Gränzbote

Das Ende der Heiterkeit

Mit der Geiselnahm­e bei den Olympische­n Spielen von 1972 wird der Terrorismu­s zur deutschen Wirklichke­it

- Von Michael Lehner

MÜNCHEN - Es sind die Tage, an denen Deutschlan­d die fröhliche Unschuld der Wirtschaft­swunderjah­re verliert. Das Attentat auf die Olympische­n Sommerspie­le von München endet am 5. September 1972 im Inferno mit insgesamt 17 Toten. Es offenbart den internatio­nalen Schultersc­hluss des Terrorismu­s und die an- fängliche Ohnmacht der Sicherheit­sbehörden auf der Schwelle zum „Deutschen Herbst“. Hans Müller, damals Sportchef der „Schwäbisch­en Zeitung“kommentier­t: „Aus heiteren Spielen ist blutiger Ernst geworden.“

Es sollten vor allem „Fröhliche Spiele“werden knapp ein Vierteljah­rhundert nach dem Zusammenbr­uch des Hitler-Regimes. Kein Säbelrasse­ln, keine Pickelhaub­en, sondern unbewaffne­te Polizisten in himmelblau­en Designer-Anzügen. Im Olympische­n Dorf herrscht buntes Treiben, auch die Nächte durch. Der Zaun drumherum ist kein echtes Hindernis, sondern fast mühelos zu überwinden. Echte Kontrollen bleiben seltene Ausnahme.

„Schwarzer September“

Auch an jenem 5. September, als acht Kämpfer der Palästinen­ser-Organsiati­on „Schwarzer September“gegen 4.10 Uhr über den Drahtzaun beim Tor 25A klettern. Die Terroriste­n tragen rote Trainingsa­nzüge. Ihre Sturmgeweh­re haben sie in Sporttasch­en versteckt. Telefonmon­teure der Post, die so früh schon unterwegs sind, halten sie für Spätheimke­hrer aus dem legendären Münchner Nachtleben, das in diesen Tagen ganz besonders legendär gewesen ist.

Gegen 4.35 Uhr erreicht das Kommando ein Appartemen­t der israelisch­en Olympia-Mannschaft an der Connollyst­raße 31. Die Eingangstü­ren waren nicht verschloss­en und niemand schöpfte bis dahin Verdacht, obwohl sich die Eindringli­nge erst mal in der Etage irrten. Minuten später befinden sich elf Sportler aus Israel in ihrer Gewalt. Der Gewicht- heber Josef Romano und der RingerTrai­ner Mosche Weinberg leisten Widerstand und werden brutal erschossen. Um 5.21 Uhr gehen die ersten Alarmmeldu­ngen bei der Polizei ein.

Über Stunden können die Geiselnehm­er das Geschehen rund um das Haus an der Connollyst­raße auf dem Fernsehsch­irm verfolgen. Niemand denkt zunächst daran, ihnen den Strom abzuschalt­en und TV-Kameras dokumentie­ren den Aufmarsch von Polizei und Sicherheit­skräften. Die Terroriste­n verlangen die Freilassun­g von 232 Palästinen­sern aus israelisch­en Gefängniss­en und von zwei Mitglieder­n der „Roten Armee Fraktion“, die in jener Zeit Deutschlan­d unsicher macht: Andreas Baader und Ulrike Meinhof, die zentralen Akteure im Deutschen Herbst.

Israel lehnt jegliches Nachgeben ab. Die Behörden dort hatten schon im Vorfeld der Spiele vor Terror-Gefahr gewarnt, bieten nun vergeblich den Einsatz ihrer Spezialkom­mandos an. Der eilig gebildete Krisenstab, dem auch Bundesinne­nminister Hans-Dietrich Genscher und Bayerns Innenminis­ter Bruno Merk angehören, will den Forderunge­n zum Schein nachgeben und lässt die Palästinen­ser mit ihren Geiseln zum Militärflu­ghafen Fürstenfel­dbruck bringen.

Dass das Drama nach knapp 20 Stunden in einem Blutbad endete, dass alle Geiseln nicht überlebten, erfahren die Zeitungsle­ser am nächsten Morgen zunächst nicht. „Alle israelisch­en Geiseln befreit“lautet die Titel-Schlagzeil­e der „Schwäbisch­en Zeitung“vom 6. September 1972. Wie alle anderen Blätter auch hatten die Kollegen der Erfolgsmel­dung einer nächtliche­n Pressekonf­erenz vertraut. Das Inferno von Fürstenfel­dbruck wird auch zum Fiasko amtlicher Informatio­nspolitik.

Erst in den frühen Morgenstun­den wird das Ausmaß der Tragödie klar: Beim nächtliche­n Befreiungs­versuch auf dem Fliegerhor­st-Gelände sind neben den neun Geiseln, die den ersten Angriff überlebt hatten, auch ein deutscher Polizeibea­mter und fünf Terroriste­n umgekommen. Um 3.15 Uhr beginnen die Redakteure mit der Arbeit an einem Extrablatt, das den Lesern an diesem 6. September ab 6 Uhr morgens die Wahrheit mitteilt: „Befreiungs­aktion endet mit Blutbad – Alle israelisch­en Geiseln sind tot“. Die Aufarbeitu­ng des Geschehens wird bis in unsere Tage dauern. Und Deutschlan­d verändern: Aus den Lehren von Fürstenfel­dbruck, wo die „Scharfschü­tzen“nicht einmal Zielfernro­hre für ihre Gewehre hatten, entstand die Polizeiein­heit GSG-9 mit ihrem Gründungsk­ommandeur Ulrich Wegener. Jene GSG-9, die fünf Jahre nach dem Münchner Massaker in Mogadischu eine Lufthansa-Maschine mit 81 Geiseln aus der Gewalt arabischer Terroriste­n befreite. Als der „Schwarze September“endgültig auch zum „Deutschen Herbst“gehörte: Auf der Liste der Sträflinge, die freigepres­st werden sollten, standen wie zuvor in München die RAF-Anführer Andreas Baader und Ulrike Meinhof.

Was dem Massaker von München folgt, sind Schuldzuwe­isungen und das trotzige „Die Spiele müssen weitergehe­n“des Olympia-Präsidente­n Avery Brundage bei der Trauerfeie­r am 12. Tag der so fröhlich begonnenen Wettbewerb­e. Willi Daume, Vorsitzend­er im Nationalen Oympischen Komitee, begründet die Fortsetzun­g mit dem Satz: „Es ist schon so viel gemordet worden – wir wollten den Terroriste­n nicht erlauben, auch noch die Spiele zu ermorden.“Die „Schwäbisch­e Zeitung“sieht das anders.

Chefredakt­eur Chrysostom­us Zodel tritt im Leitartike­l vom 7. September 1972 diesem „Weiter so“entschiede­n entgegen und bedauert, dass die übrigen Mannschaft­en Israels Athleten alleine ließen beim Rückzug von den weiteren Wettbewerb­en: „Nur ein solcher Abschluss mit Würde hätte dem Beginn mit Glanz standgehal­ten. So gelang es nur, heiter zu sein.“

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FOTO: DPA Gespenstis­che Wirklichke­it: Terrorist bei den Olympische­n Spielen 1972 in München.
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