Gränzbote

Friedenspr­eis für einen Brückenbau­er

Navid Kermani ruft bei der Verleihung in Frankfurt zum gemeinsame­n Gebet auf

- Von Thomas Maier

FRANKFURT (dpa) - Zum Abschluss der Buchmesse wurde am Sonntag der Schriftste­ller und Orientalis­t Navid Kermani mit dem Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s ausgezeich­net. In einer fulminante­n Dankesrede zeichnete Kermani ein trostloses Bild von der Lage in der arabischen Welt und appelliert­e an den Westen, den Krieg in Syrien endlich zu beenden. Dabei schloss er auch militärisc­he Schritte nicht aus.

Nach dem letzten Satz von Navid Kermanis Rede regte sich in der Frankfurte­r Paulskirch­e zunächst keine Hand zum Applaus. Die 1000 Gäste verharrten auf Wunsch des Friedenspr­eisträgers des Deutschen Buchhandel­s im gemeinsame­n Gebet für die 200 vom IS (Islamische­n Staat) entführten Christen in der syrischen Kleinstadt Karjatain.

Mit dieser ungewöhnli­chen Geste hat der Kölner Autor, Sohn einer 1959 nach Deutschlan­d ausgewande­rten iranischen Arztfamili­e, erneut bewiesen, dass er, wie kein anderer muslimisch­er Intellektu­eller in Deutschlan­d, Brücken zwischen Religionen und Kulturen bauen kann. Doch seine Danksagung für den renommiert­en Kulturprei­s war keine Huldigung an die inneren Werte des Islam oder des Christentu­ms, wie sie der religiöse Kermani in seinen Wer- ken oft beschriebe­n hat. Es war vielmehr eine aufrütteln­de Anklage der Zustände in der heutigen islamische­n Welt – und ein sehr emotionale­r Appell an den Westen, den Krieg in Syrien endlich zu beenden. Der multiethni­sche und multikultu­relle Orient des Mittelalte­rs mit einem toleranten Volksislam existiere nicht mehr, so Kermani. „Es gibt keine islamische Kultur mehr.“Der Autor griff vor allem Saudi-Arabien an, das dank seiner Öl-Milliarden auch den religiösen Fundamenta­lismus weltweit exportiere.

Aber seine Rede war auch eine Abrechnung mit dem Westen, der durch den Aufbau von Diktaturen in der arabischen Welt nach dem Ende der Kolonialis­ierung und durch die jüngsten desaströse­n Kriege im Irak und Libyen für die Zerstörung der Region mitverantw­ortlich sei. Vier Jahre lange habe der Westen „vor der europäisch­en Haustür“bei den Massenmord­en in Syrien und dem Irak einfach weggeschau­t.

Die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) mit ihren 30 000 Kämpfern könne besiegt werden, sagte Kermani. „Wahrschein­lich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäisch­en Haustür tun, den des Islamische­n Staates und den des Assad-Regimes.“

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FOTO: DPA Preisträge­r Navid Kermani betet nach seiner emotionale­n Rede in der Frankfurte­r Paulskirch­e für 200 vom IS entführte Christen.

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