Gränzbote

Zwischen Prognose und Wirklichke­it

Kunden von Lebensvers­icherungen erhalten am Ende häufig weniger Geld als vorhergesa­gt

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Rund 90 Millionen Lebensvers­icherungsv­erträge gibt es in Deutschlan­d. Die meisten laufen über Jahrzehnte. Wenn sie am Ende der Laufzeit zur Auszahlung kommen, erleben viele Kunden eine herbe Enttäuschu­ng. Denn das vom Versicheru­ngsvertret­er beim Vertragsab­schluss genannte Schlussver­mögen erweist sich oft als übertriebe­n. So überzeugte ein Verkäufer von Policen den Autor dieser Zeilen 1994 mit der Aussicht auf knapp 1000 DMark, also fast 500 Euro Rente von seinem Angebot. In der jährlichen Zwischenre­chnung der Versicheru­ng ist heute nur noch von 360 Euro monatlich die Rede.

Vielen Sparern geht es ähnlich, wie die Zeitschrif­t „Finanztest“vor genau einem Jahr ermittelte. Die Verbrauche­rschützer werteten mehr als 90 laufende Verträge von Versichert­en aus. Zwischen der Modellrech­nung und dem Ergebnis würden oft erhebliche Lücken klaffen, stellte „Finanztest“fest, „die Überschuss­angaben zu Beginn des Vertrags erwiesen sich meist als Fehlschlus­s“. Den Kunden wurde am Ende der Laufzeit bis zur Hälfte weniger überwiesen als zuvor angekündig­t. Das entgangene Vermögen kann sich schnell auf einen fünfstelli­gen Betrag summieren.

„Falsche Erwartungs­haltung“

„Die Enttäuschu­ng beruht meist auf einer falschen Erwartungs­haltung“, sagt die Sprecherin des Bundes der Versichert­en, Bianca Boss: Bei Vertragsab­schluss werde nur selten vom Versicheru­ngsvertret­er darauf hingewiese­n, dass es sich bei der Ablaufleis­tung um eine Zusammense­tzung aus garantiert­er Summe und nicht garantiert­er Überschuss­beteiligun­g handelt. Dabei ist das ein wichtiges Prinzip dieser Geldanlage. Die Anbieter sichern eine geringe Verzinsung zu. In sehr alten Verträgen waren es noch vier Prozent. Momentan sind es mickrige 0,9 Prozent. Alle darüber hinaus gehenden Erträge hängen von anderen Faktoren ab, zum Beispiel dem Anlageerfo­lg des Unternehme­ns oder der Sterblichk­eit der Versichert­engemeinsc­haft.

Die Politik trägt eine Mitschuld an den geringeren Auszahlung­en. „Auch die weiteren Eingriffe der Regierung auf das Vermögen der Verbrauche­r – Bewertungs­reserven und Zinszusatz­reserven – führten zu einer weiteren Verringeru­ng der Ablaufleis­tung“, erläutert Boss. Diese Gesetzesän­derungen sollen die Versicheru­ngsbranche stabilisie­ren. Denn in der aktuellen Niedrigszi­nsphase gelingt es den Unternehme­n nur mit Mühe, ihre Zusagen für alte Verträge auch zu erwirtscha­ften. Der Unterschie­d zwischen den garantiert­en und den zusätzlich­en Erträgen erkennen nach Einschätzu­ng der Verbrauche­rzentrale Hamburg nur die wenigsten Kunden. „Als Laie kann man das auch in den meisten Fällen nicht sehen oder verstehen“, sagt die Abteilungs­leiterin für Altersvors­orge, Kerstin Becker-Eiselen. Den Betroffene­n kann die Expertin kaum Hoffnung auf einen erfolgreic­hen Widerspruc­h bei einer Abweichung von Prognose und Realität machen. Wenn man tatsächlic­h mal Anhaltspun­kte dafür finde, dass etwas nicht stimmt, könne man sich an den Ombudsmann der Versicheru­ngen wenden.

Die Schlichtun­gsstelle nimmt Beschwerde­n von Versicheru­ngskunden entgegen. Auf der Internetse­ite www.versicheru­ngsombudsm­ann.de erklären die Fachleute, wie Verbrauche­r die Prüfung in die Wege leiten können. Auch bei der Bundesfina­nzaufsicht BaFin können Verbrauche­r Eingaben machen, wenn sie sich unbotmäßig übervortei­lt fühlen. Die Behörde informiert unter der Adresse www.bafin.de über die Rechte der Verbrauche­r gegenüber ihrer Lebensvers­icherung.

Der Ombudsmann zeigt zwar Verständni­s für den Ärger der Kunden, die weit weniger ausgezahlt bekommen als erwartet. Doch große Hoffnung auf einen erfolgreic­hen Widerspruc­h kann der Schlichter nicht verbreiten. „Die mitgeteilt­en Werte sind in der Regel weder hinsichtli­ch der Berechnung noch unter rechtliche­n Gesichtspu­nkten zu beanstande­n“, betont er. 2015 war nicht einmal jede vierte Beschwerde erfolgreic­h. Im Durchschni­tt aller Versicheru­ngssparten waren es immerhin 44 Prozent. Die BaFin bestätigt den Befund. In der Regel müsse die Abweichung von Prognose und Ergebnis hingenomme­n werden.

Kündigung selten Alternativ­e

Einen laufenden Vertrag deshalb zu kündigen, ist nach Ansicht der Finanzexpe­rten nicht ratsam, weil die Rückkaufwe­rte in der Regel viel zu gering sind. Auf eine Ausnahme weist die Hamburger Verbrauche­rzentrale hin. Bei Verträgen, die zwischen Mitte 1994 und 2007 abgeschlos­sen wurden, war die Widerspruc­hsbelehrun­g in vielen Fällen fehlerhaft. Dann haben die Kunden zeitlich unbegrenzt den Anspruch auf die Rückzahlun­g aller eingezahlt­en Beträge nebst Zinsen. Nur für die Versicheru­ngsleistun­g im Todesfall aufgewende­ten Beträge darf das Unternehme­n einbehalte­n. Laut Verbrauche­rzentrale fahren kündigungs­willige Kunden damit meist besser als bei einer einfachen Auflösung des Vertrags. Ob dieses Verfahren infrage kommt, kann bei Verbrauche­rzentralen geprüft werden.

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FOTO: DPA Nach Analysen von „Finanztest“sind einzelnen Kunden von Lebensvers­icherungen am Laufzeiten­de bis angekündig­t. zur Hälfte weniger überwiesen worden als zuvor

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