So kann Klimaschutz gelingen
Die Krise wirkt lähmend: Wie sich der Schalter umlegen lässt?
In Westdeutschland verloren durch das Hochwasser im Juli fast 200 Menschen ihr Leben, viele Teile Südeuropas standen im Sommer in Flammen: Die Bilanzen jüngster Extremwetterereignisse sind verheerend. Das Thema Klimawandel treibt die Menschen in Deutschland um wie nie, immer mehr wollen etwas tun für den Klimaschutz. Gleichzeitig stößt ein Vorstoß der Grünen, den Benzinpreis um 16 Cent zu erhöhen, auf wenig Zustimmung. Auf den Straßen rollen immer mehr SUVs. Für wirklich effektiven Klimaschutz fordern Experten nun konkrete Weichenstellungen – und persönliches Umdenken im Alltag.
Das Ziel notwendiger Bemühungen zum klimabewussteren Leben ist aus Sicht von Michael Bilharz, Experte für nachhaltigen Konsum, klar: „Es geht darum, nicht ein bisschen, sondern letztendlich mittel- bis langfristig elf Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr und Kopf im Gegensatz zu heute einzusparen“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. So groß ist laut Umweltbundesamt derzeit der CO2-Fußabdruck in Deutschland.
Entscheidend sei, die richtigen Prioritäten beim Klimaschutz zu setzen. Bilharz meint: „Wir haben ganz wenige ,Big Points‘ beim CO2-Ausstoß, die wirklich stark ins Gewicht fallen. Da reden wir über den Kraftstoffverbrauch beim eigenen Auto, die Größe der Wohnung und deren Dämmstandard, über Flugreisen, über den Konsum tierischer Produkte.“Diese zentralen CO2-Quellen ließen sich nicht durch regionale Produkte, den Verzicht auf Plastikverpackungen oder „die Zahnbürste aus Holz“aufwiegen.
Anspruch und Wirklichkeit in Sachen klimabewusstes Leben klaffen aber oft weit auseinander. Dafür sind aus Sicht der Psychologin Julia Scharnhorst verschiedene psychologische Hürden verantwortlich. So erscheine der Klimawandel vielen als abstrakte Bedrohung. „Der Mensch entscheidet häufig nicht rational, sondern – und das ist uns angeboren – eher emotional“, sagt Scharnhorst.
Hinzu komme, dass Effekte eventueller individueller Verhaltensänderungen beim Klimaschutz nicht sichtbar würden – das Gefühl, dass man selbst keinen Unterschied machen könne, wenn man beispielsweise auf einen Flug verzichte, könne zu Resignation führen. „Natürlich kann man nicht alleine eine globale Krise lösen. Deshalb ist das Gefühl der Hilflosigkeit groß“, erklärt die Expertin, die im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) die Sektion Gesundheits-, Umwelt- und Schriftpsychologie leitet. Weil das ein unangenehmer Zustand sei, neigten manche dann dazu, das Problem zu verdrängen oder sogar zu leugnen.
Auch der Psychologe Felix Peter vom BDP berichtet vom individuell sehr unterschiedlichen Umgang mit der Klimakrise. „Das kann von emotionalen Reaktionen wie Wut oder Ängsten über Bagatellisierung bis hin zur kompletten Verleugnung gehen.“
Für viele Menschen gebe außerdem die persönliche direkte Betroffenheit vor, welche Themen sie als am dringlichsten empfänden. Für Menschen mit geringeren Einkommen seien beispielsweise steigende Spritpreise oft mit größeren finanziellen Sorgen verbunden. „Eine eigene finanzielle Notlage, die ja direkte Auswirkungen auf das aktuelle Leben hat, erscheint psychisch viel näher als die Sorge um klimatische Veränderungen“, so Peter.
Die Experten sind sich aber einig: Die Bedrohung durch den Klimawandel ist längst nicht mehr ungreifbar. Das hätten beispielsweise die schweren Überflutungen im Westen von Deutschland deutlich gemacht. „Die Hochwasserkatastrophe hat in einer kaum zu überbietenden Deutlichkeit lokal gezeigt, vor was die Klimawissenschaft seit Jahrzehnten warnt“, sagt Bilharz. Es sei höchste Zeit zu handeln.
Ganz konkret könne jeder Einzelne durch die langfristige Anpassung alltäglicher Strukturen einen großen Beitrag zur Einsparung von CO2 leisten. Das könne etwa die Wärmedämmung des Hauses sein. Die entsprechende Aufrüstung sei ein aufwendiger Schritt, „aber dann habe ich auch 40 Jahre das Thema Heizenergie erledigt“, so Bilharz. Auch die Investition in eine Solaranlage auf dem Dach sei sinnvoll, wenn auch ein größeres Projekt. Einfacher, aber ebenfalls hochwirksam sei beispielsweise der Wechsel zum Ökostromanbieter oder auch ganz banal der Wechsel zu einem Duschsparkopf.
Doch nicht nur der eigene Fußabdruck lässt sich verbessern – auch durch eine Spende für klimawirksame Projekte auf der ganzen Welt könnten Emissionen wirksam reduziert werden, sagt Bilharz. Zudem ließen sich so lokale Lebensbedingungen verbessern, etwa durch das Schaffen neuer Arbeitsplätze und die Versorgung mit Ökostrom in ärmeren Regionen der Welt.
Die Experten sehen aber nicht nur jede und jeden Einzelnen in der Pflicht, sondern auch Politik und Wirtschaft. Für den Umschwung in Sachen CO2-Bilanz braucht es aus Sicht von Konsumforscherin Lucia Reisch große Veränderungen bei Angebot und Preisgestaltung von verschiedensten Konsumgütern. „Die nachhaltige Alternative muss auch die nahe liegende, attraktive, bezahlbare und verfügbare sein“, erklärt sie.
So sei der Faktor der Machbarkeit ganz entscheidend, damit nicht nur eine Minderheit der Menschen die klimafreundliche Alternative wähle: Biolebensmittel oder fleischfreie Alternativen seien oft sehr teuer, der öffentliche Nahverkehr oder Radwege als Alternative zum Auto oft schlecht ausgebaut. „Das sind die Fragen, die sich viele Menschen praktisch zuerst stellen: Schmeckt das vegane Essen? Ist es erschwinglich?
Brauche ich nicht viel zu lange mit dem Fahrrad? Gibt es eine Alternative zum Billigflug?“
Die Vorstellung, dass alles mit den gleichen Produkten und Preisen wie bisher weiterlaufe und Klimaziele dennoch erreicht werden könnten, sei eine Illusion, befindet Reisch. Mit Blick auf die Debatte um teureren Sprit sagt sie: „Der Benzinpreis muss einfach steigen, und zwar nicht nur um ein paar Cents.“Auch Flugreisen müssten viel teurer werden.
Etwaige Preisanpassungen müssten aber unbedingt sozial verträglich gestaltet werden, fordert Reisch. „Wir brauchen eine Politik, die auch die soziale Dimension einbaut und beispielsweise höhere Benzinpreise sozial abfedert“, bekräftigt auch Bilharz.
Der Experte betont, wie nötig letztlich ein Dreiklang von Politik, Industrie und Verbrauchern ist, um Klimaschutz langfristig effektiv zu gestalten. Sich zurückzuziehen und sämtliche Verantwortung der Politik zuzuschieben, sei zu kurz gedacht. „Die Politik muss sich bewegen und die Rahmenbedingungen gestalten, ohne die es nicht funktioniert.“
Die Industrie müsse gleichzeitig innovative, klimafreundliche Produkte entwickeln. „Aber in beiden Fällen brauchen wir eine kritische Masse an Menschen, die schon einmal freiwillig vorausgeht und Politik und Industrie zeigt, was beim Klimaschutz möglich ist.“Klimaschutzpolitik müsse von einer Mehrheit der Menschen mitgetragen und im Alltag dann wiederum umgesetzt werden, so Bilharz.
Damit sich im Denken vieler Menschen etwas tut, hält Peter, der beim BDP in der Arbeitsgruppe Klima und Psychologie mitarbeitet, es für nötig, die gedankliche Verbindung zwischen Extremwetterereignissen und der Klimakrise herzustellen, um den Klimawandel auch als akute Bedrohung begreifen zu können. Viele seien „nicht genug emotional aktiviert, um ausreichend motiviert zu sein, schneller angemessen zu handeln“.
Ob und inwiefern die Hochwasserkatastrophe das Handeln vieler Menschen in Deutschland nachhaltig verändern wird, müsse sich erst zeigen, sagt Peter. „Das ist gemeinsam mit den verheerenden Waldbränden in Südeuropa in dieser extremen Form auch nach meiner Erinnerung das erste Mal, dass hiesige Extremwetterereignisse so direkt und intensiv im Zusammenhang mit der Klimakrise diskutiert werden.“Nun sei es wichtig, dass das Thema weiter im öffentlichen Diskurs bleibe und die Aufmerksamkeit nicht von den nächsten Themen abgelenkt werde.
Der Klimaschutz bleibt eine regelrechte Mammutaufgabe. Um Frustration zu vermeiden, rät Konsumforscherin Reisch zunächst zu kleinen, aber konsequenten Schritten in bestimmten Bereichen des Alltags. „Man sollte nicht versuchen, alles auf einmal zu verändern. Das schafft man nicht. Aber jeder kann Bereiche finden, die er oder sie verändern kann und die sich gut in den Alltag einbinden lassen.“
Psychologin Scharnhorst schlägt außerdem vor, sich in Sachen Klimafreundlichkeit mit Gleichgesinnten zusammenzutun – etwa gemeinschaftlich mit Familie und Freunden bestimmte Gewohnheiten umzustellen. So sei nicht nur der Effekt größer. Tatsächlich schaffe das Gefühl, als Teil einer sozialen Gruppe zu handeln, auch Motivation und Antrieb für konsequenten Klimaschutz.