Merkel weist Schulz’ Agenda-Kritik zurück
Kanzlerin verteidigt SPD-Arbeitsmarktreform als „Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg“
BERLIN/STRALSUND (dpa) - Einen Monat nach der Nominierung von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat Amtsinhaberin Angela Merkel in den Wahlkampfmodus umgeschaltet. Auf einem Parteitag ihres CDULandesverbands Mecklenburg-Vorpommern bezog sie am Wochenende Stellung zu ersten vagen Positionierungen ihres Herausforderers. Seine Forderung nach einer Rücknahme der Reform Agenda 2010 wies die Kanzlerin entschieden zurück. Im Streit um eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben stellte sich die CDU-Vorsitzende gegen den sozialdemokratischen Außenminister Sigmar Gabriel.
Merkel sagte, das Festhalten an den Arbeitsmarktreformen der früheren rot-grünen Regierung sei eine Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und sozialen Ausgleich in Deutschland. Lobend äußerte sie sich über deren Architekten: „Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich mit der Agenda um Deutschland verdient gemacht“, sagte sie.
Schulz dagegen will Teile der seit jeher in der SPD umstrittenen Reform zurückdrehen. So sollen Arbeitslose länger als bisher Arbeitslosengeld I erhalten und Arbeitsverträge nur noch bei sachlicher Begründung befristet werden dürfen.
In puncto höhere Verteidigungsausgaben sieht Merkel Deutschland an den Nato-Beschluss von 2014 gebunden. „Verpflichtungen müssen schon erfüllt werden. Und das werden andere auf der Welt von uns auch einfordern“, sagte Merkel in Stralsund. „Und ich finde, sie haben recht damit, dass auch Deutschland seine Verpflichtungen einhalten muss.“Der Nato-Beschluss verlangt, dass die Mitgliedsstaaten bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fürs Militär ausgeben. Gabriel hält dies für unrealistisch. Derzeit gibt Deutschland 1,2 Prozent des BIP für Verteidigung aus.
Als ein Thema des Wahlkampfs nannte Merkel Generationengerechtigkeit. „Ich glaube, wir müssen den Schwerpunkt auf jüngere Familien legen“, sagte Merkel. Beim Landesparteitag votierten 95 Prozent der rund 140 Delegierten für Merkel als Spitzenkandidatin. Merkel gehört dem Landesverband seit 1990 an und hat in Nordvorpommern ihren Wahlkreis, den sie seither jedes Mal gewonnen hat.
STRALSUND/BERLIN (dpa) - In Teilen der Union herrscht Unmut über Merkels bislang verhaltene Reaktion auf das Erstarken der SPD. Nun geht die Kanzlerin erstmals auf Konfrontation zu Martin Schulz – ohne ihn beim Namen zu nennen.
Der rote Blazer, den Angela Merkel in Stralsund trägt, ist alles andere als ein Freundschaftsbeweis für die SPD. 211 Tage sind es noch bis zur Bundestagswahl im September, hat die bekanntermaßen an Fakten orientierte Kanzlerin ausgerechnet. Die Unionsbasis fordert unter dem Eindruck des Umfragehochs der SPD immer vehementer, endlich offensiv in den Wahlkampfmodus zu schalten. Und Merkel liefert. Auf ihre Art.
Auf dem Landesparteitag ihres CDU-Heimatverbandes Mecklenburg-Vorpommern in Stralsund erwähnt Merkel ihren SPD-Herausforderer Martin Schulz mit keinem Wort. Doch zerpflückt sie vor ihren eifrig applaudierenden Parteifreunden die Pläne des SPD-Kanzlerkandidaten, die Agenda 2010 in Teilen zurückzudrehen.
Die Schaffung von 2,5 Millionen neuen Arbeitsplätzen in den vergangenen fünf Jahren, die Halbierung der Arbeitslosenzahl von einst fünf auf jetzt 2,5 Millionen seien undenkbar ohne die Arbeitsmarktreformen ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD). „Die Entwicklung unseres Landes seit 2005 ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Aber die Sozialdemokraten mögen sich bis heute zu dieser Erfolgsgeschichte nicht bekennen. Man hat den Eindruck, sie schämen sich sogar dafür“, sagt Merkel. Und sie macht gleich ihren Führungsanspruch auch für die nächsten Jahre deutlich: Die CDU hadere nicht mit der Vergangenheit, sie gestalte die Zukunft.
Die Rede mag aus Sicht mancher Merkel-Kritiker in CDU und CSU noch immer nicht emotional genug sein, kommt bei der Parteibasis im hohen Norden aber gut an. „Das bringt die CDU wieder auf einen guten Weg“, meint der Delegierte Christian Ehlers aus Marlow. Und auch der Greifswalder Jurist Sascha Ott, der aus Protest gegen die Flüchtlingsund Sicherheitspolitik Merkels einen konservativen Kreis in der Nordost-CDU initiierte, fühlt sich nach Korrekturen bei der Polizeistärke und konsequenterer Umsetzung des Asylrechts wieder zunehmend heimisch in seiner Partei.
Nach Ansicht des Rostocker Politikwissenschaftlers Martin Koschkar ist von einer Amtsmüdigkeit Merkels in Stralsund nichts zu spüren. „Sie besinnt sich auf die Stärken der eigenen Partei und macht den Anspruch deutlich, die Volkspartei in Deutschland zu sein. Das Lob für Schröders „Agenda 2010“dürfte zudem in der SPD noch zu einigen Diskussion führen“, sagt Koschkar.
Auch Özdemir geht auf Distanz
Ins gleiche Horn wie Merkel bläst auch Markus Söder (CSU), Bayerns Finanzminister: „Die Agenda 2010 war ein Erfolg. Nur, weil der neue Kandidat Gewerkschaftsrhetorik betreibt, heißt es nicht, dass wir der SPD hinterherlaufen müssen.“
Selbst Grünen-Chef Cem Özdemir, der erst kürzlich Chancen für ein Regierungsbündnis mit Schulz gewittert hatte, geht auf Distanz, bezeichnet dessen Agenda-Kritik als „altbacken“und warnt vor einer Ausweitung der Zahlung von Arbeitslosengeld: „Es ist doch verrückt, Menschen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, statt sie in gute Jobs zu bringen.“
Schulz als Risikofaktor für den Standort Deutschland – das lässt der Kanzlerkandidat nicht auf sich sitzen. Er wehrte sich bei einem Auftritt vor Parteianhängern in Leipzig: „Ja klar können wir stolz sein, die viertgrößte Wirtschaft der Welt zu sein, auf das Rekordtief bei der Arbeitslosigkeit. Aber das ist nur eine Momentaufnahme.“Ohne höhere Investitionen in Bildung und Infrastruktur könne Deutschland „nicht fit gemacht werden für die Zukunft“. Seine Pläne zur Agenda-Reform konkretisiert er allerdings nicht.
Rückendeckung für Schulz‘ Agenda-Pläne kommt von Linken-Chefin Katja Kipping. Noch vor der Bundestagswahl müsse „ein Kündigungsschreiben für die Agenda 2010 aufgesetzt und die Hartz-IV-Sanktionen abgeschafft“werden, sagt sie.