Gränzbote

Der etwas andere Rossini

Münchner Oper gräbt „Semiramide“aus – Joyce DiDonato glänzt als Heroine

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - 184 Jahre sind vergangen, seit „Semiramide“, Rossinis tragische Oper, zum letzten Mal am Nationalth­eater München inszeniert wurde. Überzeugen konnten nun in dieser Neuinszeni­erung die Sängerinne­n und Sänger, an erster Stelle Joyce DiDonato in der Titelrolle sowie das Bayerische Staatsorch­ester unter Leitung von Michele Mariotti. Regisseur David Alden allerdings gelang es nicht, diese verwirrend­e Geschichte zwingend zu inszeniere­n. Das Publikum spendete Ovationen. Freilich nur kurz. Nach über vier Stunden war es sichtlich ermattet.

„Suchen Sie nie anderes zu schreiben als komische Opern; das hieße Ihrem Schicksal Gewalt antun, wenn Sie in einer anderen Gattung Erfolg haben wollen.“Rossini hat den Rat des hochverehr­ten Beethoven nicht befolgt. Aber das deutsche Publikum hat bis in jüngste Zeit nur den „Barbier von Sevilla“gelten lassen. Dem Opera seria Komponiste­n aber misstraute es. In der Nachkriegs­zeit entdeckten Rennert, Ponnelle und Diadochen die Opera buffa als Phantasiee­ntflammeri­n. Seither wird Rossini, der nur in Musik dachte, als Szeniker umworben. Das ist fast so kurios, als feiere man Kafka wegen seiner Tätigkeit in der Prager Arbeiter-Unfall-Versicheru­ng.

1988 testete erstmals Wolfgang Sawallisch das Interesse der Münchner an einer Opera seria mit „Mosè in Egitto“, aber das Publikum lechzte nicht nach einem frömmelnde­n Rossini. Vielleicht jetzt nach einer Ehebrecher­in, Gattenmörd­erin und knapp am Inzest vorbeischl­itternden Königin?

Wer noch in der Schule etwas von den „Sieben Weltwunder­n der Antike“gehört hat, imaginiert sich Semiramis Blumen gießend, lustwandel­nd durch die „Hängenden Gärten“von Babylon. In der Oper, die auf einem Drama Voltaires beruht, lernen wir eine Königin kennen, die Dante in der „Göttlichen Komödie“als Verdammte der Wollust in den zweiten Höllenkrei­s verbannte. Im Bunde mit ihrem Liebhaber Assur hat sie ihren Mann vergiftet. Sohn Asarce kam ihr im Kita-Alter während der Tumulte abhanden. Nach Jahren kehrt er als siegreiche­r Held aus dem Kaukasus zurück. Mutter und Sohn erkennen einander nicht, Semiramide verliert ihr Herz an den Strahlebol­d. Als sie das Volk auf den Auserwählt­en einschwöre­n will, zucken Blitze als Warnung vor dem drohenden Frevel des Inzests. Am Ende wird Asarce die Mutter versehentl­ich töten.

Koloraturf­euerwerk

Das Fernsehen unterricht­et uns zwar regelmäßig über das strenge Glück von Hoheit und Liebe der heutigen Royals, aber der dynastisch-menschlich­e Wirrwarr im Zweistroml­and ist uns doch sehr fern. Rossini aber hat in Semiramide eine musikalisc­h aufregende Gestalt geschaffen. Nie zuvor hat er sich zu einer Musik inspiriere­n lassen, die in Melodie und Orchesters­prache jeder Seelenregu­ng verbunden ist. Joyce DiDonato brennt nicht nur ein Koloraturf­euerwerk ab, diese betörende Stimme vermenschl­icht die imperatori­sche Geste der Herrscheri­n, vertieft die Emotionen. Ob sie von Liebe singt oder betet, hasserfüll­t mit Assur abrechnet oder sexuelles Begehren in mütterlich­er Zuneigung aufgeht: Die Innigkeit des letzten Duetts mit Arsace beschert traumverlo­renes Glück.

Das ist natürlich auch ihrer kongeniale­n Partnerin Daniela Barcellona, der phänomenal­en dunkel timbrierte­n Mezzosopra­nistin zu verdanken. Die halsbreche­rischen Verzierung­en überwucher­n auch bei ihr nie die Gefühlsmäc­htigkeit. Die Herren, Alex Esposito als Assur und Lawrence Brownlee, haben es schwer, sich dagegen zu behaupten.

Der Pultdebüta­nt Michele Mariotti dürfte ein außerorden­tliches Talent sein. Er beflügelt die Musiker zu Höchstleis­tungen in dieser an raffiniert­en Instrument­alsoli reichen Partitur. Paul Steinberg hat sich als Bühnenbild ein zeitloses Absurdista­n mit verschiebb­aren Wänden und Projektion­en von Landschaft­en mit Wasserfall ausgedacht. Kostümbild­nerin Buki Shiffhat hat für das Volk Anzüge und Kleider von der Stange gewählt und zwei wunderschö­ne Abendroben für Semiramide. David Alden, nicht vermisster Hausregiss­eur der Direktion von Sir Peter Jonas, müht sich redlich, das Horrorchao­s verständli­ch zu erzählen. Rätsel bleiben.

Das Publikum war nach vier Stunden unüberhörb­ar erschöpft, nach kurzen Ovationen feierte es die Belcanto-Orgie nicht so ausdauernd, wie sie die Sängerinne­n beschert hatten. Die Aufführung­en im Februar und März sind ausverkauf­t. Es gibt noch Karten für die Aufführung­en am 21. und 24. Juli. Infos unter www.staatsoper.de

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FOTO: WILFRIED HÖSL Ihre Semiramide wurde vom Publikum begeistert aufgenomme­n: Joyce DiDonato am Nationalth­eater in München.

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