Verzweifelt in Ehe und Affäre
Erster Verhandlungstag gegen einen 82-Jährigen, der auf seine 91-jährige Geliebte geschossen hat
RAVENSBURG - Wegen versuchten Mords in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung an seiner 91-jährigen Freundin muss sich seit Dienstag ein 82-Jähriger vor dem Schwurgericht in Ravensburg verantworten. Ein auch für ihn nach fast 30 Jahren Schwurgericht „außergewöhnlicher Fall“, wie der Vorsitzende Richter Matthias Geiser sagte.
Der angeklagte Allgäuer führte 30 Jahre lang eine als „zufriedenstellend“bezeichnete Ehe. Diese sei mit zunehmenden Gebrechen der Ehefrau allerdings schwierig geworden. In der Folge sei das mit den beiden Eheleuten seit den 1990er-Jahren befreundete spätere Opfer, eine Witwe, die Geliebte des späteren Täters geworden.
Der Angeklagte äußerte sich nicht zur Sache, ließ aber seinen Verteidiger Norbert Kopfsguter eine kurze Erklärung verlesen. In dieser räumt er ein, in einem Auto auf dem Parkplatz Gottesberg in Bad Wurzach auf die Geliebte geschossen zu haben. Danach habe er außerhalb des Fahrzeugs auf die am Boden Liegende mit dem Griff der Pistole eingeschlagen. Er habe aufgrund einer Erkrankung und seiner verzweifelten Situation keinen Ausweg mehr gewusst. Er bedauere die Handlung zutiefst und entschuldige sich dafür.
Das 91-jährige Opfer überlebte trotz eines Halsdurchschusses, mehrerer Brüche sowie Platz- und Schnittwunden. Der Mann sitzt seit der Tat am 11. September 2016 in Untersuchungshaft, ist dort wegen beginnender Demenz in Behandlung.
Zu klären hat die fünfköpfige Kammer des Landgerichts nun, ob die Mordmerkmale Vorsatz und/ oder Heimtücke erfüllt sind. Hinterfragt werden muss auch die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat. Den Vorsatz sieht die Staatsanwaltschaft, die durch den Ersten Staatsanwalt Peter Spieler vertreten wird, als gegeben.
Die heute 91-jährige Frau habe die Beziehung beenden wollen, führte er in der Anklage aus. Bei der Aussprache in Bad Wurzach, so der Staatsanwalt, habe der Angeklagte die mitgeführte und bis dahin vor ihr versteckte Pistole gezückt und geschossen. Er habe ihr das Lebensrecht abgesprochen, weil sie sich seinen Besitzansprüchen habe entziehen wollen. Auch ihre finanziellen Zuwendungen sieht die Staatsanwaltschaft als ein Motiv für die Tat an.
Psychiatrisches Gutachten
Im Mittelpunkt des ersten von sechs bis 5. April angesetzten Verhandlungstagen stand die Sichtweise des Angeklagten. Da sich dieser selbst nicht äußern wollte, kam eine Sachverständige zu Wort. Die Psychiaterin Roswita Hietel-Weniger von der ZfP Weissenau schilderte die Erzählungen des 82-Jährigen bei den Gesprächen zur Erstellung eines Gutachtens.
Im Jahr 2016 geriet der Angeklagten sowohl in seiner Ehe als auch in seiner Affäre mit der Witwe unter zunehmenden Druck. „Ihm wurde deutlich, er hat zu Hause keine Zukunft mehr“, sagte die Psychiaterin. Parallel dazu gab es aber auch Spannungen mit der Geliebten. Sie habe, so seine Meinung, Beziehungen mit anderen Männern „zur Drangbefriedigung“. Am Tattag sei er verzweifelt gewesen, gab die Sachverständige die dazu etwas wirren und zum Teil widersprüchlichen Aussagen des Angeklagten ihr gegenüber wieder. Er habe sich das Leben nehmen wollen, führte daher eine Pistole, die er als ehemaliger Sportschütze noch besaß, mit sich.
Nach einem Treffen mit der 91Jährigen in einem Café sei sie im Auto eingeschlafen. „Da hat es bei ihm im Hirn gerattert“, so die Psychiaterin. Der Angeklagte habe ihr erzählt, er habe angenommen, dass die Familie der Frau, die gegen die Beziehung gewesen sei, die 91-Jährige vergiftet habe, und beschlossen, sie und sich zu erschießen. „Er wollte sie nicht töten. Er wollte das Werk vollenden, das andere in Gang gebracht hatten.“Sie sei jedoch aufgewacht und im folgenden Handgemenge habe sich ein Schuss gelöst.
Der Kriminal-Hauptkommissar, der während der Tat zufällig vorbeikam und Schlimmeres verhinderte, sagte aus, das Opfer habe gerufen, „der will mich umbringen“. Der Angeklagte habe gesagt, „die ist selbst schuld, sie hat mich soweit gebracht“, aber auch geäußert, er habe sie nicht umbringen wollen. Er habe den Angeklagten als „sehr aufgebracht“, aber „klar bei Sinnen“erlebt. Bei den Schlägen auf die Frau habe er „gut ausgeholt“. Zwei Kriminalkommissare, die den Angeklagten im Polizeirevier Leutkirch trafen, schilderten den Mann als „sehr durcheinander“, „neben sich stehend“und „verwirrt“. Er sei sich aber durchaus bewusst gewesen, was passiert war. Beide sagten übereinstimmend aus, er habe betont, dass er „seinen Schatz“nicht habe töten wollen.