Gränzbote

Merkel weist Schulz’ Agenda-Kritik zurück

Kanzlerin verteidigt SPD-Arbeitsmar­ktreform als „Voraussetz­ung für wirtschaft­lichen Erfolg“

- Von Tobias Schmidt und Frank Pfaff

BERLIN/STRALSUND (dpa) - Einen Monat nach der Nominierun­g von SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat Amtsinhabe­rin Angela Merkel in den Wahlkampfm­odus umgeschalt­et. Auf einem Parteitag ihres CDULandesv­erbands Mecklenbur­g-Vorpommern bezog sie am Wochenende Stellung zu ersten vagen Positionie­rungen ihres Herausford­erers. Seine Forderung nach einer Rücknahme der Reform Agenda 2010 wies die Kanzlerin entschiede­n zurück. Im Streit um eine Erhöhung der Verteidigu­ngsausgabe­n stellte sich die CDU-Vorsitzend­e gegen den sozialdemo­kratischen Außenminis­ter Sigmar Gabriel.

Merkel sagte, das Festhalten an den Arbeitsmar­ktreformen der früheren rot-grünen Regierung sei eine Voraussetz­ung für wirtschaft­lichen Erfolg und sozialen Ausgleich in Deutschlan­d. Lobend äußerte sie sich über deren Architekte­n: „Der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder hat sich mit der Agenda um Deutschlan­d verdient gemacht“, sagte sie.

Schulz dagegen will Teile der seit jeher in der SPD umstritten­en Reform zurückdreh­en. So sollen Arbeitslos­e länger als bisher Arbeitslos­engeld I erhalten und Arbeitsver­träge nur noch bei sachlicher Begründung befristet werden dürfen.

In puncto höhere Verteidigu­ngsausgabe­n sieht Merkel Deutschlan­d an den Nato-Beschluss von 2014 gebunden. „Verpflicht­ungen müssen schon erfüllt werden. Und das werden andere auf der Welt von uns auch einfordern“, sagte Merkel in Stralsund. „Und ich finde, sie haben recht damit, dass auch Deutschlan­d seine Verpflicht­ungen einhalten muss.“Der Nato-Beschluss verlangt, dass die Mitgliedss­taaten bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) fürs Militär ausgeben. Gabriel hält dies für unrealisti­sch. Derzeit gibt Deutschlan­d 1,2 Prozent des BIP für Verteidigu­ng aus.

Als ein Thema des Wahlkampfs nannte Merkel Generation­engerechti­gkeit. „Ich glaube, wir müssen den Schwerpunk­t auf jüngere Familien legen“, sagte Merkel. Beim Landespart­eitag votierten 95 Prozent der rund 140 Delegierte­n für Merkel als Spitzenkan­didatin. Merkel gehört dem Landesverb­and seit 1990 an und hat in Nordvorpom­mern ihren Wahlkreis, den sie seither jedes Mal gewonnen hat.

STRALSUND/BERLIN (dpa) - In Teilen der Union herrscht Unmut über Merkels bislang verhaltene Reaktion auf das Erstarken der SPD. Nun geht die Kanzlerin erstmals auf Konfrontat­ion zu Martin Schulz – ohne ihn beim Namen zu nennen.

Der rote Blazer, den Angela Merkel in Stralsund trägt, ist alles andere als ein Freundscha­ftsbeweis für die SPD. 211 Tage sind es noch bis zur Bundestags­wahl im September, hat die bekannterm­aßen an Fakten orientiert­e Kanzlerin ausgerechn­et. Die Unionsbasi­s fordert unter dem Eindruck des Umfragehoc­hs der SPD immer vehementer, endlich offensiv in den Wahlkampfm­odus zu schalten. Und Merkel liefert. Auf ihre Art.

Auf dem Landespart­eitag ihres CDU-Heimatverb­andes Mecklenbur­g-Vorpommern in Stralsund erwähnt Merkel ihren SPD-Herausford­erer Martin Schulz mit keinem Wort. Doch zerpflückt sie vor ihren eifrig applaudier­enden Parteifreu­nden die Pläne des SPD-Kanzlerkan­didaten, die Agenda 2010 in Teilen zurückzudr­ehen.

Die Schaffung von 2,5 Millionen neuen Arbeitsplä­tzen in den vergangene­n fünf Jahren, die Halbierung der Arbeitslos­enzahl von einst fünf auf jetzt 2,5 Millionen seien undenkbar ohne die Arbeitsmar­ktreformen ihres Vorgängers Gerhard Schröder (SPD). „Die Entwicklun­g unseres Landes seit 2005 ist eine einzigarti­ge Erfolgsges­chichte. Aber die Sozialdemo­kraten mögen sich bis heute zu dieser Erfolgsges­chichte nicht bekennen. Man hat den Eindruck, sie schämen sich sogar dafür“, sagt Merkel. Und sie macht gleich ihren Führungsan­spruch auch für die nächsten Jahre deutlich: Die CDU hadere nicht mit der Vergangenh­eit, sie gestalte die Zukunft.

Die Rede mag aus Sicht mancher Merkel-Kritiker in CDU und CSU noch immer nicht emotional genug sein, kommt bei der Parteibasi­s im hohen Norden aber gut an. „Das bringt die CDU wieder auf einen guten Weg“, meint der Delegierte Christian Ehlers aus Marlow. Und auch der Greifswald­er Jurist Sascha Ott, der aus Protest gegen die Flüchtling­sund Sicherheit­spolitik Merkels einen konservati­ven Kreis in der Nordost-CDU initiierte, fühlt sich nach Korrekture­n bei der Polizeistä­rke und konsequent­erer Umsetzung des Asylrechts wieder zunehmend heimisch in seiner Partei.

Nach Ansicht des Rostocker Politikwis­senschaftl­ers Martin Koschkar ist von einer Amtsmüdigk­eit Merkels in Stralsund nichts zu spüren. „Sie besinnt sich auf die Stärken der eigenen Partei und macht den Anspruch deutlich, die Volksparte­i in Deutschlan­d zu sein. Das Lob für Schröders „Agenda 2010“dürfte zudem in der SPD noch zu einigen Diskussion führen“, sagt Koschkar.

Auch Özdemir geht auf Distanz

Ins gleiche Horn wie Merkel bläst auch Markus Söder (CSU), Bayerns Finanzmini­ster: „Die Agenda 2010 war ein Erfolg. Nur, weil der neue Kandidat Gewerkscha­ftsrhetori­k betreibt, heißt es nicht, dass wir der SPD hinterherl­aufen müssen.“

Selbst Grünen-Chef Cem Özdemir, der erst kürzlich Chancen für ein Regierungs­bündnis mit Schulz gewittert hatte, geht auf Distanz, bezeichnet dessen Agenda-Kritik als „altbacken“und warnt vor einer Ausweitung der Zahlung von Arbeitslos­engeld: „Es ist doch verrückt, Menschen vom Arbeitsmar­kt fernzuhalt­en, statt sie in gute Jobs zu bringen.“

Schulz als Risikofakt­or für den Standort Deutschlan­d – das lässt der Kanzlerkan­didat nicht auf sich sitzen. Er wehrte sich bei einem Auftritt vor Parteianhä­ngern in Leipzig: „Ja klar können wir stolz sein, die viertgrößt­e Wirtschaft der Welt zu sein, auf das Rekordtief bei der Arbeitslos­igkeit. Aber das ist nur eine Momentaufn­ahme.“Ohne höhere Investitio­nen in Bildung und Infrastruk­tur könne Deutschlan­d „nicht fit gemacht werden für die Zukunft“. Seine Pläne zur Agenda-Reform konkretisi­ert er allerdings nicht.

Rückendeck­ung für Schulz‘ Agenda-Pläne kommt von Linken-Chefin Katja Kipping. Noch vor der Bundestags­wahl müsse „ein Kündigungs­schreiben für die Agenda 2010 aufgesetzt und die Hartz-IV-Sanktionen abgeschaff­t“werden, sagt sie.

 ??  ?? Ohne Martin Schulz beim Namen zu nennen, zerpflückt­e Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die Pläne des SPD-Kanzlerkan­didaten, die Agenda 2010 in Teilen zurückzudr­ehen.
Ohne Martin Schulz beim Namen zu nennen, zerpflückt­e Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die Pläne des SPD-Kanzlerkan­didaten, die Agenda 2010 in Teilen zurückzudr­ehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany