Wie gefährlich ist der Reifen und Bremsenabrieb?
Gesundheit Umweltschützer warnen vor den Folgen der Feinstaubbelastung für den Menschen. Elektroautos werden die Lage zwar entspannen, ein dickes Problem bleibt aber, gerade weil durch den SUV-Boom immer wuchtigere Reifen gefahren werden
Mainz/Dessau Jos Lelieveld erklärt geduldig komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge. Der aus den Niederlanden stammende Forscher ist Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz und einer der weltweit führenden Forscher für Fragen der Luftverschmutzung. Lelieveld hat mit Thomas Münzel, Professor an der Universitätsmedizin Mainz, einen brisanten Befund ermittelt: Danach verringert sich durch die Luftverschmutzung die durchschnittliche Lebenserwartung der Europäer um rund zwei Jahre.
So sterben laut der Studie jährlich 120 Menschen pro 100 000 Einwohner vorzeitig an den Folgen von verschmutzter Luft, in Europa sogar 133. In mindestens der Hälfte der Fälle sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Todesursache. Was alarmierend wirkt: Das ist insbesondere die Folge von mit Feinstaub belasteter Luft. Nach den Forschungen stellt die Feinstaub-Problematik „ein größeres Gesundheitsrisiko als bislang angenommen“dar. So sollen in Europa jährlich knapp 800000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung sterben.
Auf Grundlage der Ergebnisse sind die beiden Forscher zu dem Schluss gekommen, dass verschmutzte Außenluft ein ähnlich hohes Gesundheitsrisiko wie Rauchen darstellt. Dabei gelten Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser, der kleiner als 2,5 Mikrometer ist, als Hauptursache für Atemwegsund Herzkreislauferkrankungen. Lelieveld und Münzel sind deshalb entsetzt, dass der entsprechende euGrenzwert für den Jahresdurchschnitt bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und damit weit über der alten Richtlinie der Weltgesundheitsorganisation WHO von zehn Mikrogramm liegt. Doch auf europäischer Ebene gibt es ähnlich wie beim Klimakiller CO2 Bestrebungen, hier stärker regulierend einzugreifen.
Lelieveld geht davon aus, dass etwa 25 Prozent der Feinstaubbelastung in Deutschland auf den Verkehr zurückgeht. Dabei setzt er auf die massenhafte Einführung von Elektrofahrzeugen. Dadurch könnte die Feinstaubbelastung deutlich verringert werden. Soweit die positive Geschichte für die Auto-Industrie, die ja mit der E-Mobilität vor allem die CO2-Belastung durch Autos massiv herunterschrauben will.
Doch die Branche kann noch lange nicht gänzlich das Image des Umweltsünders ablegen. Das hat mit dem Abrieb von Bremsen und Reifen zu tun, ein Phänomen, das auch im Elektro-Zeitalter nicht verschwindet. Eine Statistik des Umweltbundesamtes verdeutlicht das Problem: Demnach geht der größte Teil besonders kleiner Feinstaubteilchen im deutschen Straßenverkehr mit 6,8 Kilotonnen pro Jahr auf Fahrzeug-Abgase zurück, doch dann folgt mit 4,6 Kilotonnen der Reifenabrieb, mit 4,3 Kilotonnen der Straßenabrieb und mit 3,0 Kilotonnen der Bremsabtrieb.
Selbst wenn einmal fast nur noch Elektro-Autos unterwegs sind, ist das Feinstaub-Problem nicht aus der Welt. Dann könnte die Autoindustrie nach Diesel-Skandal und Klima-Diskussion in Sachen „Fein
stärker als bisher an den Pranger gestellt werden. Wenn auch noch Brüssel, wie schon bei dem CO2-Thema Strafen in Aussicht stellt, falls Grenzwerte für den Reifenund Bremsenabrieb überschritten werden, müssen die Fahrzeughersteller handeln. Aus Sicht des Umweltbundesamtes wäre schon heute der Königsweg zur Verringerung von Feinstaub-Emissionen, wenn weniger Autos und Lkw unterwegs sind.
Doch der Trend geht in die gegenteilige Richtung. Und da man mit Appellen wohl kaum weiterropäische
kommt, setzt sich das Umweltbundesamt für gesetzliche Schritte zur Eindämmung der Feinstaubbelastung ein. Das Haus hofft auch auf die Innovationskraft der Reifenund Bremsenindustrie, Produkte mit weniger Abrieb auf den Markt zu bringen. Das Thema ist kompliziert. Denn von gesundheitsfreundlicheren Reifen kann eine höhere Lärmbelastung ausgehen.
Dabei missfällt Umweltschützern der Trend zu schwereren Autos mit riesigen Reifen, was den Abrieb erhöhen und mehr Feinstaub freisetzen kann. Nadja Ziebarth ist Experstaub“ tin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie sieht den motorisierten Straßenverkehr als Hauptverursacher in der Verantwortung: „Allein durch weniger Individual- und Güterverkehr lässt sich die Menge des Reifenabriebs deutlich reduzieren.“Gleiches gelte für das Gewicht der Fahrzeuge. Deshalb kritisiert die Umweltschützerin den nicht enden wollenden SUV-Boom: „Wenn große und schwere Geländewagen angepriesen werden, ignoriert diese Modellpolitik, dass diese Fahrzeugkategorie ein Hauptverursacher von Mikroplastik im Straßenverkehr ist.“Doch die Forderung des BUND an die Autohersteller, vor allem leichtere Elektroautos mit schmalen Reifen anzubieten, verhallt. Kein Wunder: SUV garantieren Konzernen mehr Gewinn, den sie brauchen, um die Milliarden verschlingende Wende von Verbrenner- zu Elektroautos zu finanzieren.
Doch Verbraucherinnen und Verbraucher, die an ihrem ökologischen Fußabdruck arbeiten wollen, können selbst umsteuern. BUND und Umweltbundesamt empfehlen ihnen, um Feinstaub und Mikroplastik zu vermeiden, ja einen Beitrag zur Gesundheit ihrer Mitmenschen zu leisten, zwar den Umstieg auf leichte Elektroautos mit normalen Reifen, vor allem aber die stärkere Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs und des Fahrrads. Wer auch defensiver wie langsamer und weniger mit dem Auto unterwegs ist, nicht allzu häufig kräftig in die Bremsen steigt, Fahrgemeinschaften bildet, reiht sich in die AntiFeinstaub-Allianz ein.