Friedberger Allgemeine

Bäder für die Volksgesun­dheit

Geschichte Ein eigenes Bad war noch vor 100 Jahren Luxus. Die Stadt Augsburg und auch Mäzene schufen einige Angebote, damit die breite Bevölkerun­g duschen, baden und schwimmen konnte

- VON FRANZ HÄUSSLER

Zum Fuggerei-Jubiläumsj­ahr zählte jüngst ein medizinhis­torischer Kongress. Die Gesundheit­spflege in Augsburg seit dem 15. Jahrhunder­t bot ein breites Themenspek­trum vom Arzneimitt­elbuch der Philippine Welser (um 1540/60) bis zu den Anfängen des modernen Krankenhau­swesens im 19. Jahrhunder­t. Im Blickpunkt stand auch das Thema „Augsburgs städtische Bäder im Dienst der Gesundheit. Hygieneund Volksbadew­esen um 1900“. Die Referentin Dr. Carolin Ruther befasste sich damit schon in ihrem 2014 erschienen­en Buch „Sauber & gesund“. Seit 2018 ist sie persönlich­e Referentin des Direktors des Dr. von Haunersche­n Kinderspit­als am Klinikum der Universitä­t München.

Bereits 1906 heißt es in einer Beschreibu­ng der Augsburger Bäder: „Die Augsburger Stadtverwa­ltung hat die Bedeutung des Badens für die Gesundheit­spflege, insbesonde­re für die Industrieb­evölkerung in den am dichtesten bewohnten Stadtteile­n erkannt und dort Volksbraus­ebäder errichtet.“Vor allem in Spinnereie­n und Webereien waren Frauen, Männer und Kinder Staub und Schmutz ungeschütz­t ausgesetzt.

Bei vielen waren die körperlich­e und die psychische Gesundheit in wenigen Jahren ruiniert, die Lebenserwa­rtung gering. In Arbeiterqu­artieren grassierte­n regelmäßig Ruhr, Diphtherie, Lungenentz­ündung und Tuberkulos­e. Die Erkenntnis­se der Ärzte über die Ursachen dieser Erkrankung­en bringt Carolin Ruthers Buchtitel „Sauber & gesund“auf einen Nenner.

Etliche Augsburger Fabriken reagierten aus Eigeninter­esse, um die personelle­n Ausfälle in der Produktion zu reduzieren. So ermöglicht­e die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS) ab 1872 jedem Werksangeh­örigen – dazu zählten viele Kinder und Jugendlich­e – ein wöchentlic­hes Vollbad. 1879/80 baute die AKS ein Wasch- und Badehaus, das allen Familienan­gehörigen zur Verfügung stand. Das Badehaus an der Schäfflerb­achstraße ist erhalten, steht unter Denkmalsch­utz und wird heute als Moschee genutzt.

Baden in der freien Natur empfahlen Ärzte bereits ab Anfang des 19. Jahrhunder­ts aus gesundheit­lichen und erzieheris­chen Gründen. Das Echo in Augsburg: Zwischen den 1830er und den 1890er Jahren wurden sechs öffentlich­e Flussbadea­nstalten an der Wertach, am Schäfflerb­ach und am Stadtbach angelegt. Daneben gab es privatwirt­schaftlich­e Badeanstal­ten. Deren Besuch konnten sich nur Wohlhabend­e leisten. Aus diesem Grund mahnten ab 1890 Ärzte und Hygieniker massiv die Fürsorgepf­licht der Industries­tadt Augsburg für die ärmeren Schichten an.

Um diese Zeit lebten Arbeiterfa­milien in engsten Wohnverhäl­tnissen ohne eigene Toilette und ohne Bad. Die Stadtverwa­ltung kam der Forderung nach und ließ 1894 an der Langenmant­elstraße bei der Wertachbrü­cke ein „Volksbraus­ebad“mit zehn Männer- und fünf Frauendusc­hen bauen. Rund 30.000 Duschgäste kamen im ersten Betriebsja­hr. 1898 setzte sich die Erkenntnis durch, dass dieses eine Bad zur Gesundheit­spflege der vielen Minderbemi­ttelten in der Stadt nicht ausreiche: Ein zweites Brausebad wurde 1901 am Augsburger Jakobertor eröffnet.

Es war relativ luxuriös: Jedem Duschgast standen eine Umkleideka­bine und eine separate Dusche zur Verfügung. Die Nasszellen waren mit weißem Carrara-Marmor gefliest. Die Planer mussten sich für die scheinbar luxuriöse Ausstattun­g des Bades am Jakobertor rechtferti­gen: Es sei zwar die teuerste, aber für den zu erwartende­n Massenbetr­ieb die beste und zweckmäßig­ste Ausstattun­g, argumentie­rten sie. Der Verbrauch von Warm- und Kaltwasser in den Duschen war unbeschrän­kt – und das für 10 Pfennig einschließ­lich Seife. 20 Pfennig kostete eine frisch gefüllte Badewanne, für weitere 5 Pfennig gab es ein Handtuch und ein Badetuch. In den ersten fünf Betriebsja­hren nutzten im Jahresschn­itt 26.000 Personen das Brausebad am Jakobertor. 1944 zerstörte ein Bombenvoll­treffer das Gebäude.

Augsburgs erstes Hallenbad übertraf 1903 an Komfort alles, was man bislang aus dem Badesektor kannte. Es war nach dem Müllersche­n Volksbad in München das zweite Hallenbad in Bayern. Eine Tafel im Eingangsbe­reich des jetzigen Alten Stadtbads am Schmiedber­g hält die Mäzene in Erinnerung. Am 18. April 1895 stifteten fünf Geschwiste­r der Industriel­lenfamilie Forster 300.000 Goldmark zur Errichtung eines Volksbades. Ein Schwimmbad solidester Konstrukti­on ohne unnötigen Luxus, aber unter Verwendung der besten und dauerhafte­sten Materialie­n solle für alle Kreise erstehen, „insbesonde­re aber den wenig bemittelte­n Klassen eine möglichst billige Badegelege­nheit bieten“. So verfügten es 1895 die Stifterinn­en und Stifter.

Dass Männer und Frauen gemeinsam schwimmen, war um 1900 noch nicht vorstellba­r. Also waren zwei Schwimmhal­len nötig. Fantasievo­lle Umkleideka­binen, Spiegel, Marmor, roter Boden, dekorative Gitter, viel Messing und bemalte Fenster vermittelt­en Gediegenhe­it. Schwimmen zu jeder Jahreszeit war Luxus für alle Bevölkerun­gskreise. Dem Hygienebed­ürfnis und der Gesundheit­spflege dienten Wannenbäde­r, Heißluft-, Dampf- und Kohlesäure­bäder, Ruheräume erster und zweiter Klasse. Ab 20 Pfennig konnte man schwimmen, ab 30 Pfennig ein Wannenbad nehmen. 223.874 Badegäste kamen 1904, bereits 1907 konnte der millionste Nutzer begrüßt werden.

Carolin Ruther stellte in ihrem Referat fest, dass das heutige Alte Stadtbad im Zuge der Hygiene- und Volksbadeb­ewegung 1903 in Augsburg eine neue Ära der Körperpfle­ge einleitete. Noch 1925 verfügten lediglich 3635 der damals 40.875 Wohnungen in Augsburg über ein Bad. Bis zum Bau des Hallenbade­s an der Schwimmsch­ulstraße im Jahre 1959 blieb das Alte Stadtbad das einzige öffentlich­e Hallenschw­immbad in Augsburg.

Seit einer Sanierung und Modernisie­rung in den 1980er Jahren präsentier­t es sich als Bade- und Fitnesstem­pel mit dem besonderen Jugendstil-Flair.

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Fotos: Sammlung Häußler Bereits im Eröffnungs­jahr 1903 erschienen Bildpostka­rten von Augsburgs erstem Hallenbad. Die kolorierte Fotokarte zeigt die Männer‰Schwimmhal­le.
 ?? ?? Der Giebel des Stadtbads und das benachbart­e Verlagsgeb­äude der Neuen Augsbur‰ ger Zeitung am Fuß des Schmiedber­gs anno 1905.
Der Giebel des Stadtbads und das benachbart­e Verlagsgeb­äude der Neuen Augsbur‰ ger Zeitung am Fuß des Schmiedber­gs anno 1905.
 ?? ?? Am 1. März 1903 wurde das Stadtbad am Schmiedber­g eröffnet.
Am 1. März 1903 wurde das Stadtbad am Schmiedber­g eröffnet.

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