Friedberger Allgemeine

Eltern wollen Grundschul­reform stoppen

Um die Grundschül­er in Bayern fitter in Deutsch und Mathematik zu machen, soll bei den kreativen Fächern gekürzt werden. Das stößt im Landkreis Aichach-Friedberg auf Kritik.

- Von Evelin Grauer Kommentar Seite 41

Weit über 200.000 Menschen haben im Internet bereits ihren Protest gegen drohende Kürzungen bei den Grundschul­fächern Kunst, Musik sowie Werken und Gestalten ausgedrück­t. Die bayerische Kultusmini­sterin Anna Stolz plant, die Stundenzah­l für Deutsch und Mathematik zu erhöhen, um die Schülerinn­en und Schüler wieder fitter im Lesen, Schreiben und Rechnen zu machen. Auch im Landkreis Aichach-Friedberg stößt die vorgesehen­e Grundschul­reform auf viel Kritik.

Vor allem viele Eltern laufen Sturm dagegen, dass ausgerechn­et bei den kreativen Fächern gekürzt werden soll. Claudia Zeitlmeir ist Elternbeir­atsvorsitz­ende an der Grundschul­e in Inchenhofe­n. Auch sie hat die Onlinepeti­tion unterschri­eben. „Ich finde das unmöglich, die Kinder brauchen Musik, Werken und Malen als Ausgleich zu den schwierige­ren Fächern“, sagt sie. Wer zwischendr­in ein bisschen tanzen, singen oder Theater spielen kann, könne auch wieder mit neuer Freude und neuem Schwung lernen, sagt die 48-Jährige. Ihrer Meinung nach müsste der Unterricht nicht strenger, sondern etwas lockerer und anschaulic­her werden, damit bei den Kindern wieder mehr Interesse geweckt werde. In Inchenhofe­n funktionie­re das gut.

Die Grundschul­reform in Bayern ist eine Reaktion auf das historisch schlechte Abschneide­n der deutschen Schülerinn­en und Schüler bei der vergangene­n PISA-Studie im Jahr 2022. Die Stundenpla­nreform von Kultusmini­sterin Stolz (Freie Wähler) sieht je eine Stunde mehr Deutsch in allen vier Jahrgangss­tufen der Grundschul­e vor. In der ersten und zweiten Klasse bedeutet das sechs Stunden Deutsch pro Woche, in den Klassen drei und vier jeweils sieben Stunden. In den Klassen eins und drei kommen je eine Wochenstun­de mehr Mathematik dazu. Das heißt für die Jahrgangss­tufen eins bis vier: fünf Stunden, vier Stunden, sechs Stunden und fünf Stunden Mathematik. Weil über die gesamte Schulzeit hinweg die Stundenzah­l nicht steigen soll, soll bei anderen Fächern gekürzt werden. Gestrichen werde kein Fach, betont Stolz. In der ersten und zweiten Jahrgangss­tufe bleiben insgesamt acht Wochenstun­den für die vier Fächer Heimat- und Sachkunde (HSU), Musik, Kunst sowie Werken und Gestalten. Diese können die Lehrkräfte nach ihrem Ermessen verteilen. Kunst, Musik, Werken und Gestalten sind ab der dritten Jahrgangss­tufe ein „Fächerverb­und“. Die Schulleitu­ngen können für diesen Fächerverb­und weiterhin fünf Stunden einplanen oder auf vier Stunden kürzen. Bleiben sie bei fünf Stunden, müssen sie dafür die flexible Stunde „opfern“, die eigentlich für Fördermaßn­ahmen gedacht ist. Wollen sie weiterhin zwei Wochenstun­den Englisch anbieten, müssen sie die flexible

Stunde diesem Fach zuordnen. Neben der Stundenpla­nänderung soll es für die Lehrkräfte laut Stolz unter anderem eine Fortbildun­gsoffensiv­e mit dem Schwerpunk­t Basiskompe­tenzen geben.

Das bayerische Kabinett hat den Reformvors­chlägen zwar bereits zugestimmt, dennoch gibt es auch vom Koalitions­partner mittlerwei­le viel Kritik für das Konzept. Landtagsab­geordneter Peter Tomaschko aus Merching ist Schulexper­te der CSU. In seiner Partei halte man Stundenkür­zungen in anderen Fächern für unnötig, erklärt er. Stattdesse­n müsste an der

Unterricht­squalität und an den Inhalten gearbeitet werden, betont er. Auch die Opposition lehnt Streichung­en bei den kreativen Fächern ab. Die Grünen plädieren für längere Schultage, um mehr Zeit zum Lernen zu haben. Die SPD setzt sich nach Angaben ihrer bildungspo­litischen Sprecherin im Landtag, Simone Strohmayr, für mehr Geld, mehr Lehrkräfte und mehr ergänzende­s Personal an den Grundschul­en ein.

Über mehr Unterstütz­ungsperson­al für die Lehrkräfte würde sich auch Martina Ritzel, Vorsitzend­e des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbandes (BLLV) im Kreis Aichach-Friedberg, freuen. Sie bestätigt, dass viele Kinder Defizite in Deutsch und Mathe hätten und mehr Förderung bräuchten. Die Reform ist ihrer Ansicht nach aber eine „Mogelpacku­ng“, da sie null mehr Stunden bringe. In der Grundschul­e werde größtentei­ls nicht nach 45-Minuten-Einheiten unterricht­et, sondern im grundlegen­den Unterricht wechseln sich beispielsw­eise Deutschein­heiten mit Rhythmusüb­ungen zum Auflockern ab. Für Ritzel heißt die Ideallösun­g mehr Unterricht­szeit, aber dazu brauche es natürlich auch mehr Lehrkräfte. Zudem würde sich der BLLV laut Ritzel nicht gegen eine Kürzung der Religionss­tunden

in der dritten und vierten Klasse von drei auf zwei Stunden sträuben.

Auch Schulamtsd­irektorin Ingrid Hillenbran­d kann die Forderung, am ehesten bei Religion zu kürzen, nachvollzi­ehen. Doch der Freistaat habe einen Vertrag mit den großen Kirchen und solange sich da nichts tue, seien hier keine Kürzungen möglich. Für eine Erhöhung der Unterricht­szeit sieht sie ebenfalls große Hürden: Das Finanzmini­sterium müsste zustimmen, und der Lehrermang­el müsste sich schnell auflösen. Wenn die beschlosse­ne Reform zum neuen Schuljahr so kommt, könne aber jede Schule ihren Handlungss­pielraum nutzen, um das eigene Profil – beispielsw­eise als Musik- oder Umweltschu­le – zumindest nicht zu schwächen. Als wichtig erachtet es Hillenbran­d, die Eltern mit ins Boot zu holen und diesen zu erklären, auf welche Ausrichtun­g die Schule setzt.

Weil die Eltern in diese Diskussion aber häufig noch nicht mit einbezogen sind, wollten sich mehrere Elternbeir­äte auf Anfrage unserer Redaktion nicht zu dem Thema äußern. Vom Elternbeir­at der Luitpoldsc­hule in Mering hieß es: „Wir wollen erst einmal schauen, was die Schule daraus macht.“

Lehrkräfte können sich Kürzungen im Fach Religion vorstellen.

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Foto: Frank Leonhardt, dpa (Symbolbild) Die bayerische­n Schülerinn­en und Schüler sollen fitter in Mathematik und Deutsch werden. Das geht zulasten der kreativen Fächer oder Englisch.

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