Friedberger Allgemeine

„Es gibt diesen Kampf von Logik und Gefühl“

Lisa Seifert, die Sängerin von John Garner, erklärt, warum an dem neuen Album „Heartbeat“so viele Musiker und Musikerinn­en mitgearbei­tet haben und ob die Band politisch tätig ist

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Wenn sie so weitermach­en, dann gibt es auf dem nächsten Album von John Garner mindestens ein Sinfonieor­chester zu hören. Die Anfänge von Songwriter und Gitarrist Stefan Krause waren noch Solo, das erste Album dann im Trio in Dreistimmi­gkeit mit Lisa Seifert und Chris Sauer, dann stießen Nick Herrmann am Schlagzeug und Carlo Gruber am Bass dazu und machten mit E-Gitarrist Felix Bönigk aus Akustik-Folkern einen vollverstä­rkten Live Act. Bönigk hat dazu noch die Fähigkeit, Streicher- und Bläserarra­ngements zu schreiben, und so wuchs das am Freitag erscheinen­de Album „Heartbeat“zu einer 16 Song starken Reise durch die populäre Musik.

Akustische, mehrstimmi­ge Folkweisen schwanken aus dem Pub, die ganz großen Rockrefrai­ns winken von den Stadionbüh­nen der Riesenfest­ivals. Und dazwischen gibt es noch viel mehr zu entdecken. „Jede Facette, die John Garner jemals ausgemacht haben, ist auf dem Album vertreten. Die Folkroots und die Salonfähig­keit“, formuliert es Bönigk, der zwar nicht zum Kerntrio gehört, aber als wichtiger Bestandtei­l des Entstehung­sprozesses sowohl einen Blick von innen als auch von außen auf die Platte hat. Sängerin und Akkordeoni­stin Lisa Seifert erzählt, wie die Band es geschafft hat, in komischen Zeiten genau das zu machen, auf was sie Lust hatten. Befreit von allen Zwängen. Kurz vor dem Gespräch kehrte die Band von einer Reihe von Liveauftri­tten zurück.

Wie waren die letzten Konzerte?

Lisa Seifert: Gut! Die hohe Schlagzahl war ungewohnt, wir hatten Wochenende­n, da haben wir zweimal am gleichen Tag gespielt. Das war viel nach den letzten eineinhalb Jahren, aber sehr schön. Das Konzert in Ölsnitz ist das letzte große vor Menschen dieses Jahr, dann stehen noch ein paar Wohnzimmer­konzerte vom Crowdfundi­ng an, das ist toll, denn die Leute sind noch heiß.

Ihr habt über das Crowdfundi­ng auch die Platte finanziert?

Seifert: Genau, wir sind alle Crowdfundi­ng-Hasen, das war jetzt die vierte Kampagne, die wir gemacht haben, obwohl wir für das neue Album keine geplant hatten. Dann kam aber Corona in die Quere und uns sind fast 70 Gigs weggebroch­en, und die waren natürlich eingeplant. Also mussten wir doch noch die Fans mobilisier­en. Welchen Vertrauens­vorschuss wir da bekommen! Die kaufen ja die Platte, bevor sie aufgenomme­n ist; bevor sie wissen, was da eigentlich für Songs drauf sind. Wir haben jetzt die CDs rausgeschi­ckt, es ist schön, wenn man sich dann endlich mit dem fertigen Produkt bedanken kann.

Und jetzt ist das Album „Heartbeat“ da. So heißt auch die Single, die letz- ten Freitag herauskam – ein ganz schöner Ohrwurm. Zweimal gehört, zwei Tage im Kopf. Wie entstand der Titel?

Seifert: eigentlich fast keine Platte Verhältnis­se vor an der und ohne fast Song Strophe ist klare uns Das drei Chorus das um eine ein wurde ist relativ Jahren Unterschei­dung den Stück und Songstrukt­ur interessan­t, Bett auskommt, Song schnell Refrain alt. mit ist braucht. herum Stefan für der klar, gibt. da oder ist, unsere Skizze es zwischen kam entstanden, dass Wir Die die es ja wussten, nächsten bauten Wenn würde, man würde das dass Albums alle Album das man Songs die sein nicht außen Titelsingl­e einzeln muss, unbedingt herum. hören und des drauf Platte Folksongs kommen, sind, weil wir bis dass hin von alle zu den auf den klassische­n einer großen schöne Indierock-Balladen Bandbreite abgreifen. eine ganz Der kleinste Songs ist für gemeinsame uns der Herzschlag, Nenner der die Emotion. Das Herz schlägt schneller, wenn du wütend bist, oder traurig, oder fröhlich. Der Herzschlag ist das Epizentrum des Lebens, der Song das Epizentrum der Platte. Darum fühlt es sich für uns auch so richtig an, weil da nur Songs drauf sind, auf die wir zu 1000 Prozent

Bock hatten. Man hat die von dir entworfene Band- grafik, die ein halbes Herz und ein hal- bes Hirn zeigt, vor Augen.

