„Da sitzen Sie fassungslos vor Facebook“
Oberbürgermeisterin Eva Weber hat sich vor drei Monaten weitgehend aus dem sozialen Netzwerk zurückgezogen. Sie spricht von Beleidigungen, einer unguten Debattenkultur – und einer gewissen Hilflosigkeit
Ihr letzter Facebook-Eintrag ist drei Monate alt. Sie haben damals geschrieben, wieder mehr den persönlichen Kontakt suchen zu wollen, denn „Diskussionen werden fairer und konstruktiver vor Ort geführt, wie sich in der Vergangenheit auch hier in der Kommentarspalte unter meinem Post gezeigt hat“. War’s so schlimm?
Eva Weber: Meine Social-Media-Kanäle pflege ich selber, das macht also keine Mitarbeiterin oder kein Mitarbeiter. Und da habe ich festgestellt, dass sich, verstärkt durch Corona, bei manchen Posts Menschen in Kommentarspalten zu allem möglichen auslassen, auch in einem beleidigenden Ton. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Leute, die vor dem Computer oder dem Handy sitzen und Kommentare schreiben, gar nicht auf dem Schirm haben, dass auf der anderen Seite auch ein Mensch sitzt, der solche Sachen liest. Manche Sachen haben mich belastet, aber vor allem musste ich viel Zeit investieren, um die Social-Media-Kanäle zu pflegen. Da waren auch rechtsradikale Äußerungen darunter, und ich möchte nicht, dass so etwas auf einem – zwar privat geführten aber dennoch – Account einer Oberbürgermeisterin zu lesen ist. Ich hatte keine Lust mehr, so viel Zeit in dieses Thema zu investieren.
Im Tagesspiegel kamen mehrere Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen in einem Interview zu Wort, darunter Sie. Sie haben, bezogen auf Facebook, gesagt, Sie fühlten sich „hilflos gegenüber Dingen, die einem da ins Gesicht geschleudert werden“. Wie muss man sich das vorstellen? Weber: Es sind einfach übelste Beschimpfungen. In der Hochphase von Corona wurde ich als „die Eva Braun von Augsburg“betitelt. Da sitzen Sie erst einmal fassungslos vor Ihrem Facebook-Account, wobei es ja viele Politikerinnen und Politiker gibt, die viel schlimmere Sachen abbekommen. Wenn ich mir anschaue, was Claudia Roth zum Beispiel aushalten muss, dann hat das eine andere Wertigkeit. Ich bin schon lange in sozialen Medien unterwegs, habe dort auch Wahlkampf gemacht, und das war immer eine gute Kommunikation. Da kamen kritische Anmerkungen, aber die sind völlig in Ordnung. Das hat sich verändert, als ich Oberbürgermeisterin geworden bin: Man hat da mehr Aufmerksamkeit, vor allem aber hat sich der Ton im Laufe der Pandemie verschoben. Wir Politikerinnen und Politiker vor Ort waren und sind diejenigen, die jeden Tag dafürstehen, dass manche
Dinge nicht normal sind. Und dann wird halt drunter geschrieben, was da für Vollpfosten im Rathaus sitzen, die keine Ahnung haben. Aber das Schlimmste sind die persönlichen Beleidigungen.
Wie oft haben Sie Anzeige erstattet? Weber: Auswendig weiß ich das nicht, aber es waren schon einige. Bisher wurde alles eingestellt: Das ging schon mit der Begründung los, dass eine Anfrage an Facebook zur Identität des Verfassers nichts bringen würde. Manchmal ist es tatsächlich schwierig, weil Leute unter Fakeprofilen unterwegs sind, aber ich habe mir auch schon in einigen Fällen gedacht, dass sogar schon eine kleine Eigenrecherche etwas bringen könnte. Das sind dann Entscheidungen, die man juristisch so sehen kann – ich möchte der Staatsanwaltschaft da nicht ans Schienbein treten –, aber als Betroffene sitzt man da und denkt sich, dass man das auch hätte anders sehen können. Aber das ist natürlich subjektiv.
