Der „Jaudus“brennt – ein Brauch steht im Feuer
Am Ostersamstag flackern im Wittelsbacher Land weithin die „Jaudusfeuer“. Dort trifft sich meist die ganze Dorfgemeinschaft. Ein Historiker spricht aber von einem Brauch mit „antijüdischer Schlagseite“.
Landkreis Aichach-Friedberg Den ganzen Samstag über fährt die Dorfjugend heute mit Zugmaschinen und Hängern durch Orte im Wittelsbacher Land, lädt meist von Privatleuten hergerichtetes Brennmaterial wie Gipfel, Hecken- und Strauchschnitt auf und karrt es zu den Sammelstellen. Die liegen in der Regel weit außerhalb der Bebauung und wenn möglich an einem erhöhten Punkt in der Landschaft. Am Karsamstagabend, wenn es dunkel geworden ist, wird das „Jaudusfeuer“dann angezündet. Beeindruckende Holzmengen sorgen für weithin leuchtende Flammen.
Das größte und schönste Feuer zu haben, ist das Ziel. Deshalb wird bei Vorablieferungen der Holzstoß in der Regel tagsüber und auch nachts bewacht, damit die Landjugend aus der Nachbarschaft nicht schon vorab zündeln kann. Nicht über jedem aufgerichteten Holzstoß in der Region zwischen Lech und Weilach – aber über einigen – hängt eine Strohpuppe, die der Brauchtumsveranstaltung den traditionellen Namen gibt und auch dafür sorgt, dass sie wortwörtlich im Feuer steht.
Der Holzhaufen und/oder die Puppe sind der „Jaudus“. Verbrannt wird in der Nacht auf Ostersonntag symbolisch Judas, was Kritiker der Verwendung dieses Namens von einer „antijüdischen Schlagseite“sprechen lässt. Überschrift und Fazit in einer 58-seitigen Studie der Rechercheund Informationsstelle Antisemitismus (Rias Bayern): Ein „judenfeindlicher Osterbrauch“in Bayern. Noch im 20. Jahrhundert seien die Feuer teilweise „Jud“oder „Judenfeuer“genannt worden. Judas Iskariot sei von Antisemiten und insbesondere im Nazi-Regime zum prototypischen „Juden“stilisiert worden. Träger von Rias Bayern ist der Bayerische Jugendring (BJR), also der Zusammenschluss der Jugendverbände und Jugendgruppen im Freistaat und die Dachorganisation des Kreisjugendrings (KJR). Die Informationsstelle wird vom bayerischen Sozialministerium gefördert.
Bei den Osterfeuern in der Region ist in den vergangenen Jahrzehnten kein antisemitischer Kontext bekannt geworden. Es trifft sich Jung und Alt, vor allem Familien mit kleinen Kindern sind dort. Es gibt Bratwurst, Getränke, das brennende Holz kracht, wärmt auf und es wird geratscht. Die Feuer am Ostersamstag sind eine der wenigen verbliebenen Treffpunkte im Jahr, bei der noch ganze Dorfgemeinschaften zusammenund ins Gespräch kommen. Es hat den Charakter einer Maibaumfeier. Denkt bei so einem Feuer irgendjemand daran, dass es sich irgendwie gegen Juden richten könnte? Die Reaktionen dazu bei befragten Besuchern in den vergangenen Jahren sind ziemlich eindeutig: „Um Gottes willen, ganz bestimmt nicht.“Auch wenn eine Strohpuppe oben hängt und dann Feuer fängt, wird das nicht mit Judenfeindlichkeit in Verbindung gebracht, sondern als Teil des Brauchs empfunden. Das Wort „Jaudus“ist in der Region allgemein gebräuchlich, eine antisemitische Verbindung ist nicht im Bewusstsein. Veranstaltungen werden so angekündigt, die Kommune fordert auf, die „Jaudusfeuer“anzumelden, und auch das Landratsamt in Aichach verschickt jedes Jahr eine Pressemitteilung, was es beim „Jaudusfeuer“zu beachten gilt.
In der Diskussion sind die Feuer schon lange – aber aus ganz anderen Gründen: Ende der Achtziger- und Anfang der Neunzigerjahre kam es in Klingen (Aichach) und Mühlhausen (Affing) zu zwei schweren Unfällen
bei hoch aufgerichteten Holzstößen, die umfielen und bei denen ein Mensch getötet und zwei schwer verletzt wurden. Seit damals gibt es genau festgelegte Auflagen zu Höhe, Bauart und zugelassenem Brennmaterial. Die Feuer müssen rechtzeitig angemeldet und ein konkreter Veranstalter genannt werden. An über 70 Stellen brannte es bei früheren Osternächten noch im Landkreis Aichach-Friedberg. Später gab es massive Kritik, weil teils auch Autoreifen, Abfall und Müll verbrannt wurden. Das Landratsamt kontrollierte und beanstandete zum Beispiel vor 20 Jahren ein Drittel der Osterfeuer. Häufig hatten Bürger ohne vorherige Absprache ganze Wagenladungen von Grüngut antransportiert und die jungen Verantwortlichen wussten sich nicht anders zu helfen, als das verbotene Brennmaterial anzunehmen.
Es gibt auch mancherorts Beschwerden von Anwohnern in der Windrichtung der großen Feuer, die sich an den Emissionen wie Feinstaub, Rauch und Gestank stören. Naturschützer fürchten um Igel und Insekten, weil sich Tiere dort verkriechen und verbrennen könnten. In den vergangenen Jahren der Energiekrise kam dann Kritik an der Verschwendung auf und das Brennmaterial wurde rarer, weil es in die eigenen Öfen wanderte. Das alles und dann noch Corona sorgten dafür, dass die Zahl der angemeldeten Scheiterhaufen im Landkreis Jahr für Jahr gesunken ist.
Woher kommt eigentlich der Brauch und der Name, der Assoziationen weckt, die in Zeiten des wachsenden Antisemitismus durch den Gaza-Krieg noch aktueller sind. Üblich sind die Feuer bis heute vor allem in Orten östlich des bayerischen Grenzflusses Lech bis nach München – vorrangig am Lechrain. Also in den
Landkreisen Landsberg, AichachFriedberg, Neuburg-Schrobenhausen, Thierhaupten (Kreis Augsburg), im Rainer Winkel (Kreis Donau-Ries) sowie im Dachauer und Fürstenfeldbrucker Land und vereinzelt bis in den Landkreisen Freising und Pfaffenhofen an der Ilm. Es gibt ihn aber auch in Regionen in Unterfranken und der Oberpfalz.
Martin Wölzmüller, verstorbener langjähriger Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, hat in seinem Buch „Der Lechrainer und seine Sprache“über den Brauch in seiner eigenen Heimat geschrieben. Früher sei das Holz für das Feuer von den Burschen bei den Bauern gestohlen worden. Das sei meist ungestraft geblieben, weil sich auch die Besitzer des Brennmaterials selbst dem Brauchtum und der Tradition verpflichtet fühlten und sie es in ihrer eigenen Jugendzeit nicht anders gemacht haben. Meist außerhalb des Ortes wurde der Holzstoß für das „Undderfair“aufgeschichtet. Darüber wurde mit langen Stangen ein hohes Gerüst errichtet und ganz oben eine Strohpuppe befestigt, die den erhängten Judas darstellen sollte. Am Karsamstagabend, wenn es schon dunkel geworden war, kamen überwiegend die jungen Burschen zusammen und entzündeten den Holzstoß, der zu einem großen Feuer aufloderte. Darauf wurde die Holzpuppe angezündet. Sie stürzte
schließlich herunter ins große Feuer, in die höllische Glut. Dieser Brauch werde am Lechrain „Jaudasbrennen“genannt. Dabei sei in dem Wort das „u“zum „au“geworden wie -„husen“zu „-hausen“, schreibt Wölzmüller. Dieser Vorgang, Diphtongierung genannt, setzte um das Jahr 1200 in der Sprachentwicklung ein. Daraus könne geschlossen werden, dass die „Jaudasfeuer“bis in die Zeit vor 1200 zurückreichen, heißt es im Buch von Wölzmüller. Als weltliche Volkssitte sei das Osterfeuer demnach seit dem 16. Jahrhundert bezeugt, gehe aber angeblich auf vorchristliche Traditionen zurück. Es diente vermutlich dazu, den Winter zu vertreiben, zu verbrennen. Man glaubte, dass der Schein des Feuers eine reinigende Wirkung habe und die keimende Saat vor bösen Geistern schützte. Deshalb wurde die Asche auch auf die Felder verteilt.
Die Verbindung des Osterbrauchs zu Antisemitismus ist selbst heimatkundlich interessierten Menschen fremd. Beim Historischen Verein Landsberg fand vergangene Woche ein Vortragsabend dazu statt und auch das Landratsamt in Dachau lud einen Tag später zu so einer Veranstaltung. Referent war jeweils Andreas Rentz, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für HolocaustStudien des Instituts für Zeitgeschichte München. Er hat die RiasStudie im Jahr 2020 verfasst, beleuchtete die Hintergründe und Ursprünge und begründete seine Antisemitismus-These. Das „Judasfeuer“sei eine Sonderform des liturgischen, von Priestern und Ministranten organisierten Osterfeuers, auch Feuerweihe genannt. Historiker Rentz sieht eine Assoziation aufgrund der Namensähnlichkeit. Jesus wurde durch Judas gegen 30 Silberlinge an jüdische Hohepriester verraten, was schließlich den „Gottesmord“ermöglichte. So seien die Juden mit Gier und Verrat in Verbindung gebracht worden. Judas gelte als Inbegriff und Exponent des Judentums. Die Nazis benutzten die Judasfigur für ihre antisemitische Propaganda. Die NS-Propaganda-Zeitschrift
„Stürmer“bildete Judas mit Geldsack als Symbol für den typischen Juden ab. SA oder Hitlerjugend organisierten im Dritten Reich die Judasfeuer. Nach seinen Recherchen hat der Feuerbrauch, wie vielfach angenommen und von Wölzmüller beschrieben, aber keinen heidnischgermanischen Ursprung. Er sei vom Altertumswissenschaftler Jacob Grimm 1835 popularisiert worden. Die ältesten Osterfeuer seien im 15. Jahrhundert belegt. Im Jahr 1749 erließ Kurfürst Maximilian III. Joseph von Bayern ein „Judasfeuerverbot“, weil es Aberglauben sei. Ab 1850 begann laut Angaben des Historikers die Reaktivierung. Warum die Feuer ausgerechnet im westlichen Teil Oberbayerns in großem Stile wieder auftauchten, sei nicht nachweisbar. Rentz sieht die zunehmende Einwanderung der Ostjuden und die daraus resultierende antisemitische Bewegung als mögliche Ursache. Auch das Verbrennen einer Strohpuppe ohne jüdische Merkmale sieht Rentz problematisch. „In vielen Orten bestehe kein Bewusstsein für den Antisemitismus beim Verbrennen der Judaspuppe und sie halten wider besseres Wissen daran fest“, betonte Rentz bei seinem Vortrag in Landsberg.
Bräuche seien noch nie statisch gewesen, sie verändern sich, sagen Brauchtumsexperten. Das reicht vom Maibaumklau bis zum Christbaumloben, das hier früher auch keiner kannte und über den Lech aus Schwaben eingesickert ist. Im Nachbarlandkreis Dachau ist die Diskussion über Name und Symbolik schon länger entbrannt. Die dortige Kreisheimatpflegerin Birgitta UngerRichter hat mehrmals für Veränderungen plädiert. Bräuche sollten Menschen zusammenbringen und nicht ausgrenzen. Ein symbolisches Verbrennen einer Puppe, die Judas darstelle, solle es nicht geben und die Bezeichnung „Jaudusfeuer“vermieden werden, um jegliche Assoziation daran auszuschließen, so die Heimatpflegerin. Ihr Vorschlag: „Karsamstagsfeuer“für ein Dorffest im österlichen Sinne eines Neuanfangs. (mit gra)
Das Brennmaterial ist rarer geworden: Zahl der Feuer sinkt.