Russische Klangwelten
Fabio Luisi mit der Philharmonia Zürich und Ivo Pogorelich im Graf-Zeppelin-Haus
FRIEDRICHSHAFEN - Ein komplett russisches Programm präsentierte die Philharmonia Zürich unter der Leitung ihres Chefdirigenten Fabio Luisi bei einem begeistert aufgenommenen Gastspiel im Graf-Zeppelin-Haus. Ivo Pogorelich wirkte als Solist bei der Aufführung von Sergej Rachmaninows zweitem Klavierkonzert mit. Nach der Pause erklang Peter Tschaikowskys sechste Sinfonie mit dem Beinamen „Pathétique“. Die beiden Komponisten gelten bis heute als beliebteste Vertreter russischer Kunstmusik im Ausland.
Ivo Pogorelich hat sich als eigenwilliger Pianist einen Namen gemacht. Schon in seinen Anfängen: Er ist einer der Künstler, die dadurch berühmt werden, dass sie eine Auszeichnung nicht gewinnen. 1980 flog der 1958 in Belgrad geborene Pianist in der dritten Runde aus dem Chopin-Wettbewerb. JuryMitglied Martha Argerich war darob so erbost, dass sie das Gremium verließ mit den Worten: „Er ist ein Genie!“Nach großen Erfolgen in den 1980er-Jahren zog sich Pogorelich nach dem Tod seiner ersten Frau und wegen gesundheitlicher Probleme eine Zeit lang vom Konzertleben zurück. Doch seit einigen Jahren ist er wieder da.
Seiner unorthodoxen, ganz persönlichen Interpretation ist er treu geblieben. Das stellte er jetzt auch bei diesem Auftritt in Friedrichshafen hörbar unter Beweis. Häufig wirkte das, als wolle er sich fast ostentativ absetzen von poliertem Schönklang. Nach fein abgetönten, glockenartig changierenden Anfangsharmonien gerieten schnelle Passagen verhuscht. Auch später gingen perlende Läufe oft unklar zwischen den Eckpfeilern ehern gehämmerter Akkorde im Orchesterklang unter.
Unorthodoxer Stil
Bei den Tempi nahm sich Pogorelich immer wieder große Freiheiten heraus. Mit ungewöhnlichen, stellenweise wie improvisiert daherkommenden Rubati machte er es dem fabelhaft begleitenden Orchester des Opernhauses Zürich nicht leicht. Mehrfach war Luisis ganzes Geschick gefragt, die gefährdete Koordination unauffällig wieder ins Lot zu bringen. Rhythmische Querschläger durch Akzente auf Nebentönen oder übertrieben hervorgehobene Mittelstimmen gewannen dem Solopart zwar hie und da interessante Facetten ab, wirkten aber insgesamt manieriert.
Gelegentlich weckte Pogorelich den Eindruck, als habe er sich vorgenommen, dem Konzert Rachmani- nows alle spätromantische Emphase auszutreiben, in der Verehrer des Komponisten „russische Seele“orten, während seine Verächter hier mit Richard Strauss eher „gefühlvolle Jauche“konstatieren. Töne im Diskant meißelte Pogorelich geradezu in die Tasten. Von russischem Legato konnte bei diesem Skandieren von Melodien keine Rede sein. Vollgriffige Passagen klangen manchmal eher nach Prokofjew. So ließ die spannungslos abgespulte pianistische Darbietung ziemlich kalt.
Grandios gelang danach die Wiedergabe von Tschaikowskys letzter Sinfonie. Vom dräuenden Beginn der Kontrabässe, den der Komponist nachträglich dem Kopfsatz vorangestellt hat, bis zum bedrückend resignativen Verlöschen des finalen Adagio-Satzes entfaltete Luisi ein packendes orchestrales Drama. Erlesene Farben kamen schön zur Geltung. Lyrische Momente wurden poetisch und mit konzertierter Ruhe ausmusiziert. Reizvoll wogte der Walzer des zweiten Satzes im Fünfvierteltakt. Das virtuos instrumentierte, von sinfonischen Einfällen Joachim Raffs profitierende Scherzo ließ Luisi mit der Präzision einer Schweizer Uhr abschnurren. Mit vollem Körpereinsatz zündete er ein Feuerwerk an rhythmischem Drive, das noch vor dem requiemartigen Finalsatz spontanen Beifall erhielt.