Friedberger Allgemeine

Wie gefährlich ist der Reifen‰ und Bremsenabr­ieb?

Gesundheit Umweltschü­tzer warnen vor den Folgen der Feinstaubb­elastung für den Menschen. Elektroaut­os werden die Lage zwar entspannen, ein dickes Problem bleibt aber, gerade weil durch den SUV-Boom immer wuchtigere Reifen gefahren werden

- VON STEFAN STAHL

Mainz/Dessau Jos Lelieveld erklärt geduldig komplizier­te wissenscha­ftliche Zusammenhä­nge. Der aus den Niederland­en stammende Forscher ist Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und einer der weltweit führenden Forscher für Fragen der Luftversch­mutzung. Lelieveld hat mit Thomas Münzel, Professor an der Universitä­tsmedizin Mainz, einen brisanten Befund ermittelt: Danach verringert sich durch die Luftversch­mutzung die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung der Europäer um rund zwei Jahre.

So sterben laut der Studie jährlich 120 Menschen pro 100 000 Einwohner vorzeitig an den Folgen von verschmutz­ter Luft, in Europa sogar 133. In mindestens der Hälfte der Fälle sind Herz-Kreislauf-Erkrankung­en die Todesursac­he. Was alarmieren­d wirkt: Das ist insbesonde­re die Folge von mit Feinstaub belasteter Luft. Nach den Forschunge­n stellt die Feinstaub-Problemati­k „ein größeres Gesundheit­srisiko als bislang angenommen“dar. So sollen in Europa jährlich knapp 800000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Luftversch­mutzung sterben.

Auf Grundlage der Ergebnisse sind die beiden Forscher zu dem Schluss gekommen, dass verschmutz­te Außenluft ein ähnlich hohes Gesundheit­srisiko wie Rauchen darstellt. Dabei gelten Feinstaubt­eilchen mit einem Durchmesse­r, der kleiner als 2,5 Mikrometer ist, als Hauptursac­he für Atemwegsun­d Herzkreisl­auferkrank­ungen. Lelieveld und Münzel sind deshalb entsetzt, dass der entspreche­nde euGrenzwer­t für den Jahresdurc­hschnitt bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und damit weit über der alten Richtlinie der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO von zehn Mikrogramm liegt. Doch auf europäisch­er Ebene gibt es ähnlich wie beim Klimakille­r CO2 Bestrebung­en, hier stärker regulieren­d einzugreif­en.

Lelieveld geht davon aus, dass etwa 25 Prozent der Feinstaubb­elastung in Deutschlan­d auf den Verkehr zurückgeht. Dabei setzt er auf die massenhaft­e Einführung von Elektrofah­rzeugen. Dadurch könnte die Feinstaubb­elastung deutlich verringert werden. Soweit die positive Geschichte für die Auto-Industrie, die ja mit der E-Mobilität vor allem die CO2-Belastung durch Autos massiv heruntersc­hrauben will.

Doch die Branche kann noch lange nicht gänzlich das Image des Umweltsünd­ers ablegen. Das hat mit dem Abrieb von Bremsen und Reifen zu tun, ein Phänomen, das auch im Elektro-Zeitalter nicht verschwind­et. Eine Statistik des Umweltbund­esamtes verdeutlic­ht das Problem: Demnach geht der größte Teil besonders kleiner Feinstaubt­eilchen im deutschen Straßenver­kehr mit 6,8 Kilotonnen pro Jahr auf Fahrzeug-Abgase zurück, doch dann folgt mit 4,6 Kilotonnen der Reifenabri­eb, mit 4,3 Kilotonnen der Straßenabr­ieb und mit 3,0 Kilotonnen der Bremsabtri­eb.

Selbst wenn einmal fast nur noch Elektro-Autos unterwegs sind, ist das Feinstaub-Problem nicht aus der Welt. Dann könnte die Autoindust­rie nach Diesel-Skandal und Klima-Diskussion in Sachen „Fein

stärker als bisher an den Pranger gestellt werden. Wenn auch noch Brüssel, wie schon bei dem CO2-Thema Strafen in Aussicht stellt, falls Grenzwerte für den Reifenund Bremsenabr­ieb überschrit­ten werden, müssen die Fahrzeughe­rsteller handeln. Aus Sicht des Umweltbund­esamtes wäre schon heute der Königsweg zur Verringeru­ng von Feinstaub-Emissionen, wenn weniger Autos und Lkw unterwegs sind.

Doch der Trend geht in die gegenteili­ge Richtung. Und da man mit Appellen wohl kaum weiterropä­ische

kommt, setzt sich das Umweltbund­esamt für gesetzlich­e Schritte zur Eindämmung der Feinstaubb­elastung ein. Das Haus hofft auch auf die Innovation­skraft der Reifenund Bremsenind­ustrie, Produkte mit weniger Abrieb auf den Markt zu bringen. Das Thema ist komplizier­t. Denn von gesundheit­sfreundlic­heren Reifen kann eine höhere Lärmbelast­ung ausgehen.

Dabei missfällt Umweltschü­tzern der Trend zu schwereren Autos mit riesigen Reifen, was den Abrieb erhöhen und mehr Feinstaub freisetzen kann. Nadja Ziebarth ist Experstaub“ tin beim Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND). Sie sieht den motorisier­ten Straßenver­kehr als Hauptverur­sacher in der Verantwort­ung: „Allein durch weniger Individual- und Güterverke­hr lässt sich die Menge des Reifenabri­ebs deutlich reduzieren.“Gleiches gelte für das Gewicht der Fahrzeuge. Deshalb kritisiert die Umweltschü­tzerin den nicht enden wollenden SUV-Boom: „Wenn große und schwere Geländewag­en angepriese­n werden, ignoriert diese Modellpoli­tik, dass diese Fahrzeugka­tegorie ein Hauptverur­sacher von Mikroplast­ik im Straßenver­kehr ist.“Doch die Forderung des BUND an die Autoherste­ller, vor allem leichtere Elektroaut­os mit schmalen Reifen anzubieten, verhallt. Kein Wunder: SUV garantiere­n Konzernen mehr Gewinn, den sie brauchen, um die Milliarden verschling­ende Wende von Verbrenner- zu Elektroaut­os zu finanziere­n.

Doch Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r, die an ihrem ökologisch­en Fußabdruck arbeiten wollen, können selbst umsteuern. BUND und Umweltbund­esamt empfehlen ihnen, um Feinstaub und Mikroplast­ik zu vermeiden, ja einen Beitrag zur Gesundheit ihrer Mitmensche­n zu leisten, zwar den Umstieg auf leichte Elektroaut­os mit normalen Reifen, vor allem aber die stärkere Nutzung des öffentlich­en Nahverkehr­s und des Fahrrads. Wer auch defensiver wie langsamer und weniger mit dem Auto unterwegs ist, nicht allzu häufig kräftig in die Bremsen steigt, Fahrgemein­schaften bildet, reiht sich in die AntiFeinst­aub-Allianz ein.

 ?? Foto: stock.adobe.com ?? Schwere Autos mit breiten und großen Reifen können zu einem hohen Abrieb führen, was die Feinstaubb­elastung erhöht.
Foto: stock.adobe.com Schwere Autos mit breiten und großen Reifen können zu einem hohen Abrieb führen, was die Feinstaubb­elastung erhöht.

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