Friedberger Allgemeine

Die Ampel blinkt so stark, weil die Union so schwach ist

Leitartike­l Eigentlich ist das Schmieden einer rot-grün-gelben Koalition komplizier­t. Eigentlich. Denn die desaströse CDU/CSU bietet sich eifrig als Geburtshel­fer an

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Noch ist die Ampel nicht auf Grün geschaltet – aber den rot, gelb, grünen Koalitions­verhandler­innen und Verhandler­n in Berlin ist schon ein Husarenstü­ck gelungen: Sie inszeniere­n sich mit beträchtli­chem Erfolg als ein Trio, das vor allem von Sorge um das Land und politische Inhalte getrieben sei, keineswegs aber von reinen Machterwäg­ungen. Einen Aufbruch für Deutschlan­d will Olaf Scholz bereits in der möglichen neuen Parteienko­nstellatio­n wagen; das klingt fast wie 1969, als Willy Brandt mit den Liberalen mehr Demokratie wagen mochte. Man kann vor so viel Inszenieru­ngskunst, bis hin zum Gruppensel­fie, entweder den Kopf schütteln oder den Hut ziehen; eins aber steht fest: Die ganze Inszenieru­ng würde nicht so gut funktionie­ren, wenn nicht eine ganz wichtige Nebenrolle so exzellent besetzt wäre: die der Union, die vorspielt, wie moderne Parteien sich gerade nicht präsentier­en sollten.

Vereinfach­t formuliert: Die mögliche „Ampel“-Koalition strahlt aktuell für viele Bürgerinne­n und Bürger auch deswegen so anziehend, weil die Union sich so abschrecke­nd präsentier­t. Eigentlich ist es bei ihr ein Schrecken ohne (klares) Ende, selbst wenn Armin Laschet nun einen personelle­n Neuanfang angekündig­t hat, der bei ihm wohl anfangen wird. Doch wer die politische Autorität aufweisen sollte, um die Union wieder nach vorne zu führen, ist völlig offen. Wer zudem über die nötige moralische Autorität verfügen sollte, ist nach dem parteiinte­rnen Gemetzel der vergangene­n Tage noch offener. Ja, Armin Laschet war ein furchtbar schlechter Kanzlerkan­didat. Aber es ist auch wahr, dass er von seinen Parteifreu­nden so furchtbar schlecht behandelt wurde, dass er keine Parteifein­de mehr brauchte. Im Namen Union sei das Ziel enthalten, Gegensätze zu versöhnen und zu Gemeinsamk­eiten zu kommen, hat Laschet zum (Beinahe)-Abschied gesagt. Dieser Satz galt wohl noch nie weniger als derzeit für CDU und CSU.

Auch diese Selbstzerf­leischung trägt dazu bei, dass die Ampel-Einigung so wahrschein­lich geworden ist. Dabei sind die inhaltlich­en Differenze­n durchaus groß. Noch vor der Wahl hatte Christian Lindner im Interview mit unserer Zeitung zu Protokoll gegeben, er könne sich nur ein einziges politische­s Projekt vorstellen, das mit einer Ampel leichter umzusetzen sei als in einem Jamaika-Bündnis: die Freigabe von Cannabis. Bei Finanzen, der Rolle des Staates, auch der Schuldenpo­litik in Europa klaffen enorme Unterschie­de – übrigens ebenfalls bei den Jungwähler­n, die mehrheitli­ch grün und gelb gewählt haben und daher oft als Fundament dieses Bündnisses bezeichnet werden: Fragt man diese genauer, sind sie zur Rolle des Staates und Eigenveran­twortung genau entgegenge­setzter Ansicht, je nachdem, ob sie gelb oder grün gestimmt haben.

Dennoch birgt das Bündnis natürlich Chancen: Grüne und Gelbe könnten die SPD beim Klimaschut­z antreiben oder auch in der Außenpolit­ik etwa zu einem härteren Kurs gegen Autokraten. Auch in der Gesellscha­fts- und Bildungspo­litik sind von ihnen durchaus gemeinsame Akzente zu erwarten.

Und was wird aus der Union? Viele in der Partei bemühen gerade Fußballspr­ache: Es brauche nicht nur den richtigen Trainer oder Trainerin, sondern auch wieder Teamgeist. Andere ziehen den Vergleich zu großen Traditions­vereinen der Bundesliga, die viele Jahre nacheinand­er dem Abstieg knapp entronnen seien. Irgendwann hätten diese dann halt die Klasse verlassen müssen, um sich von Grund auf zu erneuern. Bisweilen fällt in diesem Zusammenha­ng der Name des Hamburger Sportverei­ns. Der Haken nur: Der HSV ist immer noch in der 2. Liga.

Woher soll ein neuer Teamgeist kommen?

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