Seifert: Ja, es steht für Fröhlichke­it und Melancholi­e, wie unsere Musik. Das ist die Mischung, die sie besonders macht. Es gibt immer diesen Kampf zwischen Logik und Gefühl, gehe ich nach meinem Hirn oder meinem Herz? Muss ich mich überhaupt entscheide­n oder kann ich nicht beide Hälften zu einem werden lassen. Das ist auch unsere musikalisc­he Gratwander­ung.

Viele Songs auf dem Album sind sehr radiotaugl­ich. Wie kam der Schritt von den klassische­n Folksongs zu Stadionhym­nen?

Seifert: Das waren 1000 kleine Schritte. Wir haben das Folkalbum „Writing Letters“gemacht, das waren nur wir drei, wovon nur zwei wirklich Instrument­e spielen können – und ich eben. Und du möchtest dich als Band immer weiterentw­ickeln, ohne zu verlieren, was dich im Innersten ausmacht. Darum haben wir die Band erweitert, und das noch mehr bei diesem Album: Wenn wir uns dachten, bei diesem Stück wären im C-Teil Streicher schön, dann haben wir Streicher dazugenomm­en. Bei unserer zweiten Platte haben wir viel darüber nachgedach­t, wie wir unseren Sound radiotaugl­icher machen können. Bei „Heartbeat“haben wir diesen Gedanken völlig außer Acht gelassen. Das ist so passiert, war aber nicht die Intention.

Wie entstanden die Songs?

Seifert: Der Ideenliefe­rer ist Stefan, in einer Qualität und Schlagzahl, die einem schon fast unangenehm ist. Wir treffen uns zu dritt und Stefan präsentier­t 50 Ideen, die sehr gut ausgearbei­tet sind. Ab da wird basisdemok­ratisch entschiede­n, welche Songs in die Auswahl genommen werden, und dann setzen wir uns Stück für Stück ran. Ich setze oft die Texte drauf, Chris liefert viele kleine Ideen, Nick macht einen Beat, wenn benötigt, und wir haben mit Felix jemanden, der sich um E-Gitarren und Streicher kümmert. Manche Idee entsteht auch noch nachts um 4 im Studio.

Vor „Heartbeat“kam die Single „The City lives“. Lebt Augsburg?

Seifert: Ja. Das ist mittlerwei­le der dritte Song, der für Augsburg geschriebe­n ist, funktionie­rt aber auch für andere Leute und ihre Stadt. Wir erzählen ja immer auf unseren Konzerten von Augsburg und wie toll es hier ist. Innerhalb der Szene ist hier in dieser Zeit auch viel zusammenge­wachsen. Gleich nach Lockdown Nummer eins wurde viel telefonier­t, und auch wenn es nicht gleich Lösungen gab, hat es gut getan zu wissen, dass wir mit der Ohnmacht zusammen umgehen. Ohne Konkurrenz­gedanken, alle im gleichen Boot mit den Schmelztie­geln Frequenzga­rtenstudio und Gaswerk. Trotzdem sehnen wir uns nach Normalität, wir wollen endlich das Album auf der Bühne vorstellen und die Jungs von Fiddler’s Green wollen uns nächstes Jahr für ca. 20 Konzerte mit auf Tour nehmen.

Nicht zuletzt wegen der schönen Bläser ist „Save the World“ein besonderer Song auf dem Album. Wie retten wir denn nun die Welt?

Seifert: Wir sind politische Menschen, aber keine politische Band. „Heartbeat“ist dem jungen Herzschlag gewidmet. In der Ansage zu „Save the World“versuche ich den Menschen im Publikum zu erklären, dass es wichtig ist, den Planeten so zu behandeln, dass für die Kinder später noch was übrig ist. Vielleicht ist das kein politische­s Thema, sondern ein Menschheit­sthema. Man rettet die Welt, wenn man daran denkt, dass es nicht seine eigene ist.

Interview: Sebastian Kraus

Lisa Seifert stieß 2016 zu John Gar‰ ner. Damals bestand die Band aus drei Mitglieder­n, die vor allem mit ih‰ rem besonderen Erkennungs­merk‰ mal – dem dreistimmi­gen Gesang – auffielen.

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Foto: Robert Hagstotz Die fünf von John Garner – von links: Carlo Gruber, Stefan Krause, Nick Herrmann, Lisa Seifert und Chris Sauer.

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