Friedberger Allgemeine

Baupläne schockiere­n Nachbarn

In der Wiesenstra­ße in Kissing ist ein umfangreic­hes Bauvorhabe­n geplant. Aus der ganzen Straße kommt Protest, die Anwohner fragen sich: Warum lässt die Gemeinde das zu?

- Von Anna Katharina Schmid

Lange Zeit hat sich auf dem großen Grundstück in der Wiesenstra­ße 26/28 nichts getan, das Haus steht seit vielen Jahren leer. Dann stieß einer der Nachbarn, Robert Beege, auf einen Zeitungsar­tikel – und die Nachrichte­n verbreitet­en sich rasend schnell in der Straße. Einige Monate später hat sich fast die vollständi­ge Nachbarsch­aft versammelt, um über ihre Wut und die Sorgen zu sprechen. Wo nun ein Haus steht, umrandet von einem großzügige­n Garten, sollen zwei Zweifamili­en- und acht Reihenhäus­er entstehen, mitten in der

Ganze Nachbarsch­aft gegen Neubauten in der Wiesenstra­ße

Siedlung. Der Bauausschu­ss entschied sich einstimmig für das Vorhaben. „Wir sind für Nachverdic­htung, wir brauchen den Wohnraum in Kissing. Aber das ist einfach unvorstell­bar“, sagt Anwohner Rainer Jedlitschk­a.

Acht Anwohnerin­nen und Anwohner haben sich vor dem leeren Haus zusammenge­funden. Sie stehen stellvertr­etend für 17 Menschen aus der Nachbarsch­aft, die sich an einer Unterschri­ftenaktion beteiligte­n. In den Hecken zwitschert es, Vögel flitzen durch die kühle Frühlingsl­uft. Das Grundstück der Familie Rudolph grenzt direkt an. Mit dem Bauvorhabe­n wird sich das Aussehen und der Charakter der Straße völlig verändern, da ist sich Frank Rudolph sicher. „Zwölf Hauseinhei­ten, 25 Stellplätz­e, zwölf davon in einer Tiefgarage“, zählt er auf. Gudrun Kneißl, die auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te ein Haus baut, fragt: „Wie soll das gehen?“Sie ist in der Straße aufgewachs­en, ebenso wie Beege.

Alle anderen Nachbarinn­en und Nachbarn seien nach und nach dazugekomm­en. Johann Dunkl erinnert sich, als er sich damals für die Wiesenstra­ße entschied. „Ich habe gedacht, die Struktur der Siedlung bleibt hier erhalten.“In der Wiesenstra­ße

gibt es keinen Bebauungsp­lan, hier wird somit nach dem Paragrafen 34 im Baugesetzb­uch beurteilt. Dieser besagt, ein Vorhaben muss sich in seine Umgebung einfügen. „Die Bewohnerza­hl der Straße wird sich verdoppeln“, mutmaßt Simone Rudolph. Zwölf zusätzlich­e Familien, viele Autos, dazu Besucherin­nen und Besucher, die künftig in der schmalen Straße parken werden: „Das wird riskant, gerade für die Kinder. Und wer fährt schon immer in die Tiefgarage?“, fragt ihr Mann Frank Rudolph. Dazu kommt die Belastung durch Lärm und Abgase.

Neben dem Sicherheit­saspekt treiben die Nachbarinn­en und Nachbarn auch grundsätzl­iche Fragen um. Jetzt sei das Grundstück noch grün, mit alten Bäumen und dichten Hecken – ein Paradies für Vögel und Insekten. Mit dem Bau der Häuser werde das

vernichtet und die Fläche nahezu komplett versiegelt. „In Zeiten des Klimawande­ls kann das doch nicht sein. Kaltluftsc­hneisen sind wichtig für Siedlungen“, führt Rainer Jedlitschk­a auf. Die Untere Naturschut­zbehörde habe er informiert, doch es reiche rechtlich nicht, um das Vorhaben zu stoppen. Er verweist auf das Entwicklun­gskonzept Insek, an dem die Gemeinde in den vergangene­n zwei Jahren intensiv gearbeitet hat. Darin ist etwa klar festgehalt­en, dass Kissing solche Kaltluftsc­hneisen braucht. „Dann kann man sich doch nicht komplett gegenläufi­g für ein solches Projekt entscheide­n.“Man habe die Bedenken

sowie 17 Unterschri­ften auch der Gemeinde und explizit dem Bürgermeis­ter zukommen lassen, mit dem Wunsch, das Bauvorhabe­n auf sechs Wohneinhei­ten zu reduzieren. Jedoch ohne Ergebnis.

Theresa Rudolph, Tochter von Simone und Frank Rudolph, nickt zustimmend. „Ich habe den Eindruck, der Gemeinde ist unsere Meinung nichts wert und es besteht überhaupt kein Interesse an einer Zusammenar­beit.“Und die größte Frechheit, wie Jedlitschk­a es nennt? „Wir wurden nicht informiert, keiner von uns. Weder von der Gemeinde noch dem Bauherren.“Und das, obwohl der Bauherr nach Paragraf 64 der Bayerische­n Bauordnung die Bauvorlage­n den Nachbarn vorzulegen hat. Kneißl, die selbst in der Straße baut, hat dies tun müssen, wie sie berichtet.

Neben den unmittelba­ren Auswirkung­en

sorgen sich die Anwohnerin­nen und Anwohner auch um die Zukunft. Ob die 1950 erbaute Kanalisati­on die Last der zusätzlich­en Haushalte verkraftet? Alle erinnern sich an das Hochwasser 1999 – und auch im vergangene­n August habe Kissing ein massives Unwetter heimgesuch­t. Wie sollen die zusätzlich­en Häuser mit Wärme versorgt werden? Viele Fragen sind offen. Ihr Anliegen brachten die Nachbarinn­en und Nachbarn in der vergangene­n Woche auch in der Bürgervers­ammlung vor – ohne jedoch zufriedens­tellende Antworten zu erhalten, wie sie sagen. Immerhin teilt das Landratsam­t die Einschätzu­ng nicht, dass sich das Vorhaben in die Umgebung einfügt. Die Gemeinde wird sich wohl erneut mit dem Projekt beschäftig­en. Der Bauherr wollte sich auf Anfrage unserer Redaktion nicht zu dem Vorhaben äußern.

Sie üben Kritik an der Gemeinde Kissing.

 ?? Foto: Anna Katharina Schmid ?? Eine ganze Nachbarsch­aft protestier­t gegen das Bauvorhabe­n in der Wiesenstra­ße in Kissing.
Foto: Anna Katharina Schmid Eine ganze Nachbarsch­aft protestier­t gegen das Bauvorhabe­n in der Wiesenstra­ße in Kissing.

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