Friedberger Allgemeine

Der letzte Triumph des Rock

Vor 30 Jahren erschien nicht nur eine ganze Reihe legendärer Alben. Der Rock-Jahrgang 1991 prägte zudem noch einmal eine ganze Generation

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Augsburg Es scheint zwar, als hätte Neil Young recht gehabt, als er 1979 in „My my, hey hey“legendär postuliert­e, dass Rock’n’Roll gekommen sei, um zu bleiben, dass es tatsächlic­h stimmt: „Rock’n’Roll can never die!“Denn mag heute längst Rap mit all seinen Spielarten die kommerziel­l erfolgreic­hste Musikricht­ung der Welt sein – auch jede Menge Kids im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunder­ts lieben eine dominante E-Gitarre, von immer neuen Indie-Kunstblüte­n bis zur Wucht des Metal Core. Aber ein Jahr wie 1991 wird es wohl nie wieder geben.

Denn es war schlicht ein Wahnsinnsj­ahr, hunderte Millionen verkaufter Rock-Alben, Rock-Videos in Dauerschle­ife im Musikferns­ehen MTV, Rock an den internatio­nalen Hitparaden-Spitzen – Rock noch einmal als Soundtrack einer ganzen Generation, die die existenzie­lle Fragwürdig­keit gleich als Label verpasst bekam: Generation X. Innerhalb weniger Wochen in jenem Spätsommer und Herbst vor 30 Jahren nämlich erschienen Platten geradezu in Serie, die kommerziel­l eminent erfolgreic­h und zugleich nachhaltig stilprägen­d waren – was nun wirklich keine selbstvers­tändliche Verbindung ist.

Es begann im August mit Metallica und dem selbstbeti­telten, dem schwarzen Album – das die Thrash

Metal-Heroen plötzlich zu ChartKnüll­ern machte und zu Weltstars auf der ganzen Rock-Klaviatur, von Treibendem wie „Enter Sandman“und „Wherever I May Roam“bis zu Balladen wie „The Unforgiven“und „Nothing Else Matters“.

Und es folgte ein regelrecht­er Urknall des Grunge. Vor allem mit Nirvana und deren zweitem Album „Nevermind“, durch das vor allem Frontmann Kurt Cobain zu einer Art Anti-Posterboy-Posterboy der Generation X wurde. „We are stupid and contagious“, heißt es im größten Hit „Smells Like Teen Spirit“: „Wir sind dumm und ansteckend.“Und ausgerechn­et der zur gehassten Industrie zählende Sender MTV spielte das Video rauf und runter. Im Wechsel mit Pearl Jams „Alive“, die in diesem Wahnsinnsh­erbst ja auch ihr Debütalbum „Ten“mit reichlich weiteren Hits veröffentl­ichten und so mit dafür sorgten, dass dieser verzweifel­t-wütende Rock-Bastard namens Grunge zum Massenphän­omen wurde.

Und genau in diesen Wochen, in der zweiten Septemberh­älfte 1991 wurden zudem noch veröffentl­icht: „Blood Sugar Sex Magik“von den Red Hot Chili Peppers und das Doppelalbu­m „Use Your Illusion, Part I & II“von Guns N’ Roses: Meilenstei­ne. Die Gunners lieferten die poppigsten Hymnen ihrer Karriere wie „Don’t Cry“, „November Rain“und das Dylan-Cover „Knockin’ on Heaven’s Door“, dazu den auch im Kinohit des Jahres „Terminator 2“verwendete­n Knaller „You Could Be Mine“– und Sänger Axl Rose und Gitarrist Slash wurden auch zu den Helden der Rock-Fans, die in Cobains Grunge-Gestus einen Verrat an der Rock-Musik sahen.

Die Chilis wiederum landeten nicht nur erstmals ganz oben in den Charts und in der MTV-Dauerschle­ife mit Hits wie „Under the Bridge“und „Give it Away“– sie wiesen mit ihrem Funk in Anthony Kiedis’ Sprechgesa­ng und vor allem dem Basswahnsi­nn von Flea dem Rock eine alte Spur neu und wurden darüber zu Superstars.

Und es war dies eben nicht nur die erstaunlic­he Häufung dieser eindrucksv­ollen Neuveröffe­ntlichunge­n. Es war zudem die nochmalige Rückkehr der Rockmusik zu ihrer vollen generation­sprägenden Kraft. Was Ende der 60er Jahre mit den Doors und Jimi Hendrix, mit Led Zeppelin und The Who von der rebellisch­en Gegenkultu­r zum Massenphän­omen geworden war und sich die 70er hindurch über die Rolling Stones und AC/DC, The Clash und Bruce Springstee­n in immer weiteren Sparten, immer bestimmend­eren Zügen entfaltet hatte, war im Lauf der 80er Jahre zur Normalität geschrumpf­t, in Szenen zerfallen und als wirkmächti­gste Richtung der Populärmus­ik abgelöst worden. Der neue Klang der

Auflehnung hieß Hip-Hop, Klang der Zeit aber wurde die Popmusik: Michael Jacksons „Thriller“, Madonnas „Like a Virgin“, Prince’ „Purple Rain“erschienen, The Police nahmen „Synchronic­ity“auf. Und MTV versendete die Pop-Ästhetik in die Welt … – auf dass gerade diese Kanäle noch einmal gekapert wurden von Wut und von Wucht und von Verzweiflu­ng, von Rock 1991.

Der nächste Hype aber stand da schon in den Startlöche­rn, mit der Gründung von Oasis, dem ersten Album von Blur: Brit-Pop. Natürlich erlebte auch der Rock weiter solche Blitzeinsc­hläge, gleich 1992 mit dem Debüt von Rage Against the Machine und dann auch weiter in den 90ern mit Linkin Park und Muse. Aber prägend ist das – zumal in Zeiten der in Interessen­sgruppen zerfallene­n (Musik-)Öffentlich­keit, von Youtube und Spotify statt MTV – nur noch für Sparten und deren Publikum.

Das aber füllt den Helden von 1991 noch heute Stadien, den wiedererwe­ckten Gunners, den unermüdlic­hen Chili Peppers, den ewigen Metallica – sofern eben nicht, wie für den längst von den Flammen des Lebens verzehrten Anti-Posterboy-Posterboy Cobain, gilt, was Neil Young auch sang: „It’s better to burn out than to fade away“. Es ist besser auszubrenn­en, als zu verblassen!

 ?? Fotos: Felix Hörhager, Tor Erik Schroder, Thomas Frey, Robert Sorbo / AP, dpa ?? Bis auf Nirvana‰Sänger Kurt Cobain (unten links), der sich 1994 das Leben nahm, sind die Stars des Jahres 1991 noch immer – oder immer wieder – gut im Geschäft und auch unterwegs auf Tour (im Uhrzeigers­inn): Metallica‰Frontmann James Hetfield, Slash von Guns N’ Roses oder auch Anthony Kiedis und Bassist Michael „Flea“Balzary von den Red Hot Chili Peppers.
Fotos: Felix Hörhager, Tor Erik Schroder, Thomas Frey, Robert Sorbo / AP, dpa Bis auf Nirvana‰Sänger Kurt Cobain (unten links), der sich 1994 das Leben nahm, sind die Stars des Jahres 1991 noch immer – oder immer wieder – gut im Geschäft und auch unterwegs auf Tour (im Uhrzeigers­inn): Metallica‰Frontmann James Hetfield, Slash von Guns N’ Roses oder auch Anthony Kiedis und Bassist Michael „Flea“Balzary von den Red Hot Chili Peppers.
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany