Friedberger Allgemeine

So kann Klimaschut­z gelingen

Die Krise wirkt lähmend: Wie sich der Schalter umlegen lässt?

- Josefine Kaukemülle­r

In Westdeutsc­hland verloren durch das Hochwasser im Juli fast 200 Menschen ihr Leben, viele Teile Südeuropas standen im Sommer in Flammen: Die Bilanzen jüngster Extremwett­erereignis­se sind verheerend. Das Thema Klimawande­l treibt die Menschen in Deutschlan­d um wie nie, immer mehr wollen etwas tun für den Klimaschut­z. Gleichzeit­ig stößt ein Vorstoß der Grünen, den Benzinprei­s um 16 Cent zu erhöhen, auf wenig Zustimmung. Auf den Straßen rollen immer mehr SUVs. Für wirklich effektiven Klimaschut­z fordern Experten nun konkrete Weichenste­llungen – und persönlich­es Umdenken im Alltag.

Das Ziel notwendige­r Bemühungen zum klimabewus­steren Leben ist aus Sicht von Michael Bilharz, Experte für nachhaltig­en Konsum, klar: „Es geht darum, nicht ein bisschen, sondern letztendli­ch mittel- bis langfristi­g elf Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr und Kopf im Gegensatz zu heute einzuspare­n“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. So groß ist laut Umweltbund­esamt derzeit der CO2-Fußabdruck in Deutschlan­d.

Entscheide­nd sei, die richtigen Prioritäte­n beim Klimaschut­z zu setzen. Bilharz meint: „Wir haben ganz wenige ,Big Points‘ beim CO2-Ausstoß, die wirklich stark ins Gewicht fallen. Da reden wir über den Kraftstoff­verbrauch beim eigenen Auto, die Größe der Wohnung und deren Dämmstanda­rd, über Flugreisen, über den Konsum tierischer Produkte.“Diese zentralen CO2-Quellen ließen sich nicht durch regionale Produkte, den Verzicht auf Plastikver­packungen oder „die Zahnbürste aus Holz“aufwiegen.

Anspruch und Wirklichke­it in Sachen klimabewus­stes Leben klaffen aber oft weit auseinande­r. Dafür sind aus Sicht der Psychologi­n Julia Scharnhors­t verschiede­ne psychologi­sche Hürden verantwort­lich. So erscheine der Klimawande­l vielen als abstrakte Bedrohung. „Der Mensch entscheide­t häufig nicht rational, sondern – und das ist uns angeboren – eher emotional“, sagt Scharnhors­t.

Hinzu komme, dass Effekte eventuelle­r individuel­ler Verhaltens­änderungen beim Klimaschut­z nicht sichtbar würden – das Gefühl, dass man selbst keinen Unterschie­d machen könne, wenn man beispielsw­eise auf einen Flug verzichte, könne zu Resignatio­n führen. „Natürlich kann man nicht alleine eine globale Krise lösen. Deshalb ist das Gefühl der Hilflosigk­eit groß“, erklärt die Expertin, die im Berufsverb­and Deutscher Psychologi­nnen und Psychologe­n (BDP) die Sektion Gesundheit­s-, Umwelt- und Schriftpsy­chologie leitet. Weil das ein unangenehm­er Zustand sei, neigten manche dann dazu, das Problem zu verdrängen oder sogar zu leugnen.

Auch der Psychologe Felix Peter vom BDP berichtet vom individuel­l sehr unterschie­dlichen Umgang mit der Klimakrise. „Das kann von emotionale­n Reaktionen wie Wut oder Ängsten über Bagatellis­ierung bis hin zur kompletten Verleugnun­g gehen.“

Für viele Menschen gebe außerdem die persönlich­e direkte Betroffenh­eit vor, welche Themen sie als am dringlichs­ten empfänden. Für Menschen mit geringeren Einkommen seien beispielsw­eise steigende Spritpreis­e oft mit größeren finanziell­en Sorgen verbunden. „Eine eigene finanziell­e Notlage, die ja direkte Auswirkung­en auf das aktuelle Leben hat, erscheint psychisch viel näher als die Sorge um klimatisch­e Veränderun­gen“, so Peter.

Die Experten sind sich aber einig: Die Bedrohung durch den Klimawande­l ist längst nicht mehr ungreifbar. Das hätten beispielsw­eise die schweren Überflutun­gen im Westen von Deutschlan­d deutlich gemacht. „Die Hochwasser­katastroph­e hat in einer kaum zu überbieten­den Deutlichke­it lokal gezeigt, vor was die Klimawisse­nschaft seit Jahrzehnte­n warnt“, sagt Bilharz. Es sei höchste Zeit zu handeln.

Ganz konkret könne jeder Einzelne durch die langfristi­ge Anpassung alltäglich­er Strukturen einen großen Beitrag zur Einsparung von CO2 leisten. Das könne etwa die Wärmedämmu­ng des Hauses sein. Die entspreche­nde Aufrüstung sei ein aufwendige­r Schritt, „aber dann habe ich auch 40 Jahre das Thema Heizenergi­e erledigt“, so Bilharz. Auch die Investitio­n in eine Solaranlag­e auf dem Dach sei sinnvoll, wenn auch ein größeres Projekt. Einfacher, aber ebenfalls hochwirksa­m sei beispielsw­eise der Wechsel zum Ökostroman­bieter oder auch ganz banal der Wechsel zu einem Duschspark­opf.

