Oh Tannenbaum – Bayerns geschenkte Meisterschaft
München müht sich zum 2:0, profitiert von den Patzern der Rivalen, Ancelotti greift in die taktische Mottenkiste
Mit Fasnet kann der gemeine Münchner eher wenig anfangen. Fasching, wie die Oberbayern sagen, ist höchstens die Überbrückungszeit vor der Starkbiersaison, in der anderswo eher gefastet wird.
Was dieser kleine Exkurs mit dem 20. Spieltag der Bundesliga zu tun hat und dem Spiel des FC Bayern München beim FC Ingolstadt? Nun, die Bayern können sich nach dem – ebenso glücklichen wie schmeichelhaften – 2:0 (0:0) auf den Gewinn der 27. Deutschen Meisterschaft, ihrer fünften in Serie, einstellen. Wer nach 20 Spieltagen 15 Siege und 49 oder mehr Punkte auf der Habenseite hatte, wurde bisher immer Meister. Sieben Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Leipzig kommen noch dazu.
Nikolaus im Narrenhäs
Insofern muss der in den letzten drei Jahren unter Trainer Pep Guardiola widerlegte berühmte Spruch von Bayerns Präsident Uli Hoeneß, nach dem der „Nikolaus noch nie der Osterhase“gewesen sei, um die Bedeutungsebene erweitert werden, dass Meister Osterhase heuer in einem Narrenhäs daherkommt. Freilich in einem recht unansehnlichen, Bayern scheint von Woche zu Woche schlechter zu spielen. Das bequeme Punktepolster auf die Konkurrenz liegt vor allem an den Ausrutschern der Rivalen – Leipzig musste beim 0:3 gegen den HSV die zweite Niederlage in Serie einstecken, der ExStuttgarter Daniel Didavi verwehrte durch sein Tor zum 2:1 für Wolfsburg der TSG Hoffenheim den Sprung auf Platz vier, Frankfurt verlor 0:3 in Leverkusen, der BVB blamierte sich 1:2 in Darmstadt. Die Meisterschaft, so scheint es, wird den verwundbaren Bayern in dieser Saison auch ein wenig geschenkt von der Konkurrenz. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge gab das irgendwie ein hollywoodeskes Gefühl, sodass er den Spieltag mit den Worten „and the winner is ... Bayern!“kommentierte. Und außerdem: „Wir sind total zufrieden und glücklich, das war ein wunderbarer Spieltag für uns. Wir in der 90. Minute zum 1:0 für den FC Bayern München in Ingolstadt. müssen nicht pessimistisch sein. Die Mannschaft kann im entscheidenden Moment zulegen.“
Das Zulegen beschränkte sich am Samstag darin, dass Arturo Vidal in der 90. Minute und kurz darauf Arjen Robben quasi aus dem Nichts die zwei Tore gelangen, die den Sieg über die bemitleidenswerten Ingolstädter brachten. Bis zu den Treffern waren den Bayern ganze drei echte Torgelegenheiten gelungen beim oberbayerischen Nachbarn; ihrem Spiel hatte wieder einmal Tempo, Ideen und Struktur gefehlt. In ingolstadt kam erschwerend hinzu, dass die Spieler des Rekordmeisters Probleme hatten, die Zentrale dicht zu machen – obwohl mit Xabi Alonso, Arturo Vidal, Joshuia Kimmich und Thiago vier zentrale Mittelfeldspieler auf dem Platz standen.
Trainer Carlo Ancelotti hatte nämlich ganz tief in die Antiquitätenkiste taktischer Grundordnungen gegriffen und die Münchner in einem System aufgestellt, mit dem Ancelotti einst beim AC Milan ziemlich erfolgreich war, aber das schon damals einen ziemlichen Bart hatte. 4-3-2-1, der berühmte Tannenbaum, das frühere Lieblingssystem des Misters.
Testlauf für Arsenal
Zugunsten Thomas Müllers, der im offensiven zentralen Mittelfeld an der Seite Thiagos spielen durfte, opferte Ancelotti beide Flügelangreifer. Müller machte seine Sache gut, bereitete mit einer Flanke Vidals Treffer vor und war auch sonst ein Aktivposten. Doch das Zusammenspiel zwischen Alonso, Kimmich und des bis auf sein Tor restlos enttäuschenden Vidal funktionierte nicht.
Sollte Ancelotti seinen Tannenbaum ausgepackt haben, um das Zentrum zu verdichten, das Experiment muss als gescheitert angesehen werden. Sollte die Gundordnung ein Testlauf für die Partie in der Champions League am Mittwoch (20.45 Uhr/ ZDF und Sky) gegen den FC Arsenal mit deren zentralem Spielgestalter Mesut Özil und den schnellen Angreifern Alex Iwobi, Aléxis Sanchez und Theo Walcott gewesen sein, müssten die Münchner am Mittwoch zumindest zwei Schippen drauflegen. Gleichwohl sagte Ancelotti: „Das gibt uns eine Menge Selbstvertrauen für Mittwoch. Wir mussten alles geben, wir haben alles gegeben. Wir müssen gegen Arsenal denselben Charakter und dieselbe Mentalität zeigen. Das wird der Schlüssel sein.“Was gegen die Londoner noch besser werden müsse? „Nichts!“
Doch ist der Grund für Ancelottis Rückbesinnung auf den Tannenbaum auch ganz woanders zu suchen. Auf Italienisch heißt die Grundordnung „albero di natale“, Weihnachtsbaum. Und Italiener halten es mit der närrischen Zeit, wenn sie nicht gerade aus Venedig, stammen, eher wie die Bayern. Weihnachten ist wichtig, Ostern noch mehr, und zwischendurch wird 40 Tage lang von Mönchen gebrautes Bier getrunken, um den Hunger zu stillen. Für den passionierten Koch Ancelotti heißt dies aber auch, dass er bald temporär die Kochlöffel beiseitelegen muss. Da kann man sich schon mal wehmütig an bessere Zeiten erinnern.