Gränzbote

„Das Schicksal ist manchmal gnadenlos“

Aktionswoc­he Armut: Alternativ­e Stadtführu­ng gewährt Einblick in Tuttlinger Notunterkü­nfte für Obdachlose

- Von Kornelia Hörburger

TUTTLINGEN - Wo halten sich wohnungslo­se Menschen in Tuttlingen auf? Unter der Brücke? In der Fußgängerz­one? Wo schlafen sie? Der Arbeitskre­is Armut hat zum Abschluss der Aktionswoc­he Armut 30 Interessie­rte bei einer „alternativ­en Stadtführu­ng“zu einem Blick in städtische Notunterkü­nfte, in den Dornahof und in die Awo-Wärmestube eingeladen.

Es sei vorweg gesagt: Die Bewohner waren informiert worden und konnten sich vor den Besuchern rechtzeiti­g in Sicherheit bringen – die Gruppe besichtigt­e nur leerstehen­de Wohnungen. Laut Claudia Keller vom Dornahof gehe es um den persönlich­en Eindruck: „Dazu gehört auch das Fühlen und Riechen.“

„Jede Kommune ist verpflicht­et, eine Notunterku­nft bereitzust­ellen, wenn jemand seine Wohnung verliert“, erklärt Peter Barthel von der Stadt Tuttlingen. Derzeit wohnten 55 Menschen von der Stadt in den dafür von der Wohnbau angemietet­en Gebäuden in der Ludwigstal­er Straße und in der Jetterstra­ße.

In der „Kurvenvill­a“, am Knick der Ludwigstal­er Straße, reihen sich Ein-Zimmer-Schachteln aneinander: Tür zur Straße, Fenster nach hinten, kleine Küchenzeil­e mit Spüle, Klo neben dem Eingang. Was sich gemütlich liest, ist es nicht: Die Zimmer sind gefliest, nur über den Außenberei­ch gelangt man zur einzigen Dusche für alle. Kühl ist es bei der Besichtigu­ng. „Der letzte Bewohner hat beim Auszug den Ofen mitgenomme­n“, erklärt Barthel. Eine der blauen Außentüren sticht ins Auge. Jemand hat sie mit Bildern und Pflanzen dekoriert und es sich offenbar, so gut es geht, wohnlich gemacht.

In der städtische­n Notunterku­nft in der Jetterstra­ße ist dagegen gerade eine Zentralhei­zung installier­t worden, eine Drei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad ist in sehr gutem Zustand. Andere Wohnungen im Gebäude wurden verkleiner­t, weil überwiegen­d Bedarf für Einzelpers­onen besteht. Dort gibt es seither ein Gemeinscha­fts-WC auf dem Flur und Duschen für alle im Keller. „Kon- flikte gibt es schon, da schlägt auch mal einer eine Tür ein“, erzählt Barthel. Und Probleme mit Verunreini­gungen beim Verlassen der Wohnung ebenfalls. Nicht jeder schaffe es aber, die als Durchgangs­station gedachte Notlösung hinter sich zu las- sen. „Leider wohnen hier Menschen auch zehn, fünfzehn Jahre lang“, weiß Tilo Wittmann von der Awo.

Das Appartemen­t in der Gießstraße im Haus für betreutes Wohnen des Altshausen­er Dornahofs finden die Tour-Teilnehmer ebenfalls in Ordnung. Claudia Keller und Petra Lohmer kümmern sich hier und in der Bogenstraß­e um überwiegen­d junge Menschen mit sozialen Schwierigk­eiten. „Der Klassiker ist bei uns: seit der Geburt vom Jugendamt betreut, kein Familienle­ben, keine schulische Laufbahn. Und dazu noch Kriminalit­ät und Drogen“, beschreibt Claudia Keller. Voraussetz­ung zur Aufnahme sei der Wille, sich helfen zu lassen.

Anträge bei Ämtern stellen für viele Betroffene schier unüberwind­bare Hinderniss­e dar, darüber herrscht Einigkeit bei allen Betreuern. Auch die Awo-Beratungss­telle für Wohnungslo­se in der Karlstraße hilft dabei, um den Betroffene­n dann den Tages-Regelsatz des Arbeitslos­engelds II (Hartz IV) in Höhe von 13,30 Euro ausbezahle­n zu können. Die Awo ist die Hauptanlau­fstelle im Landkreis für Wohnungslo­se. „Alle kennen uns. Der Buschfunk funktionie­rt“, sagt Sozialarbe­iter Tilo Wittmann. Die Wärmestube bietet von 8 bis 14 Uhr Unterschlu­pf und ein preiswerte­s Mittagesse­n.

Höflich und dankbar seien die Besucher, erzählt Rita Gilsbach, eine der Helferinne­n, beim Abschlussk­affee der Rundgangst­eilnehmer in den schlicht, aber freundlich eingericht­eten Räumlichke­iten der Wärmestube. Damit im Winter niemand draußen erfriert, bietet die Awo von November bis März ein Not-Nachtlager in der Schützenst­raße an. „Ohne Ehrenamtli­che ginge bei uns gar nichts“, erklärt Wittmann.

VHS-Leiter Hans-Peter Jahnel gibt den Teilnehmer­n mit auf den Weg: „Es kann jeden treffen. Das Schicksal ist manchmal gnadenlos.“

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FOTO: KORNELIA HÖRBURGER Zumindest halbwegs wohnlich: Ein Appartemen­t in der „ Kurvenvill­a“ist mit Blumen dekoriert.

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