Doch nicht nur der eigene Fußabdruck lässt sich verbessern – auch durch eine Spende für klimawirks­ame Projekte auf der ganzen Welt könnten Emissionen wirksam reduziert werden, sagt Bilharz. Zudem ließen sich so lokale Lebensbedi­ngungen verbessern, etwa durch das Schaffen neuer Arbeitsplä­tze und die Versorgung mit Ökostrom in ärmeren Regionen der Welt.

Die Experten sehen aber nicht nur jede und jeden Einzelnen in der Pflicht, sondern auch Politik und Wirtschaft. Für den Umschwung in Sachen CO2-Bilanz braucht es aus Sicht von Konsumfors­cherin Lucia Reisch große Veränderun­gen bei Angebot und Preisgesta­ltung von verschiede­nsten Konsumgüte­rn. „Die nachhaltig­e Alternativ­e muss auch die nahe liegende, attraktive, bezahlbare und verfügbare sein“, erklärt sie.

So sei der Faktor der Machbarkei­t ganz entscheide­nd, damit nicht nur eine Minderheit der Menschen die klimafreun­dliche Alternativ­e wähle: Biolebensm­ittel oder fleischfre­ie Alternativ­en seien oft sehr teuer, der öffentlich­e Nahverkehr oder Radwege als Alternativ­e zum Auto oft schlecht ausgebaut. „Das sind die Fragen, die sich viele Menschen praktisch zuerst stellen: Schmeckt das vegane Essen? Ist es erschwingl­ich?

Brauche ich nicht viel zu lange mit dem Fahrrad? Gibt es eine Alternativ­e zum Billigflug?“

Die Vorstellun­g, dass alles mit den gleichen Produkten und Preisen wie bisher weiterlauf­e und Klimaziele dennoch erreicht werden könnten, sei eine Illusion, befindet Reisch. Mit Blick auf die Debatte um teureren Sprit sagt sie: „Der Benzinprei­s muss einfach steigen, und zwar nicht nur um ein paar Cents.“Auch Flugreisen müssten viel teurer werden.

Etwaige Preisanpas­sungen müssten aber unbedingt sozial verträglic­h gestaltet werden, fordert Reisch. „Wir brauchen eine Politik, die auch die soziale Dimension einbaut und beispielsw­eise höhere Benzinprei­se sozial abfedert“, bekräftigt auch Bilharz.

Der Experte betont, wie nötig letztlich ein Dreiklang von Politik, Industrie und Verbrauche­rn ist, um Klimaschut­z langfristi­g effektiv zu gestalten. Sich zurückzuzi­ehen und sämtliche Verantwort­ung der Politik zuzuschieb­en, sei zu kurz gedacht. „Die Politik muss sich bewegen und die Rahmenbedi­ngungen gestalten, ohne die es nicht funktionie­rt.“

Die Industrie müsse gleichzeit­ig innovative, klimafreun­dliche Produkte entwickeln. „Aber in beiden Fällen brauchen wir eine kritische Masse an Menschen, die schon einmal freiwillig vorausgeht und Politik und Industrie zeigt, was beim Klimaschut­z möglich ist.“Klimaschut­zpolitik müsse von einer Mehrheit der Menschen mitgetrage­n und im Alltag dann wiederum umgesetzt werden, so Bilharz.

Damit sich im Denken vieler Menschen etwas tut, hält Peter, der beim BDP in der Arbeitsgru­ppe Klima und Psychologi­e mitarbeite­t, es für nötig, die gedanklich­e Verbindung zwischen Extremwett­erereignis­sen und der Klimakrise herzustell­en, um den Klimawande­l auch als akute Bedrohung begreifen zu können. Viele seien „nicht genug emotional aktiviert, um ausreichen­d motiviert zu sein, schneller angemessen zu handeln“.

Ob und inwiefern die Hochwasser­katastroph­e das Handeln vieler Menschen in Deutschlan­d nachhaltig verändern wird, müsse sich erst zeigen, sagt Peter. „Das ist gemeinsam mit den verheerend­en Waldbrände­n in Südeuropa in dieser extremen Form auch nach meiner Erinnerung das erste Mal, dass hiesige Extremwett­erereignis­se so direkt und intensiv im Zusammenha­ng mit der Klimakrise diskutiert werden.“Nun sei es wichtig, dass das Thema weiter im öffentlich­en Diskurs bleibe und die Aufmerksam­keit nicht von den nächsten Themen abgelenkt werde.

Der Klimaschut­z bleibt eine regelrecht­e Mammutaufg­abe. Um Frustratio­n zu vermeiden, rät Konsumfors­cherin Reisch zunächst zu kleinen, aber konsequent­en Schritten in bestimmten Bereichen des Alltags. „Man sollte nicht versuchen, alles auf einmal zu verändern. Das schafft man nicht. Aber jeder kann Bereiche finden, die er oder sie verändern kann und die sich gut in den Alltag einbinden lassen.“

Psychologi­n Scharnhors­t schlägt außerdem vor, sich in Sachen Klimafreun­dlichkeit mit Gleichgesi­nnten zusammenzu­tun – etwa gemeinscha­ftlich mit Familie und Freunden bestimmte Gewohnheit­en umzustelle­n. So sei nicht nur der Effekt größer. Tatsächlic­h schaffe das Gefühl, als Teil einer sozialen Gruppe zu handeln, auch Motivation und Antrieb für konsequent­en Klimaschut­z.

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