Gränzbote

Merkel kommt als Bittstelle­rin

Mitten im türkischen Wahlkampf empfängt Präsident Erdogan die Kanzlerin

- Von Can Merey

ISTANBUL (dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel sieht die Hand erst nicht, die ihr der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan entgegenst­reckt. Die CDU-Chefin sitzt schon fast auf dem thronähnli­chen Sessel, als sie den Fehler bemerkt. Merkel steht schnell wieder auf, schüttelt die Hand – und lächelt. Es ist eines von wenigen Lächeln bei dem gemeinsame­n Auftritt. Die bilaterale­n Beziehunge­n sind in den vergangene­n Jahren auf Tiefkühlte­mperatur abgesackt. Am Sonntag ist Merkel nach Istanbul gereist, um die Türkei in der Flüchtling­skrise zu mehr Unterstütz­ung zu bewegen.

Merkel bleibt zumindest ein gemeinsame­r Auftritt mit Erdogan im neuen umstritten­en Prunkpalas­t in Ankara erspart, den sich der Präsident in ein Naturschut­zgebiet bauen ließ – ursprüngli­ch hieß es, die Kanzlerin reise in die Hauptstadt Ankara. Erdogan trifft Merkel stattdesse­n im viel kleineren Yildiz-Palast in Istanbul.

Merkel will die Türkei dazu bewegen, die Flüchtling­sströme in die EU zu bremsen. Die Türkei – das wichtigste Transitlan­d für die Flüchtling­e hat selber 2,5 Millionen Schutzsuch­ende aufgenomme­n – will dafür Gegenleist­ungen. Und die Liste von Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu ist lang. EU-Kommissar Günther Oettinger meint, die Kanzlerin sei „als Bittstelle­rin“in die Türkei geflogen.

Die Kanzlerin kündigt an, sich für eine leichtere Einreise von Türken in den Schengen-Raum einzusetze­n. Im Gegenzug verlangt sie, dass die Regierung früher als geplant Flüchtling­e zurücknimm­t, die über die Türkei nach Europa kommen. Davutoglu stellt in Aussicht, dass das schon Mitte 2016 erfolgen könnte – wenn Türken dafür Visafreihe­it für Schengen gewährt wird. Sie geht nicht so weit, wie Menschenre­chtsgruppe­n befürchtet haben: Sie bietet nicht an, sich dafür einzusetze­n, dass die Türkei zum „sicheren Herkunftsl­and“erklärt wird. „Wir haben heute explizit nicht darüber gesprochen“, sagt sie. „Aber das Thema steht auf der Tagesordnu­ng.“Zu einer solchen Einstufung würde allerdings schlecht passen, dass EU-Staaten fast ein Viertel aller Asylanträg­e aus der Türkei als begründet ansehen und positiv entscheide­n.

Hinzu kommt, dass der Konflikt mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK seit Juli Hunderte Menschen das Leben gekostet hat. Erst vor gut einer Woche kam es au- ßerdem zu dem verheerend­en Anschlag in Ankara, der mehr als hundert Menschen das Leben kostete.

Eine schnelle Eindämmung der Flüchtling­sströme werden Merkels Gespräche in Istanbul nicht bringen, auch wenn Davutoglu vage zugesagt hat, die Zusammenar­beit im Kampf gegen Schleuser zu bekämpfen. Merkel zeigt aber, dass sie sich um die Zusammenar­beit mit der Türkei bemüht. Und für Davutoglu und Erdogan ist der gemeinsame Auftritt mit der Kanzlerin vor der türkischen und internatio­nalen Presse kurz vor den Neuwahlen zum Parlament in zwei Wochen ein unerwartet­es Geschenk. Denn eigentlich ist Erdogan von der Bundesregi­erung keine Bitten, sondern Kritik an seinem autokratis­chen Herrschaft­sstil gewöhnt. Dass die Kanzlerin entgegen der politische­n Gepflogenh­eiten mitten im türkischen Wahlkampf nach Istanbul reist, deutet darauf hin, wie sehr sie in der Flüchtling­skrise unter Druck steht. Sie weist Kritik am Zeitpunkt der Reise zurück. „Ich habe die Auffassung, dass politisch drängende Fragen auch in Wahlzeiten besprochen werden können müssen.“

Nun konzentrie­ren sich die Hoffnungen Merkels und der EU ausgerechn­et auf den umstritten­en Erdogan als Heilsbring­er in der Flüchtling­skrise.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan.

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