Gränzbote

Eisforsche­r auf Kreuzfahrt zum Nordpol

Wissenscha­ftler nutzen die kommerziel­le Seefahrt, um ihre Arbeit zu finanziere­n

- Von Ulf Mauder

MURMANSK (dpa) - Von den Klimaund Umweltgefa­hren für die Arktis kann die deutsche Meeresbiol­ogin Annette Bombosch bei ihren Reisen zum Nordpol gar nicht genug reden. „Das Eis ist für Eisbären, Walrosse und andere Tiere ein wichtiges Ökosystem, das sich rapide verändert. Sie verlieren mit der Eisschmelz­e durch die Klimaerwär­mung wichtigen Lebensraum“, sagt die 32-Jährige. Bombosch war in den vergangene­n Monaten mit dem russischen Atomeisbre­cher „50 Let Pobedy“(50 Jahre Sieg) unterwegs, der von dem Kreuzfahrt­anbieter Poseidon angemietet wurde. An Bord des Schiffes halten Wissenscha­ftler wie sie Vorträge für die Passagiere – und gehen auch ihrer Forschung nach.

Auf der Fahrt sichtete die promoviert­e Walforsche­rin nicht nur reichlich Eisbären, sondern auch Grönlandwa­le – eine Besonderhe­it in der Barentssee. „Wir sammeln diese Beobachtun­gen, leiten sie an ArktisFors­chungsinst­itute weiter, damit dort Sichtungsk­arten in internatio­nalen Datenbanke­n erstellt werden“, sagt die Bayerin.

Zugleich warnt Bombosch vor immer größeren Gefahren für das empfindlic­he ökologisch­e Gleichgewi­cht. Die Arktis erwärme sich doppelt so schnell wie andere Regionen. „Hinzu kommt eine für Kalkskelet­t bildende Organismen schädliche Ozean-Versauerun­g. Das kalte Wasser bindet besonders viel Kohlendiox­id, wird saurer und zerstört so Kalkskelet­te“, sagt sie. Das bedroht viele Tiere, etwa Muscheln oder Schnecken.

Öl am Meeresbode­n

Vor allem aber die Pläne von Russland und anderen Staaten, künftig die im Meeresbode­n vermuteten Ressourcen wie Öl und Gas zu fördern, machen den Forschern Sorgen. Lärmende Förderplat­tformen sowie der zunehmende Verkehr von Containers­chiffen könnten massiv die Kommunikat­ion der Wale und ihre Suche nach Futtergrün­den stören, warnt Bombosch.

Die Oberpfälze­rin aus Waldsassen hat ihre frühere Arbeit als Wissenscha­ftlerin am Alfred-WegenerIns­titut für Polar- und Meeresfors­chung (AWI) in Bremerhave­n eingetausc­ht gegen hautnahe Naturerleb­nisse und die Vorträge, die sie unterwegs auf See hält. Auch andere junge Experten nutzen kommerziel­le Kreuzfahrt­en abseits der oft dünnen Finanzieru­ng an Forschungs­einrichtun­gen für Studienzwe­cke.

Der Brite Alex Cowan und die USAmerikan­erin Lauren Farmer sammeln an Bord des Eisbrecher­s Daten für ein Forschungs­projekt zur Stärke und Beschaffen­heit von Meereseis. Direkt am Nordpol untersucht das Team für die University of Alaska in Fairbanks etwa die Größe und Tiefe von Schmelztüm­peln auf dem Eis, die jetzt im Frühherbst wieder zufrieren. „Wir ergänzen hier von Hand und aus nächster Nähe die Daten, die von Satelliten ermittelt werden“, sagt Farmer, während das Schiff durch meterdicke­s Eis kracht. Mit einem Meterstab am Rumpf des Eisbrecher­s messen die Forscher die Dicke der Schollen.

Auch aus dem Hubschraub­er verschaffe­n sich die Wissenscha­ftler einen Überblick darüber, wie der Eisteppich hier aussieht: löchrig, rissig und voller Schmelztüm­pel auf der Oberfläche.

Der Geologe Cowan sieht die Ursache für die massive Eisschmelz­e im Ausstoß von Treibhausg­asen, die die Atmosphäre aufheizen. Es gebe Befürchtun­gen, sagt er, dass der Arktische Ozean innerhalb der nächsten Jahrzehnte – so gegen 2040 – im Sommer eisfrei sein könnte.

Cowan plädiert dafür, Touristen auf Kreuzfahrt­en intensiver in wissenscha­ftliche Erhebungen einzu- binden. „Ich glaube, für Forschungs­kreuzfahrt­en gibt es einen Markt“, sagt er. Es sei zu teuer, nur Forscher an Bord zu haben, weil Wissenscha­ftler allein die Kosten für eine solche Expedition nicht aufbringen könnten. Wenn aber der Tourismus einbezogen werde, meint Cowan, dann könnten Datenplatt­formen ausgebaut werden und früh vor Veränderun­gen warnen.

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FOTOS: DPA Die Eisdecke auf dem Arktischen Ozean am Nordpol ändert sich ständig. Wissenscha­ftler blicken mit Sorge auf die dünner werdenden Eisflächen.
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Die Wissenscha­ftler messen einen Schmelztüm­pel aus.
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Alex Cowan untersucht ein Stück Eis.

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