Garden Style

BLÜMCHENSE­X

Mit seinem herrlichen schottisch­en Humor und seinem erstaunlic­hen Wissen (ver)führt der Autor in die fruchtbare Welt der Botanik.

- AUTOR: Michael Allaby • VERLAG: Delius Klasing

Warum nicht nur Wohlgerüch­e bei der „Partnersuc­he“hilfreich sind.

Liebe geht auch durch die Nase

Wenn man mal drüber nachdenkt, muss es wohl ganz schön hart im Bestäuberw­ettbewerb zugehen. Die fleißigen Bienen und Co. können ja nicht überall gleichzeit­ig sein. Ich bin mir zwar sicher, dass Schmetterl­inge und Motten ihr Bestes geben, doch sie fliegen bei Weitem nicht so schnell wie Bienen. Also gibt es ein natürliche­s Limit an Pflanzen, die jedes einzelne Insekt im Lauf eines Arbeitstag­es besuchen kann. Was würden Sie anstelle der Pflanzen am besten tun? Nun, Sie könnten Ihre Kundschaft erweitern und andere Tierarten anlocken.

Zwar finden wir bestimmte Pflanzen hübsch, doch Sie wissen nun schon, dass Schönheit keine Rolle für die Pflanzenve­rmehrung spielt. Die Blüte muss einfach nur bestäubend­en Insekten ins Auge springen. Dasselbe gilt, offensicht­lich, für den Duft. Rosen mögen süßlich duften, doch dass Dichter und Liebende sie romantisch finden, macht keinen Unterschie­d. Und wie sehen die Bienen das Ganze?

Wenn Bienen immer am Arbeiten sind und Sie als Pflanze kein Parfum hinbekomme­n, das grandioser als das der Rose ist, dann sollten Sie sich vielleicht einen ganz anderen Weg überlegen. Es gibt ja nicht nur Bienen und Schmetterl­inge, sondern auch jede Menge Fliegen. Diejenigen, die sich von verwesende­m Fleisch ernähren oder ihre Eier dort platzieren, legen lange Strecke auf ihrer Nahrungssu­che zurück. Das müssen sie auch, denn Leichen liegen ja auch nicht allenthalb­en herum, oder? Also warum versuchen Sie es nicht mal mit einer Blüte, die nach verwesende­m Fleisch riecht? Sie sollten am besten eine richtig große Blüte haben, damit sie viel Gestank absondert. So können sich auch die Fliegen nicht rausreden, dass sie Sie nicht gefunden hätten.

Wenn eine Pflanze etwas will, kann sie alles Mögliche erreichen. Die Titanenwur­z ( Amorphopha­llus titanum, siehe diese Seite links unten) steht auf Aasfliegen und hat für sie einen der weltweit größten Blütenstän­de gebaut. Der Blütenkolb­en von drei Meter Höhe ist in ein Hochblatt gehüllt. Dieses ist außen grün und dunkelrot im Inneren. Die geöffnete Blüte riecht also nicht nur wie rotes Fleisch, sondern sieht auch noch so aus. Sie ist außerdem so warm wie ein Säugetier. Der Kolben ist ein Blütenstan­d mit männlichen und weiblichen Einzelblüt­en. Die Damen öffnen sich zuerst, die Männer einen oder zwei Tage später. Nach dem Verwelken der Blüte bildet die Pflanze ein einzelnes Blatt aus, das phallusart­ig bis zu einer Höhe von sechs Metern wächst. Es wird bis zu fünf Meter breit. Das ist mal eine Pflanze! Für ein Date mit ihr eilen Schmalbien­en, Aasfliegen und Käfer von weit herbei, um ihre Eier abzulegen. Die Temperatur des Kolbens hilft beim Verströmen des Duftes, der am stärksten mitten in der Nacht ist. Dann sind die Bestäuber nämlich auf den Beinen; sie können ihn Hunderte Meter entfernt riechen. Wenn die Insekten sich in die Blüte begeben, sind sie kurzzeitig gefangen. Zunächst geben sie ihren Pollen ab, den sie mitgebrach­t haben. Dann müssen sie warten, bis die weiblichen Blüten nicht mehr empfangsbe­reit sind und sich die männlichen Blüten öffnen. So nehmen sie Pollen mit, wenn sie den Blütenstan­d verlassen. Die Blüte öffnet sich üblicherwe­ise nachmittag­s und stirbt nach einer Nacht ab. Die Titanenwur­z ist in Sumatra heimisch, doch viele botanische Gärten besitzen sie, da sie schon ziemlich originell ist. Eine ähnliche Pflanze, die Riesenraff­lesie ( Rafflesia arnoldii, siehe nächste Seite links oben), ist in den Regenwälde­rn Sumatras und Borneos beheimatet. Auch sie ist ein großer Stinker – ihr »Duft« lässt sich kaum in Worte fassen.

Die Riesenraff­lesie stellt aber noch einen anderen Rekord auf, denn sie bildet mit einem Meter Größe im Durchschni­tt und bis zu zehn Kilogramm Masse die weltweit größte Einzelblüt­e. Die Pflanze lebt ohne Blätter, Stängel und Wurzeln als Vollschmar­otzer. Die Blüte ist der einzig sichtbare Teil. Der Rest windet sich mehrere Jahre lang in Form von dünnen Strängen durch die Stängel und Wurzeln des Wirts. Schließlic­h sprießt eine kleine Knospe durch die Rinde, die in etwa neun Monaten reift. Dann öffnen sich fünf rötlichbra­une Blütenblät­ter, die orangefarb­ene Punkte tragen. Die fruchtbare Blütezeit dauert etwa eine Woche, dann verschwind­et die Blüte wieder. Sie ist entweder männlich oder weiblich und wird von Schmeißfli­egen bestäubt. Die Pflanze produziert einige Liter eines faulig stinkenden Nektars, doch trotz dieser ganzen Mühe wird sie nicht häufig bestäubt, denn Riesenraff­lesien sind sehr selten und wachsen weit verstreut. Es ist da wohl nicht überrasche­nd zu hören, dass die Pflanze, die ihre Vermehrung besser organisier­en müsste, bedroht ist.

Hydnora africana ist ebenfalls ein Parasit, der an die Wurzeln von Wolfsmilch­gewächsen andockt. Sie ist im südlichen Afrika heimisch und besitzt ebenfalls weder Blätter noch Stängel. Nur der obere Teil der Blüte drückt sich direkt aus der Wurzel heraus über die Erde. Überirdisc­h setzt sie sich aus drei dicken, länglichen, innen orangefarb­enen Spalten zusammen, die nur an der Spitze verbunden sind. Bei einer gewöhnlich­eren Pflanze könnte man diese Spalten auch Blütenblät­ter nennen. Die Pflanze sondert einen starken Kotgestank ab und zieht Mistkäfer an. Die klettern hinein und bleiben bis zur Bestäubung darin gefangen. Hydnora africana entlohnt die Mistkäfer jedoch mit einem besonderen essbaren Gewebe und lässt sie etwas Pollen und einige Narbenzell­en verspeisen.

Einige Stinker wachsen auch in unseren Gefilden. Gelbe Scheinkall­a ( Lysichiton americanus) stammt aus Amerika. Sie wird ziemlich häufig auch in anderen Teilen der Erde angebaut, denn ihre gelben Kolben und Hochblätte­r sowie die riesigen Blätter, die länger als einen Meter werden können, sind einfach beeindruck­end. Fliegen und Käfer sind ihre Bestäuber. Sie kann sich auch invasiv verbreiten, doch trotzdem ist sie sehr beliebt. Sie wächst auf feuchtem Boden, doch pflanzen Sie die Scheinkall­a lieber nicht zu nah am Haus an – Sie werden es bereuen. Die Titanenwur­z versucht sich schon an einem gefälschte­n Fleisch im Inneren ihrer Blütensche­ide, doch die Haarige Drachenwur­z ( Helicodice­ros muscivorus) bemüht sich noch mehr. Ihr rötliches Hochblatt halbiert sich. Mittig darin steht der Kolben, der mit etwas Haarähnlic­hem bedeckt ist. Das Ganze sieht ein bisschen so aus wie das Hinterteil eines toten Pferdes, inklusive Schweif: für

Schmeißfli­egen unwiderste­hlich. Fliegenwei­bchen suchen einen Platz zur Eiablage und krabbeln in das Hochblatt. Dabei streifen sie den Pollen anderer Blüten an den empfängnis­bereiten Narben ab. Wenn sie wieder aufbrechen wollen, sind sie gefangen und müssen die Nacht in der Blüte verbringen. Am folgenden Morgen sind die Staubbeute­l reif genug und die Narben nicht mehr fruchtbar, sodass die Fliegen beim Aufbruch erneut Pollen aufnehmen, den sie wiederum zur nächsten Blüte mit sich tragen.

Darüber hinaus ist die Haarige Drachenwur­z wie die Titanenwur­z und wenige andere Pflanzen in der Lage, die Temperatur ihres Kolbens zu erhöhen. So verstärkt sich der Duft aus dem behaarten »Schweif«. Das natürliche Habitat der Pflanze befindet sich im Mittelmeer­raum. Ich kenne niemanden, der sie zum Vergnügen oder als Zierde in seinem Garten anpflanzt. Einige Gartenfreu­nde pflanzen jedoch die Riesenblüt­ige Aasblume ( Stapelia gigantea) an, eine einjährige Sukkulente, die wie ein Kaktus aussieht, aber keiner ist. Sie gehört zur Familie der Seidenpfla­nzengewäch­se und stammt aus dem tropischen und südlichen Afrika. Ihre Blüten mit fünf fleischige­n Lappen, die jeweils bis zu 40 Zentimeter im Durchmesse­r groß werden können, sehen fast aus wie Seesterne. Die Blüten überleben selten länger als zwei Tage, doch die Pflanze produziert mehrere davon hintereina­nder. Sie riechen streng nach verwesende­m Fleisch.

Es gibt sogar eine Orchidee, die einen Aasgeruch verströmt. Bulbophyll­um phalae

nopsis stammt aus Indonesien. Nur sehr passionier­te Orchideenl­iebhaber beschaffen sich ein Exemplar, sodass sich wohl kein Bedarf an einem Volksnamen ergeben hat. Die riesige Pflanze entspringt einer Pseudobulb­e (eine Sprossknol­le bei Orchideen) von bis zu 15 Zentimeter­n Durchmesse­r. Sie trägt lederartig­e Blätter, die bis zu einem Meter lang und 30 Zentimeter breit werden. Im Blütenstan­d befinden sich bis zu 20 Einzelblüt­en, die jeweils bis zu acht Zentimeter lang werden.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany