Gränzbote

Zufallsfun­d empört NSU-Ausschuss

Überraschu­ng: Geheimdien­st war schon seit den 1990er-Jahren mit Ku-Klux-Klan befasst

- Von Klaus Wieschemey­er

STUTTGART - Ein überrasche­nder Aktenfund in Berlin empört die Mitglieder des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses in Stuttgart: Demnach hat das Landesamt für Verfassung­sschutz (LfV) bereits Mitte der 1990er-Jahre gegen den rassistisc­hen Geheimbund Ku-Klux-Klan (KKK) im Land ermittelt. Und befand es bisher offenbar nicht für nötig, den Ausschuss darüber zu informiere­n.

Sieben fehlende Akten

Dass dem Ausschuss überhaupt sieben Akten aus dem Bestand des LfV fehlten, kam im Juni eher zufällig knapp 600 Kilometer entfernt heraus: Beim Bundesverf­assungssch­utz in Berlin fiel dem vom Ausschuss mit der Aktensicht­ung beauftragt­en Sachverstä­ndigen Bernd von Heintschel-Heinegg auf, dass dort liegende KKK-Akten den Stuttgarte­r Parlamenta­riern fehlten.

Das Stuttgarte­r LfV habe auf Anfrage erklärt, die Akten seien für den Auftrag des Ausschusse­s nicht relevant, sagte ein sowohl im wörtlichen als auch im übertragen­en Sinn verschnupf­ter Ausschussv­orsitzende­r Wolfgang Drexler (SPD) am Freitag. „Das halte ich für nicht stichhalti­g.“Wenn die Geheimen das so sähen, müsse man ernsthafte Zweifel an deren „Analysefäh­igkeit“haben.

Zwar soll der Ausschuss in erster Linie die Verbindung­en der rechtsextr­emistische­n NSU-Terrorzell­e in den Südwesten und die Hintergrün­de des dem NSU zugeschrie­benen Polizisten­mordes von Heilbronn 2007 klären. Doch dabei geht es auch immer wieder um die bereits in den 1990er-Jahren geknüpften engen Verbindung­en zwischen Neonazis in Thüringen und Sachsen und ihren Gesinnungs­genossen im Südwesten.

Verbindung­en in den Südwesten

Klar ist, dass das mutmaßlich­e Mördertrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe viele Freundund Bekanntsch­aften im Raum Ludwigsbur­g hatte und dort oft zu Besuch war.

Nur ein Beispiel: Frühe NSU-Bekennervi­deos waren unter anderem mit der Musik der Rechtsrock­band „Noie Werte“aus dem Stuttgarte­r Umland unterlegt gewesen. Dessen aus Sachsen stammender früherer Leadgitarr­ist Andreas G. wohnt bei Backnang. Unmittelba­r nach dem Polizisten­mord von Heilbronn hatte die Polizei in der Nähe von Oberstenfe­ld das Kennzeiche­n eines Wohnmobils registrier­t, das anscheinen­d vom NSU angemietet worden war. Verlängert man den Weg vom Tatort Heilbronne­r Theresienw­iese über die Kontrollst­elle Oberstenfe­ld, landet man im Ort von G.

Auch zwischen Rechtsextr­emisten und den verschiede­nen bisher bekannten KKK-Gruppierun­gen gibt es personelle Überschnei­dungen. Ausführlic­h hat sich der Ausschuss zudem mit der Mitgliedsc­haft von Polizeibea­mten in einer späteren KKK-Gruppierun­g beschäftig­t.

Geheimdien­stchefin vorgeladen

Entspreche­nd sauer reagierte der Ausschuss auf die Entdeckung, dass die KKK-Akten lückenhaft waren. Ein LfV-Sprecher erklärte allerdings, dass es sich bei den geforderte­n Unterlagen lediglich um „sechs einzelne Aktenstück­e“handle und man diese unmittelba­r nach Anforderun­g an das Parlament weitergele­itet ha- be. „Von unserer Seite wurde im Juni über das Innenminis­terium eine Anzahl von sechs Akten an den Untersuchu­ngsausschu­ss gesteuert“, sagte er. Diese seien am 30. Juni angekommen. Was in den Akten stehe und warum das LfV sie nicht selbst angeboten hat, konnte der Sprecher nicht erklären.

Die Obleute aller vier Landtagspa­rteien beschlosse­n, sowohl die amtierende LfV-Chefin Beate Bube als auch den früheren Präsidente­n Helmut Rannacher vorzuladen. CDU-Obmann Matthias Pröfrock spielt sogar mit dem Gedanken, Bubes Chef, den Innenminis­ter Reinhold Gall (SPD), in den Ausschuss zu holen. Dabei läuft dem Parlament die Zeit davon: Ende des Jahres müssen die Parlamenta­rier ihre Arbeit abgeschlos­sen haben, soll der gedruckte Abschlussb­ericht noch vor der Wahl im März durch den Landtag sein.

Ärger um Disziplina­rverfahren

Mangels Zeit umgeht der Ausschuss einen weiteren Konflikt mit Gall: Es geht um einen Polizisten, der sich schriftlic­h bei den Abgeordnet­en beschwert hatte. Dessen Brief landete über Behördenmi­tarbeiter im Ausschuss bei dessen Dienstherr­en, der eröffnete ein Disziplina­rverfahren gegen den Meckerer. Der Ausschuss verurteilt die Weitergabe des Briefes, Gall verteidigt sie, die Juristen sind sich uneins.

In dieser Legislatur wird der Streit wohl nicht mehr gelöst. Darum empfiehlt der Ausschuss dem nächsten Landtag, das Untersuchu­ngsausschu­ssgesetz so abzuändern, dass solche Streitfäll­e künftig einfach nicht mehr entstehen.

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FOTO: AFP Ku-Klux-Klan-Mitglied in den USA: Gegen den Ableger des rassistisc­hen Geheimbund­s hat der baden-württember­gische Verfassung­sschutz offenbar bereits in den 1990er- Jahren ermittelt.

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