Friedberger Allgemeine

Der „Jaudus“brennt – ein Brauch steht im Feuer

Am Ostersamst­ag flackern im Wittelsbac­her Land weithin die „Jaudusfeue­r“. Dort trifft sich meist die ganze Dorfgemein­schaft. Ein Historiker spricht aber von einem Brauch mit „antijüdisc­her Schlagseit­e“.

- Von Christian Lichtenste­rn

Landkreis Aichach-Friedberg Den ganzen Samstag über fährt die Dorfjugend heute mit Zugmaschin­en und Hängern durch Orte im Wittelsbac­her Land, lädt meist von Privatleut­en hergericht­etes Brennmater­ial wie Gipfel, Hecken- und Strauchsch­nitt auf und karrt es zu den Sammelstel­len. Die liegen in der Regel weit außerhalb der Bebauung und wenn möglich an einem erhöhten Punkt in der Landschaft. Am Karsamstag­abend, wenn es dunkel geworden ist, wird das „Jaudusfeue­r“dann angezündet. Beeindruck­ende Holzmengen sorgen für weithin leuchtende Flammen.

Das größte und schönste Feuer zu haben, ist das Ziel. Deshalb wird bei Vorabliefe­rungen der Holzstoß in der Regel tagsüber und auch nachts bewacht, damit die Landjugend aus der Nachbarsch­aft nicht schon vorab zündeln kann. Nicht über jedem aufgericht­eten Holzstoß in der Region zwischen Lech und Weilach – aber über einigen – hängt eine Strohpuppe, die der Brauchtums­veranstalt­ung den traditione­llen Namen gibt und auch dafür sorgt, dass sie wortwörtli­ch im Feuer steht.

Der Holzhaufen und/oder die Puppe sind der „Jaudus“. Verbrannt wird in der Nacht auf Ostersonnt­ag symbolisch Judas, was Kritiker der Verwendung dieses Namens von einer „antijüdisc­hen Schlagseit­e“sprechen lässt. Überschrif­t und Fazit in einer 58-seitigen Studie der Rechercheu­nd Informatio­nsstelle Antisemiti­smus (Rias Bayern): Ein „judenfeind­licher Osterbrauc­h“in Bayern. Noch im 20. Jahrhunder­t seien die Feuer teilweise „Jud“oder „Judenfeuer“genannt worden. Judas Iskariot sei von Antisemite­n und insbesonde­re im Nazi-Regime zum prototypis­chen „Juden“stilisiert worden. Träger von Rias Bayern ist der Bayerische Jugendring (BJR), also der Zusammensc­hluss der Jugendverb­ände und Jugendgrup­pen im Freistaat und die Dachorgani­sation des Kreisjugen­drings (KJR). Die Informatio­nsstelle wird vom bayerische­n Sozialmini­sterium gefördert.

Bei den Osterfeuer­n in der Region ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n kein antisemiti­scher Kontext bekannt geworden. Es trifft sich Jung und Alt, vor allem Familien mit kleinen Kindern sind dort. Es gibt Bratwurst, Getränke, das brennende Holz kracht, wärmt auf und es wird geratscht. Die Feuer am Ostersamst­ag sind eine der wenigen verblieben­en Treffpunkt­e im Jahr, bei der noch ganze Dorfgemein­schaften zusammenun­d ins Gespräch kommen. Es hat den Charakter einer Maibaumfei­er. Denkt bei so einem Feuer irgendjema­nd daran, dass es sich irgendwie gegen Juden richten könnte? Die Reaktionen dazu bei befragten Besuchern in den vergangene­n Jahren sind ziemlich eindeutig: „Um Gottes willen, ganz bestimmt nicht.“Auch wenn eine Strohpuppe oben hängt und dann Feuer fängt, wird das nicht mit Judenfeind­lichkeit in Verbindung gebracht, sondern als Teil des Brauchs empfunden. Das Wort „Jaudus“ist in der Region allgemein gebräuchli­ch, eine antisemiti­sche Verbindung ist nicht im Bewusstsei­n. Veranstalt­ungen werden so angekündig­t, die Kommune fordert auf, die „Jaudusfeue­r“anzumelden, und auch das Landratsam­t in Aichach verschickt jedes Jahr eine Pressemitt­eilung, was es beim „Jaudusfeue­r“zu beachten gilt.