Sie nutzen die sozialen Medien zur Darstellung eigener Standpunkte. Wie viel muss man da als Politikerin auch aushalten können?
Weber: Man muss viel aushalten, auch ohne soziale Medien. Politik bedeutet, eine Haltung und Meinung zu haben und den Bürgern und Bürgerinnen darzustellen, warum man sie hat. Und in einer Demokratie ist es selbstverständlich, dass es andere Meinungen gibt und dass man diese hört. Ich denke viel darüber nach, ob ich an meiner eigenen Meinung was ändern muss. Solange solche Diskussionen respektvoll geführt werden, ist das wunderbar. Das ist nichts, was man aushalten muss, sondern das ist selbstverständlich in einem solchen Amt. Aber in den sozialen Medien habe ich das Gefühl, dass viele noch mehr darauf beharren, dass ihre Meinung die einzig richtige ist, dass wenig Kompromissbereitschaft besteht oder die Bereitschaft, sich eine andere Meinung überhaupt anzuhören. Das ist es, was mich so umtreibt: die Debattenkultur in unserem Land. Die betrifft ja nicht nur mich.
Ist Corona daran schuld oder ging das schon vorher los?
Weber: Wenn ich mich mit Kollegen und Kolleginnen unterhalte, war 2015 mit den Geflüchteten, die nach Deutschland gekommen sind, eine Zäsur. Da ist viel ins Rutschen gekommen. Bei Corona hatte ich im ersten Lockdown das Gefühl, dass es ein großes Einverständnis darüber gab, dass das jetzt eine außergewöhnliche Lage ist. Aber im Sommer 2020 ist das anders geworden. Bei der ersten großen Corona-Demo auf dem Plärrergelände war ich erschrocken, welche Tonalität manche Parolen hatten. Ich rede jetzt nicht davon, dass Menschen sich Sorgen gemacht und um ihre Existenz gebangt haben. Da waren auch viele Leute auf der Demonstration. Das kann ich verstehen. Aber es waren auch viele dabei, die mit einer Tonalität und Haltung unterwegs waren, die mich irritiert zurückgelassen hat.
Kommen wir irgendwann denn wieder zu normaleren Debatten zurück, was meinen Sie?
Weber: Da sind wir alle gefordert. Das fängt beim Umgang von uns Politikerinnen und Politikern untereinander an, auch im Stadtrat. Da muss jede Fraktion ihren Weg finden. Für mich selbst heißt das, auch selbstkritisch darüber nachzudenken, wie ich Debatten im Stadtrat moderiere. Wir müssen im Stadtrat versuchen, sachlich über die Dinge zu streiten. Es ist ganz wichtig, dass die unterschiedlichen Positionen der Fraktionen sichtbar werden, aber der persönliche Umgang miteinander soll respektvoll sein. Hart in der Sache, verbindlich im Ton.
Funktioniert das immer?
Weber: Im Eifer des Gefechts – das weiß ich aus eigener Erfahrung – kann es auch passieren, dass man nicht das richtige Wort oder den richtigen Ton trifft. Es ist aber wichtig, dass so etwas nicht planvoll passiert und dass man sich hinterher, mit ruhigerem Kopf, dafür entschuldigt. Ich war vorletzte Woche mit einer Stadtratsdelegation in unserer Partnerstadt Liberec. Da waren Vertreterinnen und Vertreter aller Fraktionen dabei, und da haben wir uns abends auch mal intensiver unterhalten. Es kam zur Sprache, dass die Stadträtinnen und Stadträte sehr vermissen, dass es in den vergangenen eineinhalb Jahren keinen Austausch zwischen den Fraktionen gab, keine Tür-und-Angel-Gespräche. Man konnte sich gar nicht richtig kennenlernen. Und wahrscheinlich wurden deshalb manche Debatten auch schärfer geführt.
Interview: Stefan Krog
ⓘ Zur Person Eva Weber, 44, ist seit Mai 2020 Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg. Die CSUPolitikerin ist die erste Frau in diesem Amt.