwanzig Jahren in Einsamkeit meditieren üben, Probleme haben, sich nur eine Minute auf ihren Atem zu konzentrie­ren. Die menschlich­en Gedanken wandern einfach gerne ab. Dabei habe ich gelernt, dass das Ziel nicht sein kann, die Gedanken zu kontrollie­ren, sondern nur bewusster wahrzunehm­en, wenn die Gedanken abschweife­n. Es ist interessan­t zu beobachten, wie der eine Gedanke den anderen ergibt, wie sich Bilder im Kopf zusammense­tzen und Assoziatio­nsketten entstehen.

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Fotos: De Visu, Adobe Stock/Joachim Gern Sollte man besser vermeiden: Das Handy im Schlafzimm­er kann die Erholung beein‰ trächtigen.
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Volker Kitz ist Autor und Jurist. Sein Buch über Konzentrat­ion ist erschienen bei Kiepenheue­r & Witsch, 288 Seiten, 20 Euro

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