Das Ende der Heiterkeit
Mit der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen von 1972 wird der Terrorismus zur deutschen Wirklichkeit
MÜNCHEN - Es sind die Tage, an denen Deutschland die fröhliche Unschuld der Wirtschaftswunderjahre verliert. Das Attentat auf die Olympischen Sommerspiele von München endet am 5. September 1972 im Inferno mit insgesamt 17 Toten. Es offenbart den internationalen Schulterschluss des Terrorismus und die an- fängliche Ohnmacht der Sicherheitsbehörden auf der Schwelle zum „Deutschen Herbst“. Hans Müller, damals Sportchef der „Schwäbischen Zeitung“kommentiert: „Aus heiteren Spielen ist blutiger Ernst geworden.“
Es sollten vor allem „Fröhliche Spiele“werden knapp ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes. Kein Säbelrasseln, keine Pickelhauben, sondern unbewaffnete Polizisten in himmelblauen Designer-Anzügen. Im Olympischen Dorf herrscht buntes Treiben, auch die Nächte durch. Der Zaun drumherum ist kein echtes Hindernis, sondern fast mühelos zu überwinden. Echte Kontrollen bleiben seltene Ausnahme.
„Schwarzer September“
Auch an jenem 5. September, als acht Kämpfer der Palästinenser-Organsiation „Schwarzer September“gegen 4.10 Uhr über den Drahtzaun beim Tor 25A klettern. Die Terroristen tragen rote Trainingsanzüge. Ihre Sturmgewehre haben sie in Sporttaschen versteckt. Telefonmonteure der Post, die so früh schon unterwegs sind, halten sie für Spätheimkehrer aus dem legendären Münchner Nachtleben, das in diesen Tagen ganz besonders legendär gewesen ist.
Gegen 4.35 Uhr erreicht das Kommando ein Appartement der israelischen Olympia-Mannschaft an der Connollystraße 31. Die Eingangstüren waren nicht verschlossen und niemand schöpfte bis dahin Verdacht, obwohl sich die Eindringlinge erst mal in der Etage irrten. Minuten später befinden sich elf Sportler aus Israel in ihrer Gewalt. Der Gewicht- heber Josef Romano und der RingerTrainer Mosche Weinberg leisten Widerstand und werden brutal erschossen. Um 5.21 Uhr gehen die ersten Alarmmeldungen bei der Polizei ein.
Über Stunden können die Geiselnehmer das Geschehen rund um das Haus an der Connollystraße auf dem Fernsehschirm verfolgen. Niemand denkt zunächst daran, ihnen den Strom abzuschalten und TV-Kameras dokumentieren den Aufmarsch von Polizei und Sicherheitskräften. Die Terroristen verlangen die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen und von zwei Mitgliedern der „Roten Armee Fraktion“, die in jener Zeit Deutschland unsicher macht: Andreas Baader und Ulrike Meinhof, die zentralen Akteure im Deutschen Herbst.
Israel lehnt jegliches Nachgeben ab. Die Behörden dort hatten schon im Vorfeld der Spiele vor Terror-Gefahr gewarnt, bieten nun vergeblich den Einsatz ihrer Spezialkommandos an. Der eilig gebildete Krisenstab, dem auch Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und Bayerns Innenminister Bruno Merk angehören, will den Forderungen zum Schein nachgeben und lässt die Palästinenser mit ihren Geiseln zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck bringen.
Dass das Drama nach knapp 20 Stunden in einem Blutbad endete, dass alle Geiseln nicht überlebten, erfahren die Zeitungsleser am nächsten Morgen zunächst nicht. „Alle israelischen Geiseln befreit“lautet die Titel-Schlagzeile der „Schwäbischen Zeitung“vom 6. September 1972. Wie alle anderen Blätter auch hatten die Kollegen der Erfolgsmeldung einer nächtlichen Pressekonferenz vertraut. Das Inferno von Fürstenfeldbruck wird auch zum Fiasko amtlicher Informationspolitik.
Erst in den frühen Morgenstunden wird das Ausmaß der Tragödie klar: Beim nächtlichen Befreiungsversuch auf dem Fliegerhorst-Gelände sind neben den neun Geiseln, die den ersten Angriff überlebt hatten, auch ein deutscher Polizeibeamter und fünf Terroristen umgekommen. Um 3.15 Uhr beginnen die Redakteure mit der Arbeit an einem Extrablatt, das den Lesern an diesem 6. September ab 6 Uhr morgens die Wahrheit mitteilt: „Befreiungsaktion endet mit Blutbad – Alle israelischen Geiseln sind tot“. Die Aufarbeitung des Geschehens wird bis in unsere Tage dauern. Und Deutschland verändern: Aus den Lehren von Fürstenfeldbruck, wo die „Scharfschützen“nicht einmal Zielfernrohre für ihre Gewehre hatten, entstand die Polizeieinheit GSG-9 mit ihrem Gründungskommandeur Ulrich Wegener. Jene GSG-9, die fünf Jahre nach dem Münchner Massaker in Mogadischu eine Lufthansa-Maschine mit 81 Geiseln aus der Gewalt arabischer Terroristen befreite. Als der „Schwarze September“endgültig auch zum „Deutschen Herbst“gehörte: Auf der Liste der Sträflinge, die freigepresst werden sollten, standen wie zuvor in München die RAF-Anführer Andreas Baader und Ulrike Meinhof.
Was dem Massaker von München folgt, sind Schuldzuweisungen und das trotzige „Die Spiele müssen weitergehen“des Olympia-Präsidenten Avery Brundage bei der Trauerfeier am 12. Tag der so fröhlich begonnenen Wettbewerbe. Willi Daume, Vorsitzender im Nationalen Oympischen Komitee, begründet die Fortsetzung mit dem Satz: „Es ist schon so viel gemordet worden – wir wollten den Terroristen nicht erlauben, auch noch die Spiele zu ermorden.“Die „Schwäbische Zeitung“sieht das anders.
Chefredakteur Chrysostomus Zodel tritt im Leitartikel vom 7. September 1972 diesem „Weiter so“entschieden entgegen und bedauert, dass die übrigen Mannschaften Israels Athleten alleine ließen beim Rückzug von den weiteren Wettbewerben: „Nur ein solcher Abschluss mit Würde hätte dem Beginn mit Glanz standgehalten. So gelang es nur, heiter zu sein.“