Attentäter handelte aus Fremdenhass
Verletzter neuer Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker geht es etwas besser
BERLIN - Die erlösende Nachricht kommt am späten Samstagabend. „Henriette Reker wird wieder vollständig genesen“, teilen ihre Mitarbeiter mit. Ein Aufatmen geht durch Köln. Am Samstagmorgen um 9.04 Uhr hatte der 44-jährige Frank S. auf einem Gemüsemarkt im Stadtteil Braunsfeld mit einem 30 Zentimeter langen Jagdmesser auf die parteilose Kandidatin für das Amt des Oberbürgermeisters eingestochen; die Politikerin und vier weitere Menschen schwer verletzt. Der Wahlkampf wird sofort gestoppt. Ein Bundespolizist überwältigt den Täter. Bevor er zustach, hatte der Mann, der als Rechtsextremer bekannt ist und zuletzt auch durch Hassparolen im Netz aufgefallen war, gerufen: „Ich rette Messias. Das ist alles falsch, was hier läuft, ich befreie euch von solchen Leuten.“Solche Leute? Die 58jährige Reker ist Sozialdezernentin in Köln, nannte das Thema Flüchtlinge eine „Herzensangelegenheit“und galt als Favoritin im Oberbürgermeister-Wahlkampf, den sie am Sonntagabend auch gewann.
Schulterschluss
Entsetzen, Abscheu und Fassungslosigkeit in der Domstadt: Am Samstagabend üben Politiker aller Parteien bei einer Menschenkette vor dem Rathaus den Schulterschluss. „Wir stehen hier zusammen als Demokraten, um ein Zeichen zu setzen gegen diese verabscheuungswürdige Tat“, erklärte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und andere führende Bundespolitiker verurteilen die Tat auf das Schärfste.
„Dieser feige Anschlag in Köln ist ein weiterer Beleg für die zunehmende Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte“, warnt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor weiterer Eskalation. Er sei schon „seit langem besorgt über die hasserfüllte Sprache und gewalttätigen Aktionen, die die Flüchtlingsdebatte in Deutschland begleitet“. Der Flüchtlingskoordinator und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) hat zum Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit aufgerufen. „Der Anschlag ist verachtenswert und abscheulich“, sagte er. „Wir müssen uns zu jedem Zeitpunkt deutlich abgrenzen von jeder Form von Ausländerfeindlichkeit und Gewalt“, ergänzte er. Die In- tegrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) bezeichnete die Messerattacke in einer Mitteilung als „feige Tat aus offenbar fremdenfeindlichen Motiven, die durch nichts zu recht- fertigen ist“. „Vielleicht lernen wir daraus, dass wir geschlossen gegen Angstmacherei und rechte Demagogen auftreten müssen“, erklärte sie am Samstag in Berlin.
Doch woher kommt plötzlich der Hass? Politiker und Experten sehen Verbindungen auch zu Pegida-Protesten, die vor genau einem Jahr begonnen hatten. Bilder aus Dresden von einem Galgen, der für Angela Merkel und Sigmar Gabriel „reserviert“sein sollte, hatten gerade erst für Schlagzeilen gesorgt. Seit einigen Wochen verzeichnet Pegida wieder einen wachsenden Zulauf. „Wir erleben eine zunehmende Verrohung der politischen Kultur“, erklärte Professor Hajo Funke, Politologe an der Freien Universität Berlin, im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion. „Der Anschlag von Köln ist auch Ausdruck des Hasses, den Pegida, AfD und andere weiter rechts säen.“Die politische Auseinandersetzung trage zunehmend offen rassistische Züge und die Hemmschwelle für Gewalt sinke.
„Pegida wirkt da wie ein Verstärker“, so der Rechtsextremismus-Experte weiter. Die Flüchtlingskrise führe zu einer neuen Zuspitzung. Dabei gebe es berechtigte Sorgen und Ängste: „Diese werden von Rechtsextremen instrumentalisiert und missbraucht.“Die politische Klasse müsse klare Kante zeigen, dürfe Gewalt und rechtsextreme Hetze nicht tolerieren. „Genauso wichtig ist es, den eigenen Kurs in der Flüchtlingskrise besser zu erklären und vor Ort entschieden besser zu managen“, so der Politikwissenschaftler: „Die Menschen wollen Antworten auf die Probleme. Sonst ist das Risiko hoch, dass besorgte Bürger für rechte Parolen empfänglich werden.“
Haftbefehl erlassen
Gegen den Attentäter von Köln ist bereits Haftbefehl erlassen worden. Der Täter ist nach Angaben eines Gutachters voll schuldfähig. Ihm wird versuchter Mord und mehrfache gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Nach einem Bericht von „Spiegel online“soll der Angreifer in den 1990er-Jahren bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeitspartei (FAP), mitgemacht haben.