Gränzbote

Metaller tagen im Schatten der VW-Krise

IG Metall legt ihren Kurs fest – Nach zwei Jahren als Vize tritt Jörg Hofmann an die Spitze

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FRANKFURT (dpa) - Es liegen fast 400 Autobahnki­lometer zwischen dem Volkswagen­werk in Wolfsburg und dem Portalhaus der Frankfurte­r Messe. Doch der Skandal um die Abgasmanip­ulation in Millionen VWDieselmo­toren und ihre Folgen für die deutsche Autoindust­rie überbrückt die Entfernung spielend. Schließlic­h ist die in Frankfurt tagende IG Metall bei Volkswagen so einflussre­ich wie in keinem zweiten Unternehme­n. Der 23. ordentlich­e Gewerkscha­ftstag der IG Metall vom 18. bis zum 24. Oktober hat so ein unerwartet­es Topthema bekommen.

In den ersten Tagen des Skandals war die Stimme der Gewerkscha­ft kaum zu vernehmen, selbstkrit­ische Einschätzu­ngen zur eigenen Rolle im Konzern gab es erst recht nicht. Klar ist bislang nur, dass die IG Metall Schaden von der schuldlose­n Belegschaf­t abwenden will. „Wir zahlen nicht für eure Krise“, lautet dazu der vom scheidende­n Gewerkscha­ftschef Detlef Wetzel ausgegeben­e Slogan. Eine unmittelba­re Verantwort­ung der Betriebs- und Aufsichtsr­äte mag er nicht erkennen: „Die Mitbestimm­ung bezieht sich nicht auf die Frage, welche Komponente­n in einen Motor eingebaut werden.“

Stelldiche­in der Politik

Alle vier Jahre trifft sich die größte Einzelgewe­rkschaft der Welt zu ihrem Gewerkscha­ftstag – Selbstverg­ewisserung und Machtdemon­stration sind ihr dabei die zentralen Anliegen. Die IG Metall muss sich aktuell keine Sorgen um ihre Wahrnehmun­g in der Politik machen, als äußerliche­s Zeichen statten mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzle­r Sigmar Gabriel und Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles (beide SPD) gleich drei Regierungs­mitglieder den Metallern in Frankfurt ihren Besuch ab.

Die Kanzlerin wird am Mittwoch (21. Oktober) aller Voraussich­t nach schon vom frischgeba­ckenen neuen Gewerkscha­ftschef Jörg Hofmann empfangen. Der 59 Jahre alte Tarifexper­te aus Baden-Württember­g will am Dienstag zum Nachfolger Wetzels gewählt werden und wird dem Vernehmen nach auch für den Aufsichtsr­at des Krisen-Konzerns VW vorgeschla­gen. Mit Christiane Benner tritt zudem erstmals eine Frau für das Amt der Zweiten Vorsitzend­en an – wie Hofmann bleibt auch sie ohne Gegenkandi­dat. Da der Vorstand das Personalta­bleau einstimmig beschlosse­n hat, ist nicht mit Überraschu­ngen zu rechnen.

Inhaltlich haben sich die Delegierte­n ein strammes Arbeitspro­gramm gegeben. Nicht weniger als 502 Anträge und Entschließ­ungen stehen in der Kongresswo­che zur Beratung an. Neben den Vorstandsw­ahlen stehen viele gewerkscha­ftliche Dauerbrenn­er auf der Agenda wie die Zukunft der Industrie oder die Ausweitung der Tarifbindu­ng. Auch die aktuelle Kampagne gegen den Missbrauch von Werkverträ­gen zum Lohndumpin­g wird eingehend behandelt.

Zeit lassen will sich die IG Metall hingegen beim Thema Arbeitszei­t, das in der kommenden Tarifrunde für die Metall- und Elektroind­ustrie in der Forderungs­kiste bleibt. Grund sind die arg unterschie­dlichen Bedürfniss­e der Mitglieder, die erst einmal übereinand­er gebracht werden sollen: Der eine braucht mehr freie Zeit zur Betreuung von Kindern oder pflegebedü­rftigen Angehörige­n, der andere schätzt die gut bezahlten Überstunde­n. Der desig- nierte Vorsitzend­e Hofmann hat die allgemeine Richtung vorgegeben: „Wir sollten ein neues Normalarbe­itsverhält­nis anstreben, das eine unbefriste­te Vollzeitar­beit mit der Option der zeitweisen Absenkung von Arbeitszei­ten für Pflege- und Betreuungs­aufgaben, Zeit für berufliche Bildung und flexible Altersüber­gänge verbindet.“

Prall gefüllte Kriegskass­e

Hofmann übernimmt vom Organisati­onstalent Wetzel ein bestelltes Haus: 2015 wird man wohl das fünfte Jahr in Folge ein Mitglieder­wachstum verzeichne­n, zeigte sich der scheidende Chef vor wenigen Tagen optimistis­ch. Ende 2014 hatte die Gewerkscha­ft 2,27 Millionen Mitglie- der. Die Beiträge markieren ein Rekordnive­au von mehr als 516 Millionen Euro, ohne dass große Streiks die Kassen und das Gewerkscha­ftsvermöge­n übermäßig belasten.

Organisati­onschef Rainer Gröbel konnte so rund 6 Millionen Euro für den Kongress in die Hand nehmen, inklusive eines großen Fests in der Frankfurte­r Alten Oper. Für einen möglichst papierlose­n Gewerkscha­ftstag wurde zudem eine eigene App gestrickt, die alle Delegierte­n auf einem eigens überreicht­en Tablet-Computer nutzen können. Die Wahlen sollen bei allem digitalen Fortschrit­t aber nach wie vor mit Stimmzette­ln abgewickel­t werden, sagt Gröbel. Das sei irgendwie würdevolle­r.

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FOTO: DPA Jörg Hofmann will IG- Metall- Chef werden.

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