Friedenspreis für einen Brückenbauer
Navid Kermani ruft bei der Verleihung in Frankfurt zum gemeinsamen Gebet auf
FRANKFURT (dpa) - Zum Abschluss der Buchmesse wurde am Sonntag der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. In einer fulminanten Dankesrede zeichnete Kermani ein trostloses Bild von der Lage in der arabischen Welt und appellierte an den Westen, den Krieg in Syrien endlich zu beenden. Dabei schloss er auch militärische Schritte nicht aus.
Nach dem letzten Satz von Navid Kermanis Rede regte sich in der Frankfurter Paulskirche zunächst keine Hand zum Applaus. Die 1000 Gäste verharrten auf Wunsch des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels im gemeinsamen Gebet für die 200 vom IS (Islamischen Staat) entführten Christen in der syrischen Kleinstadt Karjatain.
Mit dieser ungewöhnlichen Geste hat der Kölner Autor, Sohn einer 1959 nach Deutschland ausgewanderten iranischen Arztfamilie, erneut bewiesen, dass er, wie kein anderer muslimischer Intellektueller in Deutschland, Brücken zwischen Religionen und Kulturen bauen kann. Doch seine Danksagung für den renommierten Kulturpreis war keine Huldigung an die inneren Werte des Islam oder des Christentums, wie sie der religiöse Kermani in seinen Wer- ken oft beschrieben hat. Es war vielmehr eine aufrüttelnde Anklage der Zustände in der heutigen islamischen Welt – und ein sehr emotionaler Appell an den Westen, den Krieg in Syrien endlich zu beenden. Der multiethnische und multikulturelle Orient des Mittelalters mit einem toleranten Volksislam existiere nicht mehr, so Kermani. „Es gibt keine islamische Kultur mehr.“Der Autor griff vor allem Saudi-Arabien an, das dank seiner Öl-Milliarden auch den religiösen Fundamentalismus weltweit exportiere.
Aber seine Rede war auch eine Abrechnung mit dem Westen, der durch den Aufbau von Diktaturen in der arabischen Welt nach dem Ende der Kolonialisierung und durch die jüngsten desaströsen Kriege im Irak und Libyen für die Zerstörung der Region mitverantwortlich sei. Vier Jahre lange habe der Westen „vor der europäischen Haustür“bei den Massenmorden in Syrien und dem Irak einfach weggeschaut.
Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit ihren 30 000 Kämpfern könne besiegt werden, sagte Kermani. „Wahrscheinlich werden wir Fehler machen, was immer wir jetzt noch tun. Aber den größten Fehler begehen wir, wenn wir weiterhin nichts oder so wenig gegen den Massenmord vor unserer europäischen Haustür tun, den des Islamischen Staates und den des Assad-Regimes.“