Das nimmt ihm keiner mehr
Erst Meister, dann 21: Pascal Wehrlein aus Worndorf kürt sich zum jüngsten Champion der DTM
HOCKENHEIM - Sein DTM-Debüt gab Pascal Wehrlein auf dem Hockenheimring. Am 5. Mai 2013, mit (bei Mercedes haben sie damals gerechnet) 18 Jahren und 199 Tagen. Den DTM-Titel gewann Pascal Wehrlein auf dem Hockenheimring. Am 17. Oktober 2015, dem Tag vor seinem 21. Geburtstag. Rechnen musste diesmal niemand. Genießen war erlaubt, als Platz acht im vorletzten Saisonlauf alle Chancen der – kollektiv schwächelnden – Verfolger zunichtegemacht hatte. Pascal Wehrleins drittes Jahr in der renommierten Tourenwagen-Rennserie geriet so „auf jeden Fall“zum „Traum: Ich bin für Mercedes Champion geworden, das kann mir keiner mehr wegnehmen.“
Die letzten einschlägigen Versuche scheiterten schnell auf nordbadischem Asphalt: Edoardo Mortara (37 Punkte Rückstand) bremsten nacheinander eine Unachtsamkeit Miguel Molinas, Reifenprobleme und eine Durchfahrtstrafe aus, ehe sein Sprintrennen vor der Zeit zu Ende war. Fazit: „Komplett zum Vergessen!“Das hätte Mattias Ekström (38 Punkte Rückstand) gewiss unterschrieben. Audis zweite Hoffnung verlor in Runde eins elf (!) Positionen, hatte alsbald eine unliebsame Begegnung mit Robert Wickens samt Mercedes, erkämpfte sich letztlich Rang neun und zwei Zähler. Wertlose Zähler. Denn während auch Bruno Spengler (46 Punkte Rückstand) seinen BMW nie annähernd in Schlagdistanz manövrierte und 19. wurde, machte Pascal Wehrlein das Beste aus Startplatz 13: fünf Positionen gut, vier Punkte – und den Fahrer-Titel 2015.
Die karierte Flagge löste alle Anspannung. Das mündete in kurze Sprachlosigkeit und dann ein umso lauteres „We did it!“des Worndorfers (Kreis Tuttlingen). Plus „Yeah!“, plus ein, zwei Donuts vor der Mercedes-Tribüne in der Auslaufrunde. Der qualmend kreiselnde MercedesAMG C 63 DTM, das Klettern aufs Auto, das Klopfen auf die Brust, „es fällt viel Druck von einem ab“. Bilder entstehen, die bleiben: „Als ich dann zurückgekommen bin in die Box und meine Mechaniker gesehen hab’ – manche sind total ausgerastet, manche hatten Tränen in den Augen –, das war schon sehr emotional.“
Ruhe als Stärke
Gewohnt sachlich-überlegt zuvor Pascal Wehrleins Fahrt. Durchwachsene Trainings-Dreiviertelstunden und eine Qualifikation mit „extrem verbessertem“Dienstfahrzeug, aber einer kaum hilfreichen Platzierung: Der Gejagte ging die Chose zunächst mit Bedacht an. Dann spielte ihm – siehe oben – manch allzu optimistisches Manöver anderer in die Kar- ten, und spätestens, als er Martin Tomczyk im BMW nach gut einem Drittel des Rennens nahe der Spitzkehre passiert hatte, war der Weg frei. Und der Vorsatz gefasst: „Ich wollte mich noch weiter verbessern und nicht auf Ankommen fahren. Ich wollte einfach noch ein gutes Rennen zeigen.“
Gelungen! Mit der Hypothek von zehn Kilogramm zusätzlichem Performance-Gewicht. Mit einer Coolness, die Ulrich Fritz, den DTMTeamchef von Mercedes-AMG, nicht zum ersten Mal staunen ließ: „Pascal ist sehr clever, sehr abgebrüht. Das erwartet man eher von einem älteren Piloten.“Ursachenforschung. Pascal Wehrlein zuckt die Achseln. „Ich bin an Rennwochenenden so: sehr ruhig, eher in mir, ich rede nicht so viel. Manche Leute sagen, dass ich dadurch unsympathisch wirke. Aber so bin ich einfach. Mir hilft das – ruhig zu sein.“Ach ja, Entwarnung: Pascal Wehrlein von Montag bis Donnerstag? „Total aufgedreht, ich schrei’ rum, ich renn’ rum im ganzen Haus!“
Der Champion hat Humor, er redet durchaus außerhalb des Cockpits, eloquent ist er zudem. Bodenständig sowieso. Halb Worndorf war am Sonntag ans Motodrom gepilgert, und durch die Glasfront der Mercedes-Hospitality, in der der Geburtstagsmorgen für Pascal Wehrlein eine Presse-Fragerunde parat hielt, gab es ein reges Winken, ein ständiges „Hallo“. Ehrensache, logisch, denn: „Ich kenn’ die alle!“
Zukunft bleibt offen
„Die alle“wurden am Nachmittag Zeugen einer kombinierten Meister-/21er-Ehrenrunde, die ihr prominenter Mitbürger „viel entspannter“anging als jeden DTM-Lauf bisher. Nicht weniger ambitioniert allerdings. So weckte Qualifikationsrang 17 (bei geringsten Abständen) die Lust auf „volle Attacke“. Die ritt Pascal Wehrlein dann, sicher risikobereiter als üblich, mit deutlich mehr Stoßstangenkontakt, einem spektakulären Sprung auch über die Randsteine. Das Auto litt, es schwächelte, irgendwann ging es allein darum, den Ausfall zu verhindern. Platz 20 beim Audi-Dreifachsieg durch Jamie Green, Ekström und Mortara war allenfalls Fußnote; durchgekommen, das zählte. Und der Glaspokal. Der Konfettiregen. Die abendliche Party mit dem Team. Ob es Zwiebelrostbraten gab, die Leibspeise des Champions, ist nicht überliefert.
Egal. Genuss war’s allemal. Der Blick retour gefiel, der Blick nach vorne wurde vertagt. Von vorneherein. Ein festes Formel-1-Engagement 2016 des Mannes, der schon seit 2014 als Test- und Ersatzpilot seinen Part besteuert zur MercedesDominanz in der Motorsport-Beletage? Beim künftigen KundenmotorRennstall Manor-Marussia? In Hockenheim lag der Fokus auf Hockenheim: „Die nächsten, zwei, drei Wochen, denk’ ich, werden wir uns mal zusammensetzen und über die Zukunft sprechen. Und dann muss man sehen ... Mein Ziel ist die Formel 1 – definitiv. Dort möcht’ ich hin. Wann das passiert, ob das passiert, das kann ich momentan wirklich nicht sagen.“Gut zu wissen: Ein viertes Jahr DTM, den Champion-Titel verteidigen, „das wäre auch schön“. Mit 21 hat man noch Ziele.
Und jede Menge Zeit.