Wie vor 27 Jahren
Tag für Tag demonstrieren Rumänen gegen die korrupte Regierung
TEMESWAR - „Das“, sagt Andi Buftea, „bin ich meinen Eltern schuldig.“Klirrende Kälte, Zähneklappern – der junge Mann hüllt sich in die rumänische Nationalflagge: Und dann brüllt er los, so wie die vielen anderen: „Unique salvem toate Romania“(gemeinsam retten wir Rumänien). Sekunden später: „Rusina, Rusina – Schande, Schande.“
Temeswar, Westrumänien, im Februar 2017: Wie in allen größeren Städten gehen die Menschen auf die Straße, machen ihrem Protest Luft gegen die rumänische Regierung – Abend für Abend. „Ein bisschen ist das wohl so wie damals, im Dezember 89“, sagt Andi Buftea. In jenen schicksalshaften Tagen ließen sich an der selben Stelle Zehntausende selbst von den Schüssen der berüchtigten Geheimpolizei Securitate nicht vom Protestieren abhalten – der Auftakt der rumänischen Revolution, die seinerzeit das verhasste kommunistische CeausescuRegime wegfegte.
27 Jahre später gehen die Menschen in Rumänien wieder auf die Straße – und sie haben ein ähnliches Ziel. „Weg mit dieser Regierung!“fordert Andi Buftea; umstehende Protestierende nicken. „Meine Eltern haben vor 27 Jahren genau an dieser Stelle ihr Leben aufs Spiel gesetzt für Demokratie und Freiheit, kurz nach meiner Geburt.“Die Werte, für die seine Eltern ihr Leben riskierten, müssten verteidigt werden, sagt Buftea.
Diejenigen, gegen die sich die Proteste richten, verschanzen sich in den Amtsstuben der Bukarester Regierungsgebäude: Dragnea Sorin Grindeanu, Ministerpräsident der postkommunistisch angehauchten Partidul Social Democrat (PSD), wie sich die rumänischen Sozialdemokraten nennen, und der PSD-Chef Liviu Dragnea. Kaum ins Amt eingesetzt, präsentierte die neue PSD-dominierte Regierung ein dreistes Husarenstück, das in Europa seinesgleichen sucht: Nach einer Kabinettssitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit veröffentlichte die Regierung den berüchtigten Dringlichkeitserlass Nr. 13: Amtsmissbrauch von Politikern und Verwaltungsmitarbeitern solle zukünftig bei einer Schadenssumme von bis zu 50 000 Euro nicht mehr verfolgt werden dürfen. Außerdem wollte die Regierung Begnadigungsmöglichkeiten für Straftäter, darunter auch straffällig gewordene Politiker, erheblich ausweiten.
Proteste nicht auf der Rechnung
Was die Gindeanu-Regierung dabei nicht auf der Rechnung hatte: das eigene Volk, zumindest große Teile davon. „Dreist, schamlos, Schande für Rumänien“hallt es bei den Protesten derzeit quer durchs ganze Land. Die umstrittene Eilverordnung hat die Regierung zwar wieder zurückgenommen, vor lauter Schrecken über die Proteste. Doch einen regulären Gesetzenwurf mit ähnlichen Inhalten hat sie gleich nachgeschoben. Ergebnis: weitere Proteste.
Denn die Absicht, die sich hinter dem Vorhaben verbirgt, ist nur allzu durchsichtig: PSD-Chef Liviu Dragnea selbst wurde wegen Wahlfälschung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt; weitere Verfahren sind anhängig. Dass das ein Anlass sein könnte, von seinen politischen Ämtern zurückzutreten, weist Dragnea empört weit von sich. Und nicht nur das: Der vorbestrafte Dragnea würde eigentlich gerne selbst Regierungschef werden, was allerdings aufgrund der geltenden Rechtslage nicht möglich ist. Sein großer Gegenspieler ist der rumäniendeutsche Staatspräsident Klaus Johannis. Und der hat unmissverständlich klar gemacht: Auf der Basis des geltenden rumänischen Rechtes werde er keinen straffälligen Politiker für ein Regierungsamt ernennen – und auch keinen, gegen den ein Verfahren läuft. Basta.
Das wollten die PSDisten nicht hinnehmen – und versuchten in einer Nachtsitzung, schnell mal die Gesetzeslage zu ändern, eine Art Nacht-und-Nebel-Amnestie. Dass daraufhin Hunderttausende Bürger auf die Straße gingen, hatten sie nicht auf der Rechnung.
Denn immerhin waren die PSDisten am 12. Dezember vergangenen Jahres als klarer Sieger aus den Parlamentswahlen hervorgegangen, bei einer Wahlbeteiligung allerdings von deutlich unter 50 Prozent. Und genau darin offenbart sich ein Hauptproblem der rumänischen Politik: Viele vor allem jüngere Rumänen mit guter Bildung in den größeren Städten blieben frustriert den Wahlurnen fern. „Egal, wen wir gewählt haben in den vergangenen Jahren – alle waren irgendwie korrupt,“erklärt eine junge Frau auf dem Temeswarer Opernplatz.
Wohl wahr: Korruptionsverfahren laufen jährlich zu Dutzenden gegen Politiker jeglicher Couleur, mal auf Landes-, mal auf Kreis-, mal auf Lokalebene. Und bei vielen Rumänen hat sich längst der Eindruck verfestigt, dass die Mehrheit der Politiker das Land als eine Art Selbstbedienungsladen ansieht, in dem es nicht um den Wettbewerb unterschiedlicher Parteiprogramme geht, sondern um gut bezahlte Pöstchen und die Möglichkeit, auf mehr oder weniger anrüchige Art Geld zu machen.
Das allerdings lassen vor allem die jüngeren Rumänen den Politikern nicht mehr durchgehen.