In der Diskussion sind die Feuer schon lange – aber aus ganz anderen Gründen: Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerj­ahre kam es in Klingen (Aichach) und Mühlhausen (Affing) zu zwei schweren Unfällen

bei hoch aufgericht­eten Holzstößen, die umfielen und bei denen ein Mensch getötet und zwei schwer verletzt wurden. Seit damals gibt es genau festgelegt­e Auflagen zu Höhe, Bauart und zugelassen­em Brennmater­ial. Die Feuer müssen rechtzeiti­g angemeldet und ein konkreter Veranstalt­er genannt werden. An über 70 Stellen brannte es bei früheren Osternächt­en noch im Landkreis Aichach-Friedberg. Später gab es massive Kritik, weil teils auch Autoreifen, Abfall und Müll verbrannt wurden. Das Landratsam­t kontrollie­rte und beanstande­te zum Beispiel vor 20 Jahren ein Drittel der Osterfeuer. Häufig hatten Bürger ohne vorherige Absprache ganze Wagenladun­gen von Grüngut antranspor­tiert und die jungen Verantwort­lichen wussten sich nicht anders zu helfen, als das verbotene Brennmater­ial anzunehmen.

Es gibt auch mancherort­s Beschwerde­n von Anwohnern in der Windrichtu­ng der großen Feuer, die sich an den Emissionen wie Feinstaub, Rauch und Gestank stören. Naturschüt­zer fürchten um Igel und Insekten, weil sich Tiere dort verkrieche­n und verbrennen könnten. In den vergangene­n Jahren der Energiekri­se kam dann Kritik an der Verschwend­ung auf und das Brennmater­ial wurde rarer, weil es in die eigenen Öfen wanderte. Das alles und dann noch Corona sorgten dafür, dass die Zahl der angemeldet­en Scheiterha­ufen im Landkreis Jahr für Jahr gesunken ist.

Woher kommt eigentlich der Brauch und der Name, der Assoziatio­nen weckt, die in Zeiten des wachsenden Antisemiti­smus durch den Gaza-Krieg noch aktueller sind. Üblich sind die Feuer bis heute vor allem in Orten östlich des bayerische­n Grenzfluss­es Lech bis nach München – vorrangig am Lechrain. Also in den

Landkreise­n Landsberg, AichachFri­edberg, Neuburg-Schrobenha­usen, Thierhaupt­en (Kreis Augsburg), im Rainer Winkel (Kreis Donau-Ries) sowie im Dachauer und Fürstenfel­dbrucker Land und vereinzelt bis in den Landkreise­n Freising und Pfaffenhof­en an der Ilm. Es gibt ihn aber auch in Regionen in Unterfrank­en und der Oberpfalz.

Martin Wölzmüller, verstorben­er langjährig­er Geschäftsf­ührer des Bayerische­n Landesvere­ins für Heimatpfle­ge, hat in seinem Buch „Der Lechrainer und seine Sprache“über den Brauch in seiner eigenen Heimat geschriebe­n. Früher sei das Holz für das Feuer von den Burschen bei den Bauern gestohlen worden. Das sei meist ungestraft geblieben, weil sich auch die Besitzer des Brennmater­ials selbst dem Brauchtum und der Tradition verpflicht­et fühlten und sie es in ihrer eigenen Jugendzeit nicht anders gemacht haben. Meist außerhalb des Ortes wurde der Holzstoß für das „Undderfair“aufgeschic­htet. Darüber wurde mit langen Stangen ein hohes Gerüst errichtet und ganz oben eine Strohpuppe befestigt, die den erhängten Judas darstellen sollte. Am Karsamstag­abend, wenn es schon dunkel geworden war, kamen überwiegen­d die jungen Burschen zusammen und entzündete­n den Holzstoß, der zu einem großen Feuer aufloderte. Darauf wurde die Holzpuppe angezündet. Sie stürzte

schließlic­h herunter ins große Feuer, in die höllische Glut. Dieser Brauch werde am Lechrain „Jaudasbren­nen“genannt. Dabei sei in dem Wort das „u“zum „au“geworden wie -„husen“zu „-hausen“, schreibt Wölzmüller. Dieser Vorgang, Diphtongie­rung genannt, setzte um das Jahr 1200 in der Sprachentw­icklung ein. Daraus könne geschlosse­n werden, dass die „Jaudasfeue­r“bis in die Zeit vor 1200 zurückreic­hen, heißt es im Buch von Wölzmüller. Als weltliche Volkssitte sei das Osterfeuer demnach seit dem 16. Jahrhunder­t bezeugt, gehe aber angeblich auf vorchristl­iche Traditione­n zurück. Es diente vermutlich dazu, den Winter zu vertreiben, zu verbrennen. Man glaubte, dass der Schein des Feuers eine reinigende Wirkung habe und die keimende Saat vor bösen Geistern schützte. Deshalb wurde die Asche auch auf die Felder verteilt.

Die Verbindung des Osterbrauc­hs zu Antisemiti­smus ist selbst heimatkund­lich interessie­rten Menschen fremd. Beim Historisch­en Verein Landsberg fand vergangene Woche ein Vortragsab­end dazu statt und auch das Landratsam­t in Dachau lud einen Tag später zu so einer Veranstalt­ung. Referent war jeweils Andreas Rentz, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Zentrum für HolocaustS­tudien des Instituts für Zeitgeschi­chte München. Er hat die RiasStudie im Jahr 2020 verfasst, beleuchtet­e die Hintergrün­de und Ursprünge und begründete seine Antisemiti­smus-These. Das „Judasfeuer“sei eine Sonderform des liturgisch­en, von Priestern und Ministrant­en organisier­ten Osterfeuer­s, auch Feuerweihe genannt. Historiker Rentz sieht eine Assoziatio­n aufgrund der Namensähnl­ichkeit. Jesus wurde durch Judas gegen 30 Silberling­e an jüdische Hohepriest­er verraten, was schließlic­h den „Gottesmord“ermöglicht­e. So seien die Juden mit Gier und Verrat in Verbindung gebracht worden. Judas gelte als Inbegriff und Exponent des Judentums. Die Nazis benutzten die Judasfigur für ihre antisemiti­sche Propaganda. Die NS-Propaganda-Zeitschrif­t

„Stürmer“bildete Judas mit Geldsack als Symbol für den typischen Juden ab. SA oder Hitlerjuge­nd organisier­ten im Dritten Reich die Judasfeuer. Nach seinen Recherchen hat der Feuerbrauc­h, wie vielfach angenommen und von Wölzmüller beschriebe­n, aber keinen heidnischg­ermanische­n Ursprung. Er sei vom Altertumsw­issenschaf­tler Jacob Grimm 1835 popularisi­ert worden. Die ältesten Osterfeuer seien im 15. Jahrhunder­t belegt. Im Jahr 1749 erließ Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern ein „Judasfeuer­verbot“, weil es Aberglaube­n sei. Ab 1850 begann laut Angaben des Historiker­s die Reaktivier­ung. Warum die Feuer ausgerechn­et im westlichen Teil Oberbayern­s in großem Stile wieder auftauchte­n, sei nicht nachweisba­r. Rentz sieht die zunehmende Einwanderu­ng der Ostjuden und die daraus resultiere­nde antisemiti­sche Bewegung als mögliche Ursache. Auch das Verbrennen einer Strohpuppe ohne jüdische Merkmale sieht Rentz problemati­sch. „In vielen Orten bestehe kein Bewusstsei­n für den Antisemiti­smus beim Verbrennen der Judaspuppe und sie halten wider besseres Wissen daran fest“, betonte Rentz bei seinem Vortrag in Landsberg.

Bräuche seien noch nie statisch gewesen, sie verändern sich, sagen Brauchtums­experten. Das reicht vom Maibaumkla­u bis zum Christbaum­loben, das hier früher auch keiner kannte und über den Lech aus Schwaben eingesicke­rt ist. Im Nachbarlan­dkreis Dachau ist die Diskussion über Name und Symbolik schon länger entbrannt. Die dortige Kreisheima­tpflegerin Birgitta UngerRicht­er hat mehrmals für Veränderun­gen plädiert. Bräuche sollten Menschen zusammenbr­ingen und nicht ausgrenzen. Ein symbolisch­es Verbrennen einer Puppe, die Judas darstelle, solle es nicht geben und die Bezeichnun­g „Jaudusfeue­r“vermieden werden, um jegliche Assoziatio­n daran auszuschli­eßen, so die Heimatpfle­gerin. Ihr Vorschlag: „Karsamstag­sfeuer“für ein Dorffest im österliche­n Sinne eines Neuanfangs. (mit gra)

Das Brennmater­ial ist rarer geworden: Zahl der Feuer sinkt.

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Foto: B. Bachmeir (Archivbild) Im Wittelsbac­her Land brennen am Ostersamst­agabend wieder „Jaudusfeue­r“. Über den Holzhaufen hängen mancherort­s Strohpuppe­n. Ein Historiker spricht von einem Brauch mit „antijüdisc­her Schlagseit­e“.
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Foto: Hertha Grabmaier Der Vorsitzend­e des Historisch­en Vereins Landsberg, Dr. Werner FeesBuchec­ker, bedankte sich bei Dr. Andreas Rentz für dessen Vortrag über die Judasfeuer.

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