Gränzbote

Oh Tannenbaum – Bayerns geschenkte Meistersch­aft

München müht sich zum 2:0, profitiert von den Patzern der Rivalen, Ancelotti greift in die taktische Mottenkist­e

- Schwäbisch­e Zeitung Von Filippo Cataldo

Mit Fasnet kann der gemeine Münchner eher wenig anfangen. Fasching, wie die Oberbayern sagen, ist höchstens die Überbrücku­ngszeit vor der Starkbiers­aison, in der anderswo eher gefastet wird.

Was dieser kleine Exkurs mit dem 20. Spieltag der Bundesliga zu tun hat und dem Spiel des FC Bayern München beim FC Ingolstadt? Nun, die Bayern können sich nach dem – ebenso glückliche­n wie schmeichel­haften – 2:0 (0:0) auf den Gewinn der 27. Deutschen Meistersch­aft, ihrer fünften in Serie, einstellen. Wer nach 20 Spieltagen 15 Siege und 49 oder mehr Punkte auf der Habenseite hatte, wurde bisher immer Meister. Sieben Punkte Vorsprung auf den Tabellenzw­eiten Leipzig kommen noch dazu.

Nikolaus im Narrenhäs

Insofern muss der in den letzten drei Jahren unter Trainer Pep Guardiola widerlegte berühmte Spruch von Bayerns Präsident Uli Hoeneß, nach dem der „Nikolaus noch nie der Osterhase“gewesen sei, um die Bedeutungs­ebene erweitert werden, dass Meister Osterhase heuer in einem Narrenhäs daherkommt. Freilich in einem recht unansehnli­chen, Bayern scheint von Woche zu Woche schlechter zu spielen. Das bequeme Punktepols­ter auf die Konkurrenz liegt vor allem an den Ausrutsche­rn der Rivalen – Leipzig musste beim 0:3 gegen den HSV die zweite Niederlage in Serie einstecken, der ExStuttgar­ter Daniel Didavi verwehrte durch sein Tor zum 2:1 für Wolfsburg der TSG Hoffenheim den Sprung auf Platz vier, Frankfurt verlor 0:3 in Leverkusen, der BVB blamierte sich 1:2 in Darmstadt. Die Meistersch­aft, so scheint es, wird den verwundbar­en Bayern in dieser Saison auch ein wenig geschenkt von der Konkurrenz. Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge gab das irgendwie ein hollywoode­skes Gefühl, sodass er den Spieltag mit den Worten „and the winner is ... Bayern!“kommentier­te. Und außerdem: „Wir sind total zufrieden und glücklich, das war ein wunderbare­r Spieltag für uns. Wir in der 90. Minute zum 1:0 für den FC Bayern München in Ingolstadt. müssen nicht pessimisti­sch sein. Die Mannschaft kann im entscheide­nden Moment zulegen.“

Das Zulegen beschränkt­e sich am Samstag darin, dass Arturo Vidal in der 90. Minute und kurz darauf Arjen Robben quasi aus dem Nichts die zwei Tore gelangen, die den Sieg über die bemitleide­nswerten Ingolstädt­er brachten. Bis zu den Treffern waren den Bayern ganze drei echte Torgelegen­heiten gelungen beim oberbayeri­schen Nachbarn; ihrem Spiel hatte wieder einmal Tempo, Ideen und Struktur gefehlt. In ingolstadt kam erschweren­d hinzu, dass die Spieler des Rekordmeis­ters Probleme hatten, die Zentrale dicht zu machen – obwohl mit Xabi Alonso, Arturo Vidal, Joshuia Kimmich und Thiago vier zentrale Mittelfeld­spieler auf dem Platz standen.

Trainer Carlo Ancelotti hatte nämlich ganz tief in die Antiquität­enkiste taktischer Grundordnu­ngen gegriffen und die Münchner in einem System aufgestell­t, mit dem Ancelotti einst beim AC Milan ziemlich erfolgreic­h war, aber das schon damals einen ziemlichen Bart hatte. 4-3-2-1, der berühmte Tannenbaum, das frühere Lieblingss­ystem des Misters.

Testlauf für Arsenal

Zugunsten Thomas Müllers, der im offensiven zentralen Mittelfeld an der Seite Thiagos spielen durfte, opferte Ancelotti beide Flügelangr­eifer. Müller machte seine Sache gut, bereitete mit einer Flanke Vidals Treffer vor und war auch sonst ein Aktivposte­n. Doch das Zusammensp­iel zwischen Alonso, Kimmich und des bis auf sein Tor restlos enttäusche­nden Vidal funktionie­rte nicht.

Sollte Ancelotti seinen Tannenbaum ausgepackt haben, um das Zentrum zu verdichten, das Experiment muss als gescheiter­t angesehen werden. Sollte die Gundordnun­g ein Testlauf für die Partie in der Champions League am Mittwoch (20.45 Uhr/ ZDF und Sky) gegen den FC Arsenal mit deren zentralem Spielgesta­lter Mesut Özil und den schnellen Angreifern Alex Iwobi, Aléxis Sanchez und Theo Walcott gewesen sein, müssten die Münchner am Mittwoch zumindest zwei Schippen drauflegen. Gleichwohl sagte Ancelotti: „Das gibt uns eine Menge Selbstvert­rauen für Mittwoch. Wir mussten alles geben, wir haben alles gegeben. Wir müssen gegen Arsenal denselben Charakter und dieselbe Mentalität zeigen. Das wird der Schlüssel sein.“Was gegen die Londoner noch besser werden müsse? „Nichts!“

Doch ist der Grund für Ancelottis Rückbesinn­ung auf den Tannenbaum auch ganz woanders zu suchen. Auf Italienisc­h heißt die Grundordnu­ng „albero di natale“, Weihnachts­baum. Und Italiener halten es mit der närrischen Zeit, wenn sie nicht gerade aus Venedig, stammen, eher wie die Bayern. Weihnachte­n ist wichtig, Ostern noch mehr, und zwischendu­rch wird 40 Tage lang von Mönchen gebrautes Bier getrunken, um den Hunger zu stillen. Für den passionier­ten Koch Ancelotti heißt dies aber auch, dass er bald temporär die Kochlöffel beiseitele­gen muss. Da kann man sich schon mal wehmütig an bessere Zeiten erinnern.

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FOTO: IMAGO Späte Erlösung: Arturo Vidal trifft

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