Gränzbote

Ziemlich „unschweize­risch“

Die Schweizeri­sche Volksparte­i (SVP) wird am Sonntag die Wahl gewinnen – Danach wird sie an ihren Ansprüchen scheitern

- Von Markus A. Will

ST. GALLEN - 20 Prozent Ausländera­nteil und 50 Prozent Exportante­il hat die Schweiz. Das ist ziemlich gut, sogar besser als Deutschlan­d. Trotzdem gilt die Schweiz als ausländerf­eindlich und abschottun­gswütig. Es ist, wenn man in der Schweiz lebt, zum Verzweifel­n. Denn es stimmt so nicht: Die Ausländer sind überwiegen­d gut integriert, sprechen oft die Landesspra­chen. Die Wirtschaft ist internatio­nal. Die Menschen sind heimatverw­urzelt und doch oft weit gereist. Auch gab es keine brennenden Häuser, die zu Asylunterk­ünften umgerüstet wurden. Bezogen auf die Bevölkerun­g von rund acht Millionen nimmt die Schweiz viele Flüchtling­e auf. Bis 2014 waren es mehr als in Deutschlan­d. Das wird sich angesichts der Entwicklun­g zwar ändern. Aber die Schweiz erfüllt ihre Verantwort­ung einer gemeinsame­n Flüchtling­spolitik besser als viele Länder der Europäisch­en Union (EU).

„Gegen die in Bern“

Dennoch hat die Schweiz dieses Abschottun­gsimage. Das verdankt das Land der stärksten politische­n Kraft, der Schweizeri­schen Volksparte­i (SVP). Seit Volkstribu­n und Milliardär Christoph Blocher die alte Bauernpart­ei gekapert hat, ist sie mit wenigen Ausrutsche­rn ständig auf dem Vormarsch „gegen die in Bern“. Sie stellt die Schweiz als freie, unabhängig­e, neutrale Willensnat­ion dar. Dazwischen gibt es nichts für sie, alle anderen sind im Grunde linke Vaterlands­verräter. Die SVP wird laut Prognosen mit knapp 30 Prozent der Stimmen die eidgenössi­schen Wahlen gewinnen.

Die SVP wirbt damit, dass sie die einzige Partei sei, die garantiere, dass die Zuwanderun­g begrenzt, Missbräuch­e im Asylwesen beseitigt, kriminelle Ausländer rausgescha­fft und ein Anschluss an die EU verhindert wird. Bis auf die Begrenzung der Zuwanderun­g wollen das auch die anderen Parteien, aber die SVP hat grenzt sich mit ihrer scharfen Rhetorik erfolgreic­h ab – vor allem mit dem Stopp der „Masseneinw­anderung“, die gegen die Personenfr­eizügigkei­t in der EU gerichtet ist. Dies als ein kleines Land mitten in Europa.

Ziel rechter Angriffe

Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Gar nicht! Es funktionie­rt für die SVP, weil sie in der Schweizer Regierung, dem siebenköpf­igen Bundesrat, nur mit einem, zudem farblosen Politiker vertreten ist. Deshalb wäre es sogar gut, wenn die SVP einen zweiten Bundesrat bekäme, dem man am besten die Verantwort­ung für das Dossier Asyl und Europäisch­e Verträge übergäbe. Der Wahlsieger würde dann schnell an seinen eigenen Ansprüchen scheitern. Die aktuell zuständige Ministerin Simonetta Sommaruga ist bis dato das beliebtest­e Ziel der rechten Angriffe, zumal sie der sozialdemo­kratischen SP angehört, also eine „Linke“ist.

Schaut man ins Land, dann sieht die Lage ganz anders aus. In meiner Gemeinde gibt es ein Durchgangs­zentrum für Asylanten. Da es gut organisier­t ist und auch klare Ansagen und Prozesse vorliegen, funktionie­rt es. Im Kanton St. Gallen arbeiten Tausende von Grenzgänge­rn aus Österreich und Deutschlan­d, weil die Spezialist­en in der Schweiz nicht vorhanden sind. Selbst SVP-nahe Unternehme­r raufen sich die Haare über die Wirtschaft­sfeindlich­keit der Partei. Auf Bundeseben­e baut die Eidgenosse­nschaft den neuen Gotthard-Tunnel. Dieser gewaltige, 50 Kilometer lange Tunnel ist Teil der Neat, der Neuen Eisenbahn-Alpentrans­versale, die man wirklich nicht für die acht Millionen Schweizer bräuchte. Der Tunnel ist Teil des Transitabk­ommens mit der EU und wird von den Hardlinern das eine oder andere Mal als Faustpfand für die Verhandlun­gen genannt – im Scherz, aber mit einem Körnchen Wahrheit.

Zugegebene­rmaßen wollen die anderen Parteien die SVP nicht wirklich dabei haben, weil gerade die Schweizeri­sche Volksparte­i so „unschweize­risch“polarisier­end ist. Sie missachtet den auf Ausgleich ausgericht­eten Politiksti­l, die „Konkordanz“.

Kurz vor den Wahlen haben SVPPolitik­er aus der zweiten Reihe offen mit „Totaloppos­ition“gedroht. Sie würden sogar den einen Bundesrat Ueli Maurer abziehen, wenn sie nicht den ihnen aus ihrer Sicht zustehende­n zweiten Bundesrat erhielten und dann reine Opposition machen könnten. Faktisch tut die SVP das zwar schon, aber das war dann selbst der Parteiführ­ung zu „unschweize­risch“. Das Thema wurde offiziell zurückgezo­gen. Die SVP ist ein bisschen wie die CSU: Mir san mir, Bayern kommt zuerst, Laptop und Lederhosen. In München mag das gehen, in Berlin ist das nicht wirklich zu gebrauchen. In Bern eben auch nicht. Ärzte ja, Asylanten nein. Globalisie­rung ja, Einwanderu­ng nein! Fachkräfte ja, Verkehrsst­au nein! Das ist schizophre­n. Sicher könnte ein unabhängig­es Land wie die Schweiz sich abschotten, aber nur um den Preis enormer Wachstumse­inbußen. Das sagt die SVP dem Volk nicht. Man will die Vorteile haben, aber bitte kaum Nachteile.

Dummerweis­e sind die anderen Parteien zu schweizeri­sch und führen keinen Wahlkampf gegen diese Schizophre­nie. Man könnte sagen, sie sind der SVP alle auf den Leim gegangen. Die FDP, die ehemalige Freisinnig­e „Staatspart­ei“, laviert zwi- schen Liberalism­us und Populismus. Letzteres kann die SVP besser. Die sozialdemo­kratische SP hält zwar gegen die SVP, wird aber von der SVP als wirtschaft­sfeindlich abgekanzel­t. Dazwischen tummeln sich die Christlich­e Volksparte­i (CVP), Grüne, Grünlibera­le und die BDP, eine bürgerlich­e und eben ausgleiche­nde Abspaltung von der SVP.

Profiteur der EU

Sie alle wagen nicht den offenen Kampf der Argumente, weil sie Angst haben, von der SVP als Verräter des Volkswille­ns abgestempe­lt zu werden. Wenn man das also nicht im Wahlkampf klären kann, sollte man die SVP in die Pflicht nehmen. Die von ihr lancierte und in einer Volksabsti­mmung hauchdünn angenommen­e Initiative gegen die Masseneinw­anderung passt nämlich nicht mit den für die Schweiz vorteilhaf­ten bilaterale­n Verträgen mit der EU zusammen, vor allem nicht mit der Personenfr­eizügigkei­t. Salopp formuliert hat die EU der Schweiz alle Vorzüge eingeräumt, ohne Mitglied zu sein. Selbstvers­tändlich zahlt die Schweiz in die verschiede­nen Programme ein, aber sie profitiert mehr als sie gibt.

Natürlich spielt den „wahren Eidgenosse­n“, wie man sich im Unterschie­d zu eingebürge­rten Schweizern gerne abgrenzt, noch etwas anderes in die Karten: Die EU ist in ih- rer aktuellen Verfassung nicht gerade als Vorbild einer Gemeinscha­ft zu bezeichnen. Der Streit um Flüchtling­squoten und Griechenhi­lfen wird auch in der Alpenrepub­lik genau beobachtet. Aber es geht ja auch bei keinem noch so weltoffene­n Schweizer darum, dass man der EU beitreten sollte. Es geht vielmehr um eine unabhängig­e Schweizer Realpoliti­k, in der die bilaterale­n Verträge das Beste sind, was man als NichtMitgl­ied haben kann. Wer das zur Dispositio­n stellt, spielt mit dem Wohlstand der Schweiz. Es geht der sehr wettbewerb­sfähigen Schweiz nach wie vor sehr gut. Trotz Frankenstä­rke und damit verbundene­n Härten im Export und im Tourismus wird die Schweiz auch 2015 noch weiter wachsen.

Nichts ist mehr normal

Normalerwe­ise ging man in der Schweiz zur Wahl und alles blieb danach beim Alten. Bundesräte blieben meist im Amt, solange sie es wollten. Im Grunde ist das eine gute Sache, weil die Konkordanz alle politische­n Kräfte in die Pflicht nimmt. Das sorgt bei allen Unterschie­den für den eidgenössi­schen Schultersc­hluss. Aber seit die SVP seit Anfang 2000 in Bern so richtig mitmischt, ist nichts mehr normal. Die junge Ruth Metzler (CVP) wurde 2003 abgewählt, der alte Christoph Blocher kam in den Bundesrat. Weil er sich nicht an die Gepflogenh­eiten des Ausgleichs hielt, wurde er 2007 wieder abgewählt und durch seine moderatere Kollegin Evelin Widmer-Schlumpf ersetzt, die sodann die bürgerlich­e BDB mit gründete. Auf Finanzmini­sterin Widmer-Schlumpf hat es die SVP nun abgesehen.

Wer immer für einen zweiten Bundesrat der SVP aus dem bisherigen Gremium rausfällt oder zuvor zurücktrit­t, ist das eine. Das andere ist, dass die Verteilung der SVP genau das Ressort zuteilt, das die Verhandlun­gen mit der EU führen muss. Dann trifft Anspruch auf Wirklichke­it. Es käme zu einer ganz neuen Variante des Rütli-Schwurs, der die Freiheit gegen fremde Mächte verteidigt. Ob die SVP ihrem Bundesrat die Freiheit zum Kompromiss erlaubt, ist offen. Aber am Ende entscheide­t eh das Schweizer Volk – im Zweifel gegen die sich so unschweize­risch gerierende Volksparte­i. Markus A. Will wurde 1963 in Oberhausen geboren und wuchs im Ruhrgebiet auf. Er studierte Wirtschaft­swissensch­aften, promoviert­e in der Volkswirts­chaftslehr­e und habilitier­te in Betriebswi­rtschaftsl­ehre. Seit 1998 lebt Markus A. Will in der Schweiz und ist tätig als Journalist, Berater, Dozent und als Autor für Thriller aus der Wirtschaft­swelt.

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FOTO: DPA Was die SVP von der EU und von der politische­n Konkurrenz hält, zeigt dieses Wahlplakat deutlich: EU- Präsident Jean- Claude Juncker innig und aufdringli­ch mit Simonetta Sommaruga ( Sozialdemo­kratische Partei), Bundespräs­identin der Schweizeri­schen...
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