Fast ganz der Vater
Eigentlich wollte Marine Le Pen sich stets abgrenzen von ihrem Vater Jean-Marie, dem für seine rassistischen Ausfälle gefürchteten Gründer des Front National (FN). Doch jetzt sitzt die Chefin von Frankreichs Rechtsextremen selbst wegen provokativer Äußerungen auf der Anklagebank. Weil sie muslimische Straßengebete in Frankreich mit der NS-Besatzung verglich, wird ihr am Dienstag in Lyon der Prozess gemacht. Und erneut stellt sich die Frage, wie viel von ihrem Vater noch in ihrem Front National steckt.
Le Pen hatte im Dezember 2010 – wenige Wochen, bevor sie ihren Vater an der FN-Spitze ablöste – bei einem Auftritt in der ostfranzösischen Stadt Lyon muslimische Gebete in der Öffentlichkeit als „Besatzung“bezeichnet. „Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner“, rief Le Pen ihren Anhängern zu. Damit löste sie in Frankreich nicht nur große Empörung aus, sondern rief auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan.
Dem Prozess ist auch wegen seines Termins große Aufmerksamkeit gewiss: In wenigen Wochen werden in Frankreich die wichtigen Regionalwahlen abgehalten, Le Pens Front National hofft, bei dem Urnengang im Dezember gleich mehrere Regionen erobern zu können. Die 47-Jährige selbst hat gute Chancen, ihre Liste zum Sieg zu führen.
Es wäre nicht der erste Wahlerfolg des Front National unter Parteichefin Le Pen. Bei den Europawahlen im Mai 2014 etwa wurde der FN erstmals stärkste Kraft in Frankreich, bei den Gemeindewahlen zwei Monate zuvor hatten die Rechtsextremen ein Dutzend Rathäuser erobert. Le Pen selbst blickt schon seit geraumer Zeit unverhohlen auf die Präsidentschaftswahlen 2017, bei denen sie gute Chancen hat, in die Stichwahl zu kommen. Die Regionalwahlen sollen ihr im Rennen um den Elysée-Palast weiteren Schwung geben.
Die Erfolge an der Urne sind auch ein Erfolg für Le Pens Strategie einer „Entteufelung“des Front National. Denn sie hält zwar an der nationalistischen und einwanderungsfeindli- chen Ausrichtung der Partei fest. Mit einer Abkehr von den rassistischen und antisemitischen Parolen ihres Vaters will die blonde Anwältin ihrer Partei aber ein gemäßigteres Image geben. Der Streit um die Ausrichtung der Partei führte sogar zum Bruch mit ihrem Vater: Nachdem der 87Jährige die NS-Gaskammern erneut als „Detail“der Geschichte bezeichnet hatte, stellte die Tochter den Parteigründer kalt – im August wurde er aus der Partei rausgeworfen.
Der anstehende Prozess in Lyon wird nun wieder in Erinnerung rufen, wie ähnlich Vater und Tochter Le Pen ticken. Die Parteichefin aber scheint sich deshalb nicht zu sorgen – und will den Gerichtssaal vielmehr als Bühne nutzen.