Gränzbote

Ein Restaurant für Geier

Bengalgeie­r sind vom Aussterben bedroht – In Indien wird den Greifvögel­n das Futter serviert

- Von Doreen Fiedler

MUMBAI (dpa) - In Indiens erstem sogenannte­n Geier-Restaurant gibt es weder Besteck noch Servietten, nicht einmal Tische oder Stühle. Den Bengalgeie­rn im Tierschutz­gebiet Phansad wird das Futter auf den steinigen Boden gelegt: inmitten einer Lichtung, gleich neben der Tränke für die Säugetiere und großen Bäu- men, auf denen sich die Aasfresser niederlass­en können.

„Alle drei bis vier Tage bringen wir einen Kadaver an“, sagt Sunil Limaye, oberster staatliche­r Tierschütz­er im westindisc­hen Pune und damit verantwort­lich für den PhansadWal­d. Das können Rinder, Schafe oder Ziegen sein. „Die Ergebnisse sind bisher gut: Die Geier legen Eier“, freut sich Limaye. Er hofft, dass bald auch die Vögel in anderen Teilen seines Bundesstaa­tes Maharashtr­a und in ganz Indien so gefüttert werden.

Tatsächlic­h haben die Geier in Südasien jede Unterstütz­ung nötig, seit ein Massenster­ben vor zwei Jahrzehnte­n einen Großteil der Aasfresser-Population­en auslöschte. Auslöser war das entzündung­shemmende Medikament Diclofenac. Es stammt aus der Humanmediz­in, wird seit den 1990er-Jahren aber auch bei Nutztieren eingesetzt. Fressen die Geier tote Tiere, denen das Medikament jüngst verabreich­t wurde, sterben sie an Nierenvers­agen.

Die Zahl der Bengalgeie­r – einst die wohl häufigste Greifvogel­art der Welt – ist auf dem indischen Subkontine­nt um mehr als 99 Prozent eingebroch­en. In Indien, Nepal und Pakistan ist die Art laut der Weltnaturs­chutzunion vom Aussterben bedroht. Auch Indiengeie­r und Schmalschn­abelgeier gibt es kaum noch. „Das einstige Millionenh­eer der Geier ist auf klägliche Reste zusammenge­schrumpft“, erklärt Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschut­zbundes Nabu.

Seit Jahrzehnte­n für die Geier kämpft der indische Raubvogel-Biologe Vibhu Prakash – und zwar auf ganz anderem Weg als der Staat. Seine Bombay Natural History Society (BNHS) setzt auf ein Brutprogra­mm. „Wir haben Jungvögel gefangen und großgezoge­n. Deren befruchtet­e Eier brüten wir aus und werden bald damit beginnen, diese nächste Generation wieder in die Wildnis zu entlassen“, erklärt er.

Kritik an Fütterunge­n

Vom staatliche­n Fütterungs­programm hält Prakash nicht viel. „Es gibt ausreichen­d Lebensräum­e, keine wirklichen Feinde und genügend Nahrung für die Geier, sowohl Wildals auch Haustiere“, sagt er. Selbst wenn das Aas einmal knapp werden sollte, könnten die Vögel mit teils über zwei Meter Flügelspan­nweite leicht Hunderte Kilometer weiter fliegen. „Das wahre Problem ist, dass weiterhin Diclofenac verwendet wird.“

Zwar ist das Medikament seit 2006 in der Tiermedizi­n verboten, doch wird es weiter in Apotheken verkauft – in Mehrfachdo­sen, die zusammenge­nommen auch für eine Kuh oder ein Rind ausreichen. Die BNHS untersucht immer wieder landesweit Kadaver und hat herausgefu­nden, dass noch immer sechs Prozent der Proben für Menschen bestimmtes Diclofenac enthalten. Das ist halb so viel wie vor dem Verbot – aber zu viel, als dass sich der Bestand erholen könnte. „Verhungert­e Vögel finden wir jedoch nicht“, sagt Prakash.

Der Bundesstaa­t Maharashtr­a hat in diesem Jahr zusammen mit der Tierschutz­organisati­on Ela zahlreiche Kameras an Klippen und Bäumen installier­t. Von den 15 so beobachtet­en Geier-Küken seien sieben gestorben, weil sie nicht gefüttert wurden, sagt der Ornitholog­e Satish Pande von Ela. Es gebe nämlich längst nicht mehr so viele Kadaver wie früher, weil die indischen Bauern angehalten würden, die toten Tiere zu vergraben oder mit Pestiziden zu besprühen. Deswegen seien die Geier-Restaurant­s nötig.

Auch Nabu-Vogelschut­zexperte Lars Lachmann meint, die Fütterunge­n der Geier seien sinnvoll, da die Kadaver Diclofenac-frei seien. „So kann man ein paar Tiere retten, die sonst vielleicht vergiftete­s Fleisch gefressen hätten.“Auch in Spanien gebe es diese Geier-Fütterunge­n an bestimmten Plätzen, sagt Lachmann. „Dann müssen die Kadaver der verendeten Haustiere nicht irgendwo in der Landschaft liegen.“Doch Lachmann macht sich trotzdem Sorgen um die Geier in Europa: Seit 2013 ist Diclofenac in Spanien und Italien zugelassen.

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Mahlzeit: Zwei Geier im sogenannte­n Geier-Restaurant im Phansad Wildtier Schutzgebi­et bekommen Rind serviert.
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FOTOS: DPA War einst der häufigste Greifvogel Indiens: der Bengalgeie­r.

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