BLÜMCHENSEX
Mit seinem herrlichen schottischen Humor und seinem erstaunlichen Wissen (ver)führt der Autor in die fruchtbare Welt der Botanik.
Warum nicht nur Wohlgerüche bei der „Partnersuche“hilfreich sind.
Liebe geht auch durch die Nase
Wenn man mal drüber nachdenkt, muss es wohl ganz schön hart im Bestäuberwettbewerb zugehen. Die fleißigen Bienen und Co. können ja nicht überall gleichzeitig sein. Ich bin mir zwar sicher, dass Schmetterlinge und Motten ihr Bestes geben, doch sie fliegen bei Weitem nicht so schnell wie Bienen. Also gibt es ein natürliches Limit an Pflanzen, die jedes einzelne Insekt im Lauf eines Arbeitstages besuchen kann. Was würden Sie anstelle der Pflanzen am besten tun? Nun, Sie könnten Ihre Kundschaft erweitern und andere Tierarten anlocken.
Zwar finden wir bestimmte Pflanzen hübsch, doch Sie wissen nun schon, dass Schönheit keine Rolle für die Pflanzenvermehrung spielt. Die Blüte muss einfach nur bestäubenden Insekten ins Auge springen. Dasselbe gilt, offensichtlich, für den Duft. Rosen mögen süßlich duften, doch dass Dichter und Liebende sie romantisch finden, macht keinen Unterschied. Und wie sehen die Bienen das Ganze?
Wenn Bienen immer am Arbeiten sind und Sie als Pflanze kein Parfum hinbekommen, das grandioser als das der Rose ist, dann sollten Sie sich vielleicht einen ganz anderen Weg überlegen. Es gibt ja nicht nur Bienen und Schmetterlinge, sondern auch jede Menge Fliegen. Diejenigen, die sich von verwesendem Fleisch ernähren oder ihre Eier dort platzieren, legen lange Strecke auf ihrer Nahrungssuche zurück. Das müssen sie auch, denn Leichen liegen ja auch nicht allenthalben herum, oder? Also warum versuchen Sie es nicht mal mit einer Blüte, die nach verwesendem Fleisch riecht? Sie sollten am besten eine richtig große Blüte haben, damit sie viel Gestank absondert. So können sich auch die Fliegen nicht rausreden, dass sie Sie nicht gefunden hätten.
Wenn eine Pflanze etwas will, kann sie alles Mögliche erreichen. Die Titanenwurz ( Amorphophallus titanum, siehe diese Seite links unten) steht auf Aasfliegen und hat für sie einen der weltweit größten Blütenstände gebaut. Der Blütenkolben von drei Meter Höhe ist in ein Hochblatt gehüllt. Dieses ist außen grün und dunkelrot im Inneren. Die geöffnete Blüte riecht also nicht nur wie rotes Fleisch, sondern sieht auch noch so aus. Sie ist außerdem so warm wie ein Säugetier. Der Kolben ist ein Blütenstand mit männlichen und weiblichen Einzelblüten. Die Damen öffnen sich zuerst, die Männer einen oder zwei Tage später. Nach dem Verwelken der Blüte bildet die Pflanze ein einzelnes Blatt aus, das phallusartig bis zu einer Höhe von sechs Metern wächst. Es wird bis zu fünf Meter breit. Das ist mal eine Pflanze! Für ein Date mit ihr eilen Schmalbienen, Aasfliegen und Käfer von weit herbei, um ihre Eier abzulegen. Die Temperatur des Kolbens hilft beim Verströmen des Duftes, der am stärksten mitten in der Nacht ist. Dann sind die Bestäuber nämlich auf den Beinen; sie können ihn Hunderte Meter entfernt riechen. Wenn die Insekten sich in die Blüte begeben, sind sie kurzzeitig gefangen. Zunächst geben sie ihren Pollen ab, den sie mitgebracht haben. Dann müssen sie warten, bis die weiblichen Blüten nicht mehr empfangsbereit sind und sich die männlichen Blüten öffnen. So nehmen sie Pollen mit, wenn sie den Blütenstand verlassen. Die Blüte öffnet sich üblicherweise nachmittags und stirbt nach einer Nacht ab. Die Titanenwurz ist in Sumatra heimisch, doch viele botanische Gärten besitzen sie, da sie schon ziemlich originell ist. Eine ähnliche Pflanze, die Riesenrafflesie ( Rafflesia arnoldii, siehe nächste Seite links oben), ist in den Regenwäldern Sumatras und Borneos beheimatet. Auch sie ist ein großer Stinker – ihr »Duft« lässt sich kaum in Worte fassen.
Die Riesenrafflesie stellt aber noch einen anderen Rekord auf, denn sie bildet mit einem Meter Größe im Durchschnitt und bis zu zehn Kilogramm Masse die weltweit größte Einzelblüte. Die Pflanze lebt ohne Blätter, Stängel und Wurzeln als Vollschmarotzer. Die Blüte ist der einzig sichtbare Teil. Der Rest windet sich mehrere Jahre lang in Form von dünnen Strängen durch die Stängel und Wurzeln des Wirts. Schließlich sprießt eine kleine Knospe durch die Rinde, die in etwa neun Monaten reift. Dann öffnen sich fünf rötlichbraune Blütenblätter, die orangefarbene Punkte tragen. Die fruchtbare Blütezeit dauert etwa eine Woche, dann verschwindet die Blüte wieder. Sie ist entweder männlich oder weiblich und wird von Schmeißfliegen bestäubt. Die Pflanze produziert einige Liter eines faulig stinkenden Nektars, doch trotz dieser ganzen Mühe wird sie nicht häufig bestäubt, denn Riesenrafflesien sind sehr selten und wachsen weit verstreut. Es ist da wohl nicht überraschend zu hören, dass die Pflanze, die ihre Vermehrung besser organisieren müsste, bedroht ist.
Hydnora africana ist ebenfalls ein Parasit, der an die Wurzeln von Wolfsmilchgewächsen andockt. Sie ist im südlichen Afrika heimisch und besitzt ebenfalls weder Blätter noch Stängel. Nur der obere Teil der Blüte drückt sich direkt aus der Wurzel heraus über die Erde. Überirdisch setzt sie sich aus drei dicken, länglichen, innen orangefarbenen Spalten zusammen, die nur an der Spitze verbunden sind. Bei einer gewöhnlicheren Pflanze könnte man diese Spalten auch Blütenblätter nennen. Die Pflanze sondert einen starken Kotgestank ab und zieht Mistkäfer an. Die klettern hinein und bleiben bis zur Bestäubung darin gefangen. Hydnora africana entlohnt die Mistkäfer jedoch mit einem besonderen essbaren Gewebe und lässt sie etwas Pollen und einige Narbenzellen verspeisen.
Einige Stinker wachsen auch in unseren Gefilden. Gelbe Scheinkalla ( Lysichiton americanus) stammt aus Amerika. Sie wird ziemlich häufig auch in anderen Teilen der Erde angebaut, denn ihre gelben Kolben und Hochblätter sowie die riesigen Blätter, die länger als einen Meter werden können, sind einfach beeindruckend. Fliegen und Käfer sind ihre Bestäuber. Sie kann sich auch invasiv verbreiten, doch trotzdem ist sie sehr beliebt. Sie wächst auf feuchtem Boden, doch pflanzen Sie die Scheinkalla lieber nicht zu nah am Haus an – Sie werden es bereuen. Die Titanenwurz versucht sich schon an einem gefälschten Fleisch im Inneren ihrer Blütenscheide, doch die Haarige Drachenwurz ( Helicodiceros muscivorus) bemüht sich noch mehr. Ihr rötliches Hochblatt halbiert sich. Mittig darin steht der Kolben, der mit etwas Haarähnlichem bedeckt ist. Das Ganze sieht ein bisschen so aus wie das Hinterteil eines toten Pferdes, inklusive Schweif: für
Schmeißfliegen unwiderstehlich. Fliegenweibchen suchen einen Platz zur Eiablage und krabbeln in das Hochblatt. Dabei streifen sie den Pollen anderer Blüten an den empfängnisbereiten Narben ab. Wenn sie wieder aufbrechen wollen, sind sie gefangen und müssen die Nacht in der Blüte verbringen. Am folgenden Morgen sind die Staubbeutel reif genug und die Narben nicht mehr fruchtbar, sodass die Fliegen beim Aufbruch erneut Pollen aufnehmen, den sie wiederum zur nächsten Blüte mit sich tragen.
Darüber hinaus ist die Haarige Drachenwurz wie die Titanenwurz und wenige andere Pflanzen in der Lage, die Temperatur ihres Kolbens zu erhöhen. So verstärkt sich der Duft aus dem behaarten »Schweif«. Das natürliche Habitat der Pflanze befindet sich im Mittelmeerraum. Ich kenne niemanden, der sie zum Vergnügen oder als Zierde in seinem Garten anpflanzt. Einige Gartenfreunde pflanzen jedoch die Riesenblütige Aasblume ( Stapelia gigantea) an, eine einjährige Sukkulente, die wie ein Kaktus aussieht, aber keiner ist. Sie gehört zur Familie der Seidenpflanzengewächse und stammt aus dem tropischen und südlichen Afrika. Ihre Blüten mit fünf fleischigen Lappen, die jeweils bis zu 40 Zentimeter im Durchmesser groß werden können, sehen fast aus wie Seesterne. Die Blüten überleben selten länger als zwei Tage, doch die Pflanze produziert mehrere davon hintereinander. Sie riechen streng nach verwesendem Fleisch.
Es gibt sogar eine Orchidee, die einen Aasgeruch verströmt. Bulbophyllum phalae
nopsis stammt aus Indonesien. Nur sehr passionierte Orchideenliebhaber beschaffen sich ein Exemplar, sodass sich wohl kein Bedarf an einem Volksnamen ergeben hat. Die riesige Pflanze entspringt einer Pseudobulbe (eine Sprossknolle bei Orchideen) von bis zu 15 Zentimetern Durchmesser. Sie trägt lederartige Blätter, die bis zu einem Meter lang und 30 Zentimeter breit werden. Im Blütenstand befinden sich bis zu 20 Einzelblüten, die jeweils bis zu acht Zentimeter lang